"Wir haben schon eine ganze Menge für das Handwerk erreicht"
Im Gespräch mit dem Deutschen Handwerksblatt berichtet der Hauptgeschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertags, Matthias Heidmeier, über das Krisenmanagment des Verbandes in Corona-Zeiten.
Matthias Heidmeier ist seit November des vergangenen Jahres Hauptgeschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertags und der Landes-Gewerbeförderungsstelle des nordrhein-westfälischen Handwerks. Im Interview spricht er über seinen Start im Handwerk und über die Herausforderungen der Corona-Krise.
DHB: Herr Heidmeier, Sie sind als Hauptgeschäftsführer des WHKT noch nicht lange im Amt und sind nun schon mitten in der größten Krise der Nachkriegszeit. Sie hätten sich sicher einen ruhigeren Start gewünscht.
Heidmeier: So eine Krise wünscht sich keiner. Aber das ist auch die Stunde eines Verbandes wie dem Westdeutschen Handwerkskammertag. Jetzt wird besonders deutlich, wie wichtig es ist, dass eine Organisation wie der WHKT das Handwerk zusammenhält. Die ersten vier Monate meiner Arbeit hier waren geprägt durch viele Vorstellungstermine in Handwerk und Politik. Ich habe mich auch mit den internen Strukturen beschäftigt - und dann kam plötzlich Corona. Das hat alles auf den Kopf gestellt. Es war wichtig, dass der WHKT schnell umfassendes Krisenmanagement aufbaut. Selbstverständlich war das aber kein Alleingang, sondern eine Zusammenarbeit der verschiedenen Handwerksorganisationen in Nordrhein-Westfalen. Das hat vorbildlich geklappt.
DHB: Wer waren die handelnden Akteure auf Seiten des Handwerks?
Heidmeier: Die drei Landesorganisationen des Handwerks. Neben dem WHKT ist das der Unternehmerverband Handwerk NRW und Handwerk.NRW. Dazu kommt die Landesorganisation der Kreishandwerkerschaften. Wir vier sind seit Beginn der Krise regelmäßig im Austausch. Das hat dazu geführt, dass wir Informationen unmittelbar in die Kreishandwerkerschaften, in die Fachverbände hinein weitergeben konnten. Da haben alle Räder ineinandergegriffen. In der Krise haben alle Organisationen an einem Strang gezogen.
Matthias Heidmeier Foto: © WHKTDHB: Ist die Solidarität besonders groß, weil die Corona-Pandemie eine für beinahe alle Handwerksbetriebe essenzielle Krise ist?
Heidmeier: Die Krise ist so außergewöhnlich, dass wir die daraus resultierenden Probleme nur über eine enge Zusammenarbeit stemmen zu können. Es gilt der Satz: Das Handwerk in Nordrhein-Westfalen ist nur stark, wenn es zusammenhält. Nur dann werden wir von der Politik gehört, nur dann können wir unsere Interessen durchsetzen. Dieses Bewusstsein war von Beginn an da. In diesem Bewusstsein haben wir frei von allen Eitelkeiten zusammengearbeitet und für einen offenen und stetigen Informationsfluss gesorgt. Das war sehr wichtig. Da muss ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des WHKT und der LGH ein großes Lob aussprechen. Wir haben es zum Beispiel geschafft, die Informationen zum Thema Betriebsberatung zu sammeln, zu bündeln und in das ganze Land auszurollen. Das war wichtig, weil die Betriebsberatung in der Krise ein entscheidender Schlüssel ist. Da ist es essenziell, dass die Betriebsberatung immer auf dem neuesten Stand ist. Ganz wichtig ist auch das Thema der fortwährenden Lagebeschreibung. Die Lage ist ja extrem dynamisch. Deswegen haben wir den Blick in die Branchen und die Betriebe des Handwerks gerichtet. Es gibt unterschiedliche Daten. Das Zusammenführen der Daten ist eine wichtige Aufgabe, die wir auch hier geleistet haben. Das ist auch deswegen nötig, weil wir mit der Betroffenheit der Branchen und Betriebe politische Entscheidungen vorbereiten können.
DHB: Welche Rückmeldungen bekommen Sie von den Betrieben, sind sie zufrieden mit Ihrer Arbeit?
Heidmeier: Die Betriebsberatung hat sich in der Krise als entscheidende Stütze der Handwerksorganisation erwiesen. Die Betriebsberatung in den Kammern und darüber hinaus ist über ihre Kräfte hinausgewachsen und hat den Betrieben nicht nur an Werktagen, sondern zum Teil auch an Wochenenden zur Verfügung gestanden. Die Rückmeldungen, die wir diesbezüglich aus den Betrieben bekommen, sind sehr positiv.
DHB: Sind die Berater dabei an Kapazitätsgrenzen gestoßen?
Heidmeier: Es gab mit Sicherheit besondere Wellen in der Betriebsberatung – beispielsweise mit der Einführung der Soforthilfe. Da haben wir einen enormen Ansturm erlebt. Das waren viele tausend Beratungsgespräche in ganz NRW. Das ging schon bis an die Belastungsgrenzen. Es ist für die Berater auch nicht immer einfacher, den Druck, der bei einem solchen Gespräch entsteht, standzuhalten. Es geht da ja um existenzielle Krisen. Aber insgesamt haben wir von der hervorragenden Besetzung in der Betriebsberatung sehr profitiert.
DHB: Wie hat der Dialog mit der Politik während der Krise funktioniert?
Heidmeier: Ich glaube, dass wir in Nordrhein-Westfalen mit dem Zusammenwirken von Handwerk und Politik insgesamt zufrieden sein können. Wir haben in puncto Soforthilfe zum Beispiel sehr schnell gute Rahmenbedingungen für unsere Handwerksbetriebe erarbeiten können. Wir haben mit der Politik gemeinsam sehr schnell auf die Situation in unseren Bildungszentren reagieren können. Wir haben zum Wirtschafts- und zum Arbeitsministerium einen sehr engen Draht. Natürlich gibt es auch Probleme, die wir anpacken müssen, aber insgesamt war das eine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Das ist nicht selbstverständlich. Ich habe aus anderen Bundesländern anderes vernommen. Aber in NRW hat das Land adäquat auf die Belange des Handwerks reagiert. Jetzt nach dem akuten Krisenmanagement erreichen wir allerdings auch eine neue Phase: wir müssen Ideen und Konzepte entwickeln, die uns helfen, die wirtschaftliche Talsohle schnell hinter uns zu lassen. Da müssen wir immer wieder aufpassen, dass die Belange der 190.000 Handwerksbetriebe in NRW berücksichtigt werden.
DHB: Der Betrieb in den Bildungszentren hat jetzt langsam wieder begonnen. Gelingt das gut? Dort sind ja auch strenge Auflagen zu erfüllen.
Heidmeier: Wir hatten in den Bildungszentren über Wochen einen verordneten Stillstand. Dabei sind Kosten entstanden, die nicht an den Bildungszentren hängen bleiben dürfen. Hier hat uns Arbeitsminister Laumann Unterstützung zugesagt. Wir haben intensive und erfolgreiche Verhandlungen mit dem Arbeitsministerium über ein Hilfspaket geführt. Wir erwarten, dass dieses Paket für die Bildungszentren jetzt auch im Landeskabinett verabschiedet wird. Jetzt haben wir in einem zweiten Schritt die Bildungszentren wieder geöffnet. Gemeinsam mit der Landesregierung haben wir an Hygiene- und Schutzkonzepten gearbeitet. Die Rückmeldungen aus den Bildungszentren sind insgesamt positiv, sie sind auch unter den Bedingungen der Pandemie in der Lage zu arbeiten. Und der Betrieb läuft überall relativ gut an. Das ist ein anderes Miteinander als vorher, weil zum Beispiel Abstände gewahrt oder Klassengrößen reduziert werden müssen. Aber insgesamt überwiegt die Erleichterung, dass Arbeit in den Bildungszentren wieder möglich ist. Wir brauchen die ausgebildeten jungen Menschen auch in unseren Betrieben.
DHB: Gibt konkrete Forderung für das Unterstützungspaket?
Heidmeier: Im Bereich der Bildungszentren muss sich auch der Bund seiner Verantwortung für die Kosten der Krise bewusst werden. Da will das Land schon seinen Beitrag leisten. Wir schauen derzeit noch auf die Frage, was der Bund macht, um die Bildungszentren des Handwerks zu unterstützen. Denn eins ist klar: Es geht um die Zukunftsfähigkeit der handwerklichen Ausbildung. Und da ist es nötig, dass wir das Thema Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung akzentuieren. Es kann nicht sein, dass diese Krise zu Lasten der Zukunftsfähigkeit und der Modernität unserer Bildungszentren und damit zulasten der beruflichen Ausbildung geht.
DHB: Sind die Interessen des Handwerks bei den Maßnahmen der Politik und der nun eingeleiteten Lockerungen der Wirtschaftsbeschränkungen ausreichend berücksichtigt?
Heidmeier: Der WHKT hat in den letzten Wochen mitgeholfen, Brücken zu bauen für Gewerke, die noch von der Schließung noch betroffen waren. Wir haben mit dem Arbeitsministerium sehr gute Verhandlungen zum Thema Wiedereröffnung der Friseure geführt. Dabei konnten wir im Dialog mit dem Branchenverband konkrete Hygiene- und Schutzregeln erstellen. Das war die Blaupause für die weiteren Öffnungsschritte, zum Beispiel in der Kosmetikbranche. Auch die Kosmetikerinnen und Kosmetiker können unter hohen Hygiene- und Schutzmaßnahmen wieder arbeiten. Mit diesem Ergebnis können wir zufrieden sein. Kein Handwerk ist mehr pauschal verboten. Alle Handwerke in NRW können arbeiten. Hier appellieren wir nun an alle Betriebe: Hygiene- und Schutzstandards sind jetzt Teil der Normalität. An die muss man sich halten.
Matthias Heidmeier Foto: © WHKTDHB: Welche Maßnahmen sind darüber hinaus notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit der Handwerksbetriebe zu sichern?
Heidmeier: Wir haben schon eine ganze Menge für das Handwerk erreicht. In den kommenden Monaten, in denen die Auftragsdelle immer deutlicher zu spüren sein wird, braucht das Handwerk auch Aufträge der öffentlichen Hand. Die kommunale Selbst-, aber auch die Landesverwaltung muss dafür sorgen, dass diese Aufträge auch vergeben werden können. Wir brauchen jetzt die volle Handlungsfähigkeit der Kommunen auch in puncto Auftragsvergabe. Insofern müssen auch die Verantwortlichen in den Kommunen den Themen Auftragsvergabe und Investitionen vor Ort hohe Priorität einräumen. Das ist weniger eine Frage der Lockerung von Wirtschaftsbeschränkungen, sondern eine Frage der neuen Schwerpunktsetzung, die wir jetzt dringend brauchen. Wir brauchen Investitionen, wir brauchen Aufträge, wir brauchen funktionierende Planungs- und Genehmigungsbehörden, wir brauchen funktionierende Bauämter, wir brauchen funktionierende Zulassungsstellen. Und wir brauchen auch eine Kommunalpolitik, die sich ihrer Verantwortung für die regionale Wirtschaft bewusst ist.
DHB: Was wünschen Sie sich vom Land?
Heidmeier: Es könnte eine wichtige Überlegung sein, auch als Konsequenz aus dieser Krise, das Thema Digitalisierung in den kleinen und mittleren Unternehmen des Handwerks neu zu akzentuieren. Eine Digitalisierungsprämie könnte hier meines Erachtens hilfreich sein. Das ist nicht neu, so etwas gibt es schon in anderen Ländern. Allerdings wurde das ohne die Vorzeichen der Krise eingeführt. Ich glaube, wir hätten mit einer Digitalisierungsprämie in Nordrhein-Westfalen die Chance, eine ganze Menge zu erreichen. Denn: Wir haben in der Krise festgestellt, dass es zwar einige Handwerksbetriebe gibt, die digital gut aufgestellt sind, aber wir haben auch festgestellt, dass einige Betriebe digital noch nicht gut aufgestellt sind – zum Beispiel beim Kundenkontakt oder im Rechnungswesen. Es geht darum, Anreize zu schaffen für Investitionen in Hard- und Software. Das Land könnte so einen nachhaltigen konjunkturellen Impuls setzen, und Unternehmen helfen, die jetzt in ihre digitale Infrastruktur investieren wollen. Das ist ein Vorschlag, über den man sprechen muss. Wir hätten so eine Lösung, die branchenübergreifend wirkt und sehr gerecht ist – und gewiss nachhaltiger als andere gerade diskutierte Mittel. Digitalisierung ist etwas, das uns in den kommenden Jahrzehnten begleiten wird.
Das Interview führte Lars Otten.
Text:
Lars Otten /
handwerksblatt.de
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