Behinderte einstellen: es lohnt sich!
Menschen mit Behinderung sind noch nicht ganz auf dem ersten Arbeitsmarkt angekommen.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special So finden Sie gute Leute für Ihren Betrieb!
Sein Angebot nennt Günter Machein "all inclusive". Der Integrationsberater ist bei der Handwerkskammer zu Köln Ansprechpartner für alle, die einen Mitarbeiter mit Schwerbehinderung einstellen oder weiterbeschäftigen wollen, oder für schwerbehinderte Handwerker auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Von der telefonischen Beratung über eine Arbeitsplatzbegutachtung und Recherche nach technischen Hilfsmitteln bis zur Antragstellung hat er alles im Angebot. Seine Stelle wird vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) gefördert.
"Kleine oder mittlere Unternehmer haben oft nicht die Zeit und Ressourcen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen", weiß Karin Fankhaenel, Leiterin des Integrationsamts LVR. Darum setzt der LVR auf die Kooperation mit den Kammern. Die Berater kennen die Gegebenheiten in den Betrieben und sind mit Arbeitsagenturen, Integrationsfachdiensten, Fürsorgestellen, sozialen Einrichtungen und Berufsbildungswerken vernetzt. "Ich versuche Lotse zu sein im Dschungel der Fördermöglichkeiten", erklärt Machein. Auch mit der Fachkräftevermittlung bei der Handwerkskammer zu Köln arbeitet er eng zusammen. "Letztlich ist für die Arbeit die Qualifikation wichtig", so Machein.
"Menschlich muss es stimmen"
Arbeitslose Menschen mit Behinderung sind im Schnitt etwas höher qualifiziert als der Rest. Das war jedenfalls im Jahr 2012 der Fall, sagt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH). Doch während die allgemeine Arbeitslosenquote von 8,1 Prozent im Jahr 2009 auf 6,1 Prozent im Jahr 2012 gesunken ist, ging die Quote von schwerbehinderten Arbeitslosen im gleichen Zeitraum nur von 14,6 auf 14,1 Prozent zurück. Ungehobenes Potenzial. Dafür spricht auch das Ergebnis einer Umfrage von "Aktion Mensch": 80 Prozent der Unternehmer, die schwerbehinderte Mitarbeiter beschäftigen, haben keinen Leistungsunterschied festgestellt.
Selbst wenn es anders ist, muss das kein Hinderungsgrund für eine erfolgreiche Beschäftigung sein. Markus Köser hat einen Tischler eingestellt, der seit einem Motorradunfall schwerbehindert ist. Ein gutartiger Gehirntumor verursacht bei ihm zudem Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, weshalb er mehr Anleitung und Zeit für seine Arbeit braucht. Die Kollegen wüssten und akzeptierten das, so Köser.
"Finanziell wird einiges getan"
Bislang machen sich nur wenige Menschen mit Behinderung selbstständi. (Foto: © auremar/123RF.com) Für einen Großauftrag hätte der Mitarbeiter Werkzeugkisten bauen, schleifen und lackieren sollen. Ein passender Arbeitstisch und eine spezielle Hobelmaschine sollten ihm die Arbeit erleichtern. Die Förderanträge waren schon gestellt, als die Aufträge zurückgingen. Kurzerhand entschloss sich Köser, den Mitarbeiter im regulären Betrieb zu beschäftigen. Vom LVR bekommt er einen Zuschuss zu den Lohnkosten. Andere Stellen finanzieren zusätzliches Personal, das die betroffenen Mitarbeiter anleitet und unterstützt, oder geben Geld, das die Leistungsunterschiede ausgleichen soll. "Finanziell wird einiges getan", sagt Köser. Damit mache er zwar keinen Gewinn, aber auch keine Verluste. Wichtig sei, dass es menschlich stimme, betont er. Der Mitarbeiter sei motiviert, passe ins Team und fühle sich wohl.
Selbstständig machen sich bislang nur wenige Menschen mit Behinderung. Laut BIH haben 2012 rund 262 Leistungsempfänger Hilfen zur Selbstständigkeit erhalten. Dirk Marenbach hat den Schritt gewagt, fällt aber aus der Statistik, weil er keine Förderung für seine Schwerbehinderung in Anspruch genommen hat. Der 52-jährige Bäckermeister aus Waldbröl hat Multiple Sklerose, eine Erkrankung des zentralen Nervensystems. Wegen der Krankheit ist die Beweglichkeit seiner rechten Hand eingeschränkt. Filigrane Backwaren wie Torten kann er nicht mehr herstellen. Auch die Arbeitszeiten als Angestellter waren schwierig: Musste er um ein Uhr nachts aufstehen, kämpfte er gegen Kopfschmerzen und Schwindelgefühl an.
Sein eigenes Geschäftskonzept hat er nun an seine Bedürfnisse angepasst. Er fängt um vier Uhr morgens an, backt bis mittags und liefert am Nachmittag aus. Spezialisiert hat er sich auf Brote mit Mehl aus der Region und einem Teig mit langer Ruhezeit sowie auf Stollen nach geheimem Familienrezept, die er über eine Erzeugergemeinschaft vertreibt. Ohne eigene Filiale und Angestellte fallen viele Stressfaktoren weg. "Ich mache Produkte mit Liebe und Zeit", sagt Marenbach. Mit Unterstützung von HwK-Berater Machein hat er Anträge auf Förderung von Arbeitshilfen gestellt: Eine Hebebühne und eine Rampe sollen ihm das Be- und Entladen seines Transporters erleichtern. Marenbach freut sich auf die neue Herausforderung. Seine Frau auch. Denn sie hat bemerkt, dass sich sein Gesundheitszustand seither deutlich verbessert hat.
Inklusionsinitiative
Das Ziel aller Förderstellen und Initiativen für Menschen mit Handicap ist die Inklusion: Menschen mit und ohne Behinderung sollen in allen Branchen von Anfang an selbstverständlich zusammenarbeiten. Dafür ist das Bundesarbeitsministerium bereit, einiges zu investieren. Für eine große Inklusionsinitiative, die von 2014 bis 2017 läuft, werden 50 Millionen Euro zusätzlich aus Mitteln des Ausgleichsfonds zur Verfügung gestellt, damit die Vermittlung von schwerbehinderten Arbeitssuchenden klappt. Auch Wirtschaftsverbände wie der ZDH machen sich stark für die Initiative "Inklusion gelingt", denn Unternehmen können von Inklusion nur profitieren: unentdeckte Fachkräftepotenziale heben, loyale Mitarbeiter gewinnen und den Betrieb fit machen für den demografischen Wandel. Die Internetplattform zur Initiative informiert und unterstützt Betriebe, damit diese die Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung erfolgreich gestalten können. Die Website umfasst unter Einbeziehung bestehender Informationsangebote für die Unternehmen Handlungsempfehlungen, eine Übersicht der Förderinstrumente, zahlreiche Kontaktadressen wichtiger Dienstleister und Behörden sowie verschiedene Publikationen. Anhand von Praxisbeispielen wird deutlich gemacht, wie die Inklusion von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erfolgreich gelingen kann.
Schwerbehinderung
Etwa 6,7 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung leben in Deutschland, rund neun Prozent der Bevölkerung. Menschen gelten laut Sozialgesetzbuch als behindert, wenn "ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist" (Sozialgesetzbuch IX, § 1, Absatz 1). Der Grad der Behinderung (GDB) wird in Zehner-Graden von 20 bis 100 gemessen. Als schwerbehindert gilt, wer einen GDB von 50 oder mehr hat. Über die Anerkennung einer Behinderung entscheiden die kreisfreien Städte und Kreise auf Antrag. Die Beeinträchtigungen reichen von Diabetes über Rheuma und Funktionseinschränkungen von Gliedmaßen bis hin zu Seh- oder Hörbehinderungen oder psychischen Erkrankungen. Nur bei etwa vier Prozent der Menschen mit Handicap ist die Behinderung angeboren, bei zwei Prozent sind sie auf einen Unfall oder eine Berufskrankheit zurückzuführen und bei etwa 83 Prozent hat eine Krankheit die Schwerbehinderung verursacht.
Ansprechpartner bei den Handwerkskammern
* Fachberater für Integration im Auftrag des LVR- bzw. LWL-Integrationsamtes; Fotos: © auremar/123RF.com
Text:
Melanie Dorda /
handwerksblatt.de
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