"Du darfst laut sein!"
Handwerk erleben, Vorbilder treffen: Wie Mädchen beim Berufs-Orientierungstag in ihrer Schule mit "Inspiring Girls" neue Wege entdecken.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Frauen im Handwerk
Sssstt – der Akkuschrauber brummt und schon sitzt die Holzschraube fest in der Spanplatte. Die 13-jährige Serap hat es beim zweiten Versuch geschafft. Sie strahlt und ihre Mitschülerinnen applaudieren begeistert. "Macht dir das Spaß?", fragt Zelma Schütz, Auszubildende bei der Schreinerei Heimlich in Köln. "Total!", ruft Serap lachend. Auch die anderen Mädchen werden neugierig und möchten nun selbst ihr handwerkliches Geschick testen. Geduldig und mit ruhiger Stimme zeigt Zelma, wie man die Schraube hält und das Gerät richtig ansetzt. Die 23-Jährige, selbst im zweiten Lehrjahr, hat Werkzeuge und Material aus ihrer Werkstatt mitgebracht, damit die Schülerinnen der Geschwister-Scholl-Realschule in Köln alles ausprobieren können.
Zelma ist als Role Model, also Rollenvorbild, für die Initiative "Inspiring Girls" am Berufs-Orientierungstag der Schule dabei und zeigt den Achtklässlerinnen, was eine Schreinerin in ihrem Arbeitsalltag macht. "Du darfst ruhig laut sein", ermuntert sie eine Schülerin, die anfangs noch recht zaghaft einen Nagel in ein Brett schlägt. Daraufhin hämmert die 14jährige deutlich kraftvoller drauflos, man sieht ihr die Freude an.
Zelma Schütz beim Workshop mit den Schülerinnen Foto: © Anne KieserlingDass Mädchen nicht nur die typischen Frauenjobs ergreifen, sondern auch jenseits der Rollenklischees eine berufliche Perspektive finden, ist die Idee hinter "Inspiring Girls". Die Initiative schickt Frauen, die in männerdominierten Berufen arbeiten, für kurze Workshops in Schulen und Unternehmen. Dort erzählen die Role Models aus ihrem Job – zum Beispiel als Programmiererin, Unternehmerin und eben Handwerkerin. So geben sie den Schülerinnen und Schülern ein Beispiel und motivieren sie, sich beruflich auszuprobieren und nicht nur auf den bekannten Pfaden zu bewegen.
Mehr Frauen ins Handwerk!
Das passt gut zu der Kampagne des Handwerks, die mehr junge Frauen für eine Ausbildung gewinnen will. Handwerkerinnen gibt es immer noch zu wenige, vor allem in männertypischen Berufen. Hier ist Umdenken nötig – auch bei Eltern, Lehrern und in der gesamten Gesellschaft!
Immerhin: Im letzten Jahr gab es mehr Meisterinnen, zeigt eine aktuelle Studie des Kompetenzzentrums für Fachkräftesicherung. Der größte prozentuale Zuwachs war im Hoch- und Tiefbau zu verzeichnen – wahrlich keine klassische weibliche Domäne. Damit sich mehr junge Frauen für bisher männerdominierte Berufe interessieren, braucht es eine klischeefreie Beratung, eine geschlechtergerechte Ausbildungskultur in Betrieben und Berufsschulen, praktische Erfahrungen wie etwa den Girls'Day und vor allem sichtbare weibliche Vorbilder.
Ein ganzes Auto selbst bauen
Auch für die beiden Handwerkerinnen, die an diesem Tag als Role Model unterwegs sind, waren Begegnungen in ihrem Alltag die entscheidenden Impulse für ihre Berufswahl. Zelma Schütz hat auf einem Festival beim Aufbau mitgeholfen und so viel Spaß daran entwickelt, dass sie von ihrem Literaturstudium auf die Schreinerei umsattelte.
Karosseriebauerin Victoria Schneider kam ebenfalls als Quereinsteigerin ins Handwerk: Die 28jährige arbeitete mehrere Jahre lang als Erzieherin, bevor sie sich für eine Lehre bei dem Karosserie-Fachbetrieb Hürter in Köln entschied. Die Idee kam ihr, als sie ihren 40 Jahre alten Mercedes selbst wieder auf Vordermann brachte. Auch sie leitet heute einen Workshop in der Realschule und hat als Anschauungsobjekt das Meisterstück ihre Chefs mitgebracht: ein selbstgebautes Cabrio-Modell. Daran erklärt sie, wie gute Schweißnähte aussehen.
Victoria Schneider zeigt den Mädchen, wie man Karosseriebleche bearbeitet Foto: © Anne Kieserling "Am liebsten restauriere ich Oldtimer. Man braucht viel Kreativität, um alte Autos zu reparieren, weil jeder Wagen anders ist. Da gibt es kein Schema F", sagt Victoria. Auf ihre Frage an die Gruppe, wer denn weiß, was eine Karosseriebauerin macht, sieht sie nur ratlose Gesichter. "Wenn ich die Fahrgestellnummer kenne, kann ich am Ende meiner Ausbildung ein ganzes Auto allein bauen", erklärt die Handwerkerin.
Die Schülerinnen sind beeindruckt. Jetzt dürfen sie mit dem Spezialwerkzeug hantieren, etwa die Blechschere benutzen und auf Metall einhämmern. "Ich lasse dabei gerne meinen Frust raus", betont die Azubine den Zusatznutzen des Hämmerns für die Psyche. "Hau einfach mal mit Schmackes drauf!" ermuntert sie die Mädchen. Auch hier legt sich die anfängliche Zaghaftigkeit schnell, sie dengeln mit Begeisterung auf die mitgebrachten Bleche ein. "Ihr seid alle sehr treffsicher, selbst bei kleinen Blechen landet kein Finger dazwischen", lobt Victoria.
Vorbilder inspirieren
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Wie auch Zelma wurde sie von ihrem Arbeitgeber für den halben Tag freigestellt, um als Role Model in der Schule ihren Beruf vorzustellen. Zum Abschluss erzählt sie den Schülerinnen von Frauen, die in einem von Männern geprägten Metier schon früh ihren eigenen Weg gingen und bahnbrechende Beiträge leisteten: von Bertha Benz, der deutschen Pionierin des Automobils, die 1888 die erste Autoreise der Welt unternahm; von Dorothy Levitt, der britischen Rennfahrerin, die den Rückspiegel erfand und vehement für das Frauenrecht auf Autofahren kämpfte und von Mary Anderson, die 1903 das erste Patent auf einen Scheibenwischer erhielt.
Wahrlich inspirierende Vorbilder! Solche Geschichten machen Mut und zeigen: Frauen können im Handwerk Großes bewegen.Frauen im HandwerkFrauen hielten in den handwerklichen Berufen zuletzt einen relativ konstanten Anteil von etwa einem Drittel. Bei den Auszubildenden lag 2023 der Frauenanteil bei 14,1 Prozent. In den gewerblich-technischen Berufen bleiben Frauen vielfach jedoch noch unterrepräsentiert. Weit oben rangieren Berufe wie Maßschneiderin (Frauenanteil 2023: 86,1 Prozent), Goldschmiedin (72,9 Prozent) oder Konditorin (85,0 Prozent). Auch wenn der Friseurberuf noch unangefochten auf Platz Eins der Auszubildenden steht: In vielen Bereichen wird das Handwerk deutlich weiblicher. Stark gestiegen ist die Zahl junger Frauen, die Kraftfahrzeugmechatronikerin, Tischlerin, Augenoptikerin, Elektronikerin, oder Malerin und Lackiererin werden. Fast jede fünfte erfolgreiche Meisterprüfung wurde 2023 von einer Frau absolviert –18,1 Prozent. (Quelle: ZDH)
Inspiring Girls Die gemeinnützige und ehrenamtliche Initiative Inspiring Girls möchte Mädchen ermutigen, Berufe jenseits der klassischen Rollenbilder zu entdecken. Sie arbeitet mit Bildungseinrichtungen, Firmen und Verbänden zusammen. Die Organisation bringt Schülerinnen mit Frauen aus vielen unterschiedlichen Berufen zusammen, die als Role Models in Schulen und Unternehmen über ihren Werdegang und ihren beruflichen Alltag berichten. Handwerkerinnen sind herzlich willkommen! Auch die aktuelle Miss Handwerk, Beton- und Abbruchtechnikerin Katja Lilu Melder ist mit dabei.
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Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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