Hans-Jörg Friese ist seit 2014 Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen. Trotz vieler Gespräche hat er das Gefühl, als Vertreter des Handwerks von der Politik zwar angehört, aber nicht erhört zu werden.
DHB: Können Sie das Wort Fachkräftemangel überhaupt noch hören?
Friese: Ich rede jedenfalls nicht mehr so gerne darüber, weil wir aus meiner Sicht einen überhöhten Fachkräftebedarf haben. Das hat die Politik mit ihren gesetzlichen Vorgaben verursacht, ohne überhaupt abzuklären, ob die Handwerkerschaft in der Lage ist, alles im politisch gewünschten Zeitraum zu leisten, egal ob es jetzt aktuell die Wärmepumpen oder andere Themen sind.
DHB: Es ist also eher die zeitliche Komponente, zu viel in zu kurzer Zeit zu verlangen?
Friese: Die Erwartungshaltung ist, bis 2030 in Sachen erneuerbarer Energie alles in die Gänge zu kriegen. Was machen dann die Betriebe in sieben, acht Jahren mit dem Personal, wenn der Markt abgegrast ist und nichts mehr läuft? Die Zeiträume, die vorgegeben werden, sind politisch falsch, sie funktionieren in der Praxis nicht. Wir brauchen einfach mehr Planungssicherheit.
DHB: Es gibt die Idee einer modularen Ausbildung …
Friese: … die total wahnwitzig ist. In zwei Monaten eine Person zum Wärmepumpeninstallateur auszubilden? Irrsinn. Eine Schraube drehen oder eine Leitung anschließen kann jeder, der nicht gerade zwei linke Hände hat, aber eine Anlage in Betrieb zu nehmen, mit der Vorberatung, mit dem Gesamtkonzept zur Energieeinsparung für das Gebäude, ist eine ganz andere Hausnummer. Aber ich weiß ganz genau, entweder werden wir von der Politik überrannt, was nicht passieren darf, oder sie werden vernünftig und geben der ganzen Sache Zeit.
DHB: Fühlen Sie sich als Vertreter des Handwerks und als Präsident einer Handwerkskammer von der Politik mitgenommen?
Friese: Verbal bestätigen alle, dass sie zuhören – aber es passiert nichts. Wir führen seit Jahren die gleichen Gespräche, mit den gleichen Themen, mit den gleichen Versprechen. Als Vertreter des Handwerks hat man oft das Gefühl, dass man nicht ankommt und wir sind gerade mit der Bildungspolitik hier in Rheinland-Pfalz nicht zufrieden.
DHB: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Friese: Nehmen wir unsere Idee, hier in Rheinhessen ein Handwerker-Gymnasium einzuführen, nach thüringischem Vorbild. Die Schüler machen die Oberstufe und während der dreijährigen Oberstufe wird gleichzeitig schon die Ausbildung im Teil III und IV der Meisterprüfung gemacht. Sie absolvieren dann regulär ihr Abitur und können danach zu einem festgelegten Termin Teil III und IV der Meisterprüfung abschließen. Anschließend können sie in die Ausbildung gehen, durchaus auch verkürzt, und brauchen nur noch in der Meisterprüfung die Teile I und II machen.
DHB: Setzt das die Schüler nicht unter zu großen Leistungsdruck?
Friese: Die Idee stammt aus Thüringen, oder, wenn man noch weiter zurückgeht, aus DDR-Zeiten, wo es übrigens gang und gäbe war, junge Menschen schon in den Gymnasien auch auf Handwerksberufe vorzubereiten. Wir in Rheinland-Pfalz haben zweieinhalb Jahre Oberstufe. Während dieser Zeit machen die Schülerinnen und Schüler auch regelmäßig Praktika in Handwerksbetrieben entsprechend ihrer Neigungen – von daher lässt sich das gut verbinden.
DHB: Wie hat das rheinland-pfälzische Bildungsministerium darauf reagiert?
Friese: Unser stellvertretender Hauptgeschäftsführer, der auch für die Bildung zuständig ist, wurde ins Bildungsministerium vorgeladen und dabei massiv auf ihn eingeredet, dass wir diese Idee verwerfen und am besten gar nicht darüber reden sollen. Ein Unding und er hat direkt erklärt, dass die Handwerkskammer Rheinhessen sowohl über die Geschäftsführung als auch über das Ehrenamt diese Idee weiter propagieren wird – und das massiver als vorher.
DHB: Gibt es schon Reaktionen aus der Politik darauf?
Friese: Noch nicht, da bin ich sehr gespannt drauf. In Mainz wird gerade ein neues Gymnasium gegründet, was allerdings wegen bautechnischer Fehler noch nicht eröffnet werden kann und sie daher in ein ehemaliges IT-Gebäude ziehen. Das soll ein ganz modernes Gymnasium sein. Eine Partei – ohne jetzt Farben zu nennen – würde unsere Idee dort ansiedeln. Nur: Alle anderen Parteien sind dagegen, aber ohne zu wissen, warum.
DHB: Haben Sie eine These?
Friese: Ich persönlich vermute, dass das rheinland-pfälzische Bildungsministerium in Richtung einer Gesamtschule, einer Einheitsschule, gehen will. Was ich persönlich für höchst problematisch ansehe. Mein Enkelkind, eine 1,0-Schülerin in der Grundschule, kommt jetzt in die weiterführende Schule, das Gymnasium. Würde ich sie gerne in der Realschule plus sehen? Eher nicht, weil da Kinder mit dem unterschiedlichsten Niveau, angefangen mit der Hauptschule über Förderschulen bis hin zum Gymnasium, unter einem Dach zusammengewürfelt werden. Die Folge erleben wir in den Handwerksbetrieben, wenn wir Nachwuchskräfte einstellen wollen. Das Niveau ist so abgesunken, dass wir auf diese jungen Menschen nur teilweise zurückgreifen können.
DHB: Das Handwerk muss Defizite der Schulen, aber auch der Eltern ausgleichen …
Friese: …richtig, weil wir so viele Mängel in der Bildung haben. Selbst das Wissen um einfachste Formeln, die wir im Friseurhandwerk brauchen, etwa das Mischungsverhältnis von 1:1,5, wird nicht beherrscht. Ein anderer drastischer Fall sind Spektralfarben oder Farbkreise. Ich habe das nachgeschaut: Von der ersten bis zur neunten Klasse Realschule Plus wird der Farbkreis nicht gelehrt, erst in der zehnten Klasse haben die eine Woche Naturwissenschaften, aber das Thema kommt weder im künstlerischen Bereich noch in der Physik vor. Und das Wissen über Spektralfarben brauchen fast alle Branchen – und es gehört auch zur Allgemeinbildung.
DHB: Sie weisen darauf hin, aber es ändert sich nichts …
Friese: … und wir landen wieder bei der Eingangsfrage, ob man uns erhört oder nur hört und wir ernstgenommen werden. Eines der Dauerthemen ist die Gleichwertigkeit der beruflichen mit der akademischen Bildung. Seit Jahren sind wir uns einig, aber im Gesetz fehlt das noch immer. Unterm Strich können wir Handwerker so arrogant sein und sagen, wenn die Studenten keine Gleichwertigkeit haben wollen, dann bleiben wir halt über denen stehen.
DHB: Dabei sollten sich die Karrierechancen als Betriebsinhaber im Handwerk langsam herumgesprochen haben.
Friese: Ja, aber das ist leider auch eine Frage des Images. Das Handwerk ist verschrien als schlecht bezahlt, wenig Vermögen, schlechtes Einkommen – das ist Quatsch, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und kann sich mit Fleiß etwas aufbauen. Aber Grundlage ist nun mal eine gute Ausbildung.
DHB: Die basiert auch auf entsprechenden Lernstätten. Doch gerade die Berufsschulen müssen um Gelder betteln.
Friese: Das passt eben nicht richtig dazu, weil Bildung und Ausbildung die Schlüssel sind. Gerade die Planung der Fördermittel für die Berufsbildungszentren sind für uns ein großes Anliegen in Rheinland-Pfalz, was aber auch für die anderen Bundesländer gilt. Die Berufsbildungszentren in Westdeutschland sind nahezu alle gleichzeitig in den 60er Jahren entstanden, jetzt sind die Gebäude marode und haben es hinter sich, in zehn Jahren sind dann die Zentren in den östlichen Bundesländern dran.
DHB: Immerhin hat der Bund dafür 200 Millionen in den Haushalt gestellt.
Friese: Das hört sich toll an, aber dann muss man doch auf die tatsächlichen Kosten vor Ort schauen. Ein Beispiel ist unsere Partnerkammer in Lübeck: Die planen ihr Projekt mit einem Gesamtvolumen von 200 Millionen Euro.
DHB: Sie sind aber auch gerade in der Neubau-Phase.
Friese: Wobei wir mit einer Investition von 40 Millionen Euro ein kleines Projekt haben. Zumal man dann noch sieben Millionen davon abziehen muss, die wir für das eigene Verwaltungsgebäude der Handwerkskammer geplant haben. Wenn ich diese Zahlen auf das Bundesgebiet hochrechne, werte ich die 200 Millionen Euro vom Bund eher als Witz.
DHB: Immerhin können Sie nach Fertigstellung Ihres Neubaus dann aber auch aus einem der modernsten Gebäude heraus das Handwerk vertreten.
Friese: Ja, das ist auch unser Ziel, hochmodern die Interessen des Handwerks in Rheinhessen zu vertreten. Meine erklärte Vorgabe ist es, dann die Abläufe zu 100 Prozent digitalisiert zu haben.
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Text:
Stefan Buhren /
handwerksblatt.de
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