Kunst oder Handwerk? Wie Gerichte Tattoos bewerten
Ob Tätowieren eine Kunst oder ein Handwerk ist, entscheidet auch über die finanzielle Seite der Arbeit: einerseits wegen der Einkommensteuer, andererseits wegen der Künstlersozialkasse. Wir erklären, was Gerichte dazu sagen.
Tattoos sind nicht nur eine individuelle Geschmacksfrage, sondern beschäftigen auch mal immer wieder die Gerichte. Das Bundessozialgericht musste entscheiden, ob Tätowierer in der Künstlersozialkasse pflichtversichert sind. Und das Finanzgericht Düsseldorf hat aktuell die steuerliche Seite betrachtet. Dabei ging es um die Frage, ob es sich um freiberufliche Kunst handelt oder um einen handwerklichen Gewerbebetrieb.
Die Fälle
Bundessozialgericht
Im ersten Fall urteilte das Bundessozialgericht über eine diplomierte Designerin, die den überwiegenden Anteil ihrer Einnahmen als Tätowiererin erzielt. Darüber hinaus ist sie als Illustratorin und Zeichnerin selbständig tätig, nimmt regelmäßig an Ausstellungen teil und hat hierbei auch Preise gewonnen. Die Künstlersozialkasse lehnte aber ihre Aufnahme ab. Dagegen klagte die Frau.
Finanzgericht Düsseldorf
In seiner Einkommensteuererklärung gab ein Tätowierer seinen Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit an. Das Finanzamt sah das aber anders, es verbuchte dies als Einkünfte aus Gewerbebetrieb und verlangte die Zahlung von Gewerbesteuer. Dagegen legte der Tätowierer Einspruch ein. Seine Tätigkeit sei als künstlerisch zu beurteilen, denn er schaffe Bilder, die nur ein einziges Mal zu einem Tattoo würden. Damit nehme er auch an Ausstellungen und Wettbewerben teil.
Das Finanzamt hielt dagegen: Trotz der kreativen Komponente sei Tätowieren handwerklich, da der Schwerpunkt auf der manuell-technischen Umsetzung liege. Tattoos seien Gebrauchskunst. Hieran ändere auch die eigenhändige Motivgestaltung nichts.
Die Urteile
Bundessozialgericht
Das Bundessozialgericht (BSG) geht davon aus, dass Tätowierer grundsätzlich keine Künstler sind. Tätowieren sei trotz einer kreativen Komponente eine handwerkliche Tätigkeit im weiteren Sinne, weil der Schwerpunkt auf dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten liege. Von diesem Grundsatz gebe es jedoch Ausnahmen für Tätowierer, deren individuellen Motive und Tattoos als Unikat zu einem Gesamtkunstwerk verwoben seien.
Dies erfordere, dass die Person künstlerisch ausgebildet oder als Künstler anerkannt sei. Hinzukommen muss, dass sich bei ihnen die Arbeit zwischen Kunst und Handwerk nicht trennen lässt und das Tätowieren nicht die bloße technische Umsetzung einer kreativen Idee ist. Motiv und Tätowierung müssen vielmehr ein Gesamtkunstwerk bilden und ein Unikat sein, das nicht weiter produziert und vermarktet wird.
Diese Kriterien erfüllt die Designerin im vorliegenden Fall und ist daher laut BSG in der Künstlersozialkasse pflichtversichert.
Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Juni 2024, Az. B 3 KS 1/23 R
Finanzgericht Düssseldorf
Das Finanzgericht stellte sich auf die Seite des Tätowierers und urteilte, dass er künstlerisch tätig sei und somit Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit erzielt. Denn die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs unterscheide im Bereich der künstlerischen Tätigkeiten zwischen zweckfreier Kunst und Gebrauchskunst.
- Bei der zweckfreien Kunst reicht es aus, wenn den Werken nach der allgemeinen Verkehrsauffassung das Prädikat des Künstlerischen nicht abgesprochen werden kann und die Arbeiten ausschließlich auf das Hervorbringen einer ästhetischen Wirkung gerichtet sind.
- Bei Gebrauchskunst liegt nach ständiger Rechtsprechung eine künstlerische Tätigkeit nur dann vor, wenn die betreffende Person eigenschöpferisch tätig wird, also eine Leistung vollbringt, in der sich eine individuelle Anschauungsweise und eine besondere Gestaltungskraft widerspiegeln. Außerdem muss diese Leistungen eine gewisse Gestaltungshöhe erreichen. Dafür sei eine Betrachtung des Einzelfalls nötig.
Bei dem hier besagten Tätowierer war das Finanzgericht der Überzeugung, dass seine Tätowierungen der zweckfreien Kunst zuzuordnen seien. Er habe überzeugend dargelegt, dass sich seine Tätigkeit nicht in der Übertragung von durch die Kunden ausgewählten Motiven auf deren Haut erschöpfe. Es sei nicht erkennbar, welcher Gebrauchs- oder Nützlichkeitswert den Tattoos zukomme. Diese verfolgen – nicht anders als Gemälde – einen rein ästhetischen Zweck. Sie würden von den Kunden weder gewerblich genutzt noch handele es sich um Gebrauchsgegenstände mit einem eigenen Nützlichkeitswert.
Auch könne man die Leistungen nicht aufspalten in einen künstlerischen und einen handwerklichen Teil, so das Urteil des FG. Die Tätigkeitsarten seien derart miteinander verflochten, dass sie sich gegenseitig unlösbar bedingten. In solchen Fällen richte sich die steuerliche Beurteilung danach, ob das künstlerische oder das gewerbliche Element vorherrsche. Hier überwiege der künstlerische Teil, selbst wenn man von einem gewerblichen, manuell-technischen Teilbereich ausgehe, so das Urteil. Denn die Leistung des Tätowierers sei vorrangig durch dessen kreative Tätigkeit geprägt. Demgegenüber trete der handwerkliche Aspekt in den Hintergrund. Bei den Werken liege eine schöpferische Leistung vor, die deutlich über den im Wesentlichen erlernbaren manuell-technischen Prozess der Tätowierung hinausgehe, so die Finanzrichter.
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 18. Februar 2025, Az. 4 K 1875/23, Revision zum Bundesfinanzhof ist zugelassen
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Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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