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Mobilitätsberaterin Rebecca Hof (rechts) von der Handwerkskammer Düsseldorf berät Auszubildende, Gesellen und Ausbilder, die einen Auslandsaufenthalt planen. Neben den offiziellen Programmländern von Erasmus+ in Europa werden auch Mobilitäten in Partnerländer auf der ganzen Welt gefördert. (Foto: © Wilfried Meyer)

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Auslandsaufenthalte so gefragt wie lange nicht

Junge Menschen wollen die Welt entdecken. Programme wie Erasmus+ ermöglichen ein Praktikum im Ausland. Doch nicht nur Azubis werden gefördert, sondern auch Gesellen und Ausbilder. Die Mobilitätsberatung hilft bei der Planung.

Immer mehr Auszubildende wollen Berufserfahrungen im europäischen Ausland sammeln. "Erasmus+ boomt", fasst die Nationale Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NA BIBB) diese Entwicklung zusammen und verweist dabei auf die aktuellen Zahlen des europäischen Förderprogramms. Demnach erhielten 2024 rund 37.000 Auszubildende in Deutschland ein Stipendium (siehe Abbildung unten), um damit während ihrer Ausbildung ein Auslandspraktikum in Europa zu absolvieren – ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und die "seit 1995 höchste erreichte Zahl an Teilnehmenden".

Mobilitätsberatung der Handwerkskammer

Rebecca Hof erreicht seit dem Ende der Corona-Pandemie ständig neue Höchststände. 2023 hat die Mobilitätsberaterin der Handwerkskammer Düsseldorf knapp 90, 2024 sogar fast 100 Auslandspraktika organisiert. Dieses Jahr scheint sie wieder einen neuen Rekordwert anzupeilen. Bereits im Frühjahr kommt sie auf rund 50 geplante Mobilitäten. "Das Netzwerk von 'Berufsbildung ohne Grenzen' erhält immer mehr Anfragen. Eine Entsendung ins Ausland wird auch im Handwerk immer populärer", fasst sie ihre Eindrücke von einem Treffen der Mobilitätsberaterinnen und -berater Anfang April 2025 zusammen.

Erasmus+ boomt! Auslandsaufenthalte von Lernenden und Bildungspersonal zwischen 2015 und 2024 in ganz Deutschland Foto: © NA BIBB/Grafik: DHBErasmus+ boomt! Auslandsaufenthalte von Lernenden und Bildungspersonal zwischen 2015 und 2024 in ganz Deutschland Foto: © NA BIBB/Grafik: DHB

Nach ihrer Einschätzung gibt es viele Gründe, die den Aufwärtstrend erklären: Berichte im Fernsehen wecken das Interesse. Ehemalige Stipendiaten verbreiten ihre Begeisterung in den sozialen Medien. Das Netzwerk der Mobilitätsberater rührt ebenfalls die Werbetrommel. Ausbildungsbetriebe erkennen die Notwendigkeit, sich mit einem Auslandspraktikum attraktiver für potenzielle Bewerber zu machen und einem engagierten Azubi "ein besonderes Goodie" zu bieten.

Und dann sind da noch die Teilnehmer selbst – vor allem die Auszubildenden. "Nach den Reisebeschränkungen wollen viele unbedingt wieder raus und dabei nicht nur Urlaub machen, sondern auch berufliche Erfahrungen sammeln", erklärt Rebecca Hof die Motivation der angehenden Fachkräfte, einige Zeit im Ausland zu verbringen.

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Gruppen- und Einzelentsendungen

Eine niedrige Hemmschwelle, um erstmals die Fühler nach Europa auszustrecken, bieten Gruppenentsendungen. Davon hat die Handwerkskammer Düsseldorf einige im Programm. "Sehr gut" läuft nach Auskunft der Mobilitätsberaterin etwa ein Projekt mit der Handwerkskammer für Schwaben. Sie entsenden gemeinsam Bäcker- und Konditoren-Azubis für drei Wochen nach Vigo (Spanien). Offen für verschiedene Gewerke ist die vierwöchige Gruppenreise nach Turku (Finnland). Speziell auf einen Ausbildungsberuf zugeschnitten sind dagegen die Auslandsaufenthalte in Kilkenny (Irland) und Tours (Frankreich), wo Lehrlinge des Friseur- beziehungsweise Raumausstatterhandwerks jeweils zwei Wochen verbringen.

Rund die Hälfte der Mobilitäten entfällt bei der Handwerkskammer Düsseldorf auf Einzelentsendungen. "Spanien liegt bei den Auszubildenden ganz weit vorne, aber auch die skandinavischen Länder sind sehr gefragt", sagt Rebecca Hof. Im Durchschnitt würden Auszubildende drei bis vier Wochen im Ausland verbringen. Bei der Auswahl ihres Traumziels sind sie nicht mehr nur auf den alten Kontinent beschränkt. "Das Programm Erasmus+ hat sich geöffnet und fördert neben den offiziellen Programmländern auch Mobilitäten in Partnerländer auf der ganzen Welt. Lediglich Staaten, für die eine Reisewarnung gilt, sind davon ausgenommen."

Angebote für Gesellen und Ausbilder

Die beliebtesten Zielländer des EU-Bildungsprogramms Erasmus+ von Teilnehmern aus Deutschland im Jahr 2022 Foto: © NA BIBB/Grafik: DHBDie beliebtesten Zielländer des EU-Bildungsprogramms Erasmus+ von Teilnehmern aus Deutschland im Jahr 2022 Foto: © NA BIBB/Grafik: DHB

Eine Besonderheit von Erasmus+, die entweder kaum bekannt ist oder selten genutzt wird: Gesellen können innerhalb von 52 Monaten nach dem Ende ihrer Ausbildung auf "eine komfortable Art der Walz" gehen und in mehreren Ländern Europas (siehe "Als Gesellin in fünf Länder") oder sogar weltweit Praktika machen.

Neben Auszubildenden und Gesellen sind Ausbilder und Lehrkräfte die dritte Zielgruppe für Auslandsaufenthalte in der beruflichen Bildung (siehe "Als ÜLU-Leiterin nach Spanien"). Die Zahlen bei der Entsendungen des so genannten Bildungspersonals legten ebenfalls zu, doch sie könnten nach Rebecca Hofs Geschmack noch höher sein. "Bei den Beratungen der Auszubildenden sind manchmal auch deren Ausbilder oder die Betriebsinhaber mit dabei. Mein Hinweis, dass auch sie während einer kurzen Reise ein anderes Bildungssystem kennenlernen, ihren ausländischen Kollegen im Rahmen eines 'Job Shadowing' über die Schulter schauen oder Kontakte zu Partnerbetrieben für einen Auslandsaufenthalt ihrer Azubis knüpfen, wird leider nicht so oft gehört", bedauert die Mobilitätsberaterin.

Themen-Special: Auslandspraktikum In unserem Themen-Special "Berufserfahrung im Ausland sammeln" auf handwerksblatt.de finden Sie Erfahrungsberichte von Handwerkern, die für einige Zeit im Ausland gewesen sind, darunter mit Erasmus+, AusbildungWeltweit und mit dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm des Deutschen Bundestags in die USA. 

Planung eines Auslandsaufenthalts

Ein Auslandsaufenthalt will gut vorbereitet sein. Bei Entsendungen innerhalb Europas empfiehlt Rebecca Hof eine Vorlaufzeit von drei Monaten vor der geplanten Ausreise. "Es geht zwar auch schneller, aber ich bin kein großer Fan überhasteter Anfragen." In der Regel dauere es am längsten, den passenden Gastbetrieb zu finden. In die Suche bindet sie die Teilnehmer möglichst mit ein. Sie kann aber auch auf ein weit verzweigtes Netz von Kontakten in Europa zugreifen.

Bei der Organisation gilt es, auf mögliche Fallstricke zu achten. Dies können etwa Regelungen zur Einreise sein. Das jüngste Beispiel liefert das Vereinigte Königreich. Seit Anfang April benötigen EU-Bürger, die kein Visum für einen Aufenthalt in England, Schottland, Wales oder Nordirland haben, eine kostenpflichtige, elektronische Einreisegenehmigung (Electronic Travel Authorization – ETA). "Sobald diese Fragen geklärt sind, kann ich relativ schnell ein Stipendium beantragen und die Teilnehmer können Fahrkarten, Flugtickets und eine Unterkunft buchen."

Kontakt zur Mobilitätsberatung

Im Netzwerk "Berufsbildung ohne Grenzen" sind etwa 75 Experten organisiert, die zu Auslandsaufenthalten informieren. Zwei Drittel davon sitzt bei einer Handwerkskammer. Interessenten, in deren Kammerbezirk es keinen Mobilitätsberatung gibt, rät Rebecca Hof, sich an die Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk oder an die DIHK Service GmbH wenden. "Die beiden Koordinierungsstellen sortieren diese Anfragen und leiten sie an eine passende Beratungsstelle weiter." Alle Kontaktdaten, aber auch weiterführende Informationen zu Auslandspraktika sind im Internetauftritt von "Berufsbildung ohne Grenzen" zu finden. 

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Als Azubi nach Finnland

Kai Kanehl hat sein Auslandspraktikum in einem Grabsteinbetrieb in Finnland gemacht. Foto: © privatKai Kanehl hat sein Auslandspraktikum in einem Grabsteinbetrieb in Finnland gemacht. Foto: © privat

Kai Kanehl absolviert eine Ausbildung zum Steinbildhauer bei Grabmale Hundhausen in Remscheid. Der 24-Jährige hat sein Auslandspraktikum in Finnland verbracht. Gefördert wurde der rund sechswöchige Aufenthalt von Ende September bis Anfang November 2024 über das Programm "Erasmus+".

Ein Land in Asien wäre sein Wunschziel für ein Auslandspraktikum gewesen. "Aber leider hat sich dort kein Betrieb gemeldet", bedauert der Azubi im dritten Lehrjahr. Am Ende ist es Finnland geworden. Ebenfalls eine gute Wahl. Den Kontakt zu einem Grabsteinbetrieb in Tuusula – rund 30 Kilometer nördlich von der Hauptstadt Helsinki gelegen – hat eine Berufsschule vermittelt, mit der Mobilitätsberaterin Rebekka Hof zusammenarbeitet.

In dem Zwei-Mann-Unternehmen hat sich der junge Handwerker sehr wohl gefühlt. "Sie wollten mir eine tolle Zeit in Finnland bereiten und haben mir sogar während der Arbeitszeit einige Sehenswürdigkeiten in der Umgebung gezeigt, einmal mittags finnische Spezialitäten serviert und sind abends mit mir zum Bowlen gegangen." Verständigungsprobleme gab es nicht. "Die gesamte Kommunikation lief auf Englisch ab. Ich habe aber auch ein paar finnische Wörter beigebracht bekommen."

Dank seiner guten Ausbildung konnte der angehende Steinbildhauer viele Arbeiten selbstständig erledigen. Neu gelernt hat er das Vergolden von Inschriften. "Das ist auf finnischen Friedhöfen gang und gäbe." Besonders beeindruckt hat ihn der herzliche Umgang. So habe man sich nach jedem gelungenen Setzen eines Grabsteins "die Faust gegeben" und die Arbeit gelobt. Auch die neue Beschriftung eines Grabsteins habe man sich gemeinsam angeschaut und die Leistung gewürdigt. "Ich finde es ganz wichtig, dass auch diese kleinen Dinge wertgeschätzt werden", nimmt Kai Kanehl als wichtige Erfahrung aus seinem Auslandspraktikum mit. 

Als Gesellin in fünf Länder

Tischlergesellin Lilly Boßerhoff hat ein Jahr nach ihrer Ausbildung mehrere Betriebspraktika in Europa gemacht. Foto: © privatTischlergesellin Lilly Boßerhoff hat ein Jahr nach ihrer Ausbildung mehrere Betriebspraktika in Europa gemacht. Foto: © privat

Lilly Boßerhoff hat nach dem Ende ihrer Ausbildung fünf Praktika im Ausland absolviert. Zwischen August 2023 und Juni 2024 war die 22-jährige Tischlerin dank der Förderung über das EU-Programm Erasmus+ für neun Wochen in Finnland, rund fünf Wochen in Österreich, sieben Wochen in Portugal, acht Wochen in Frankreich und sechs Wochen in Irland.

Ihren Trip ins Ausland hat Lilly Boßerhoff dem Zusammenspiel aus Fernsehen, Social Media und einem Treffen im realen Leben zu verdanken: "In der Doku-Serie 'Passt, wackelt und hat Luft' war eine Tischlerin zu sehen, der ich auf Instagram gefolgt bin und die dort über ihr Praktikum berichtet hat. Später habe ich sie dann auf einer Lossprechungsfeier getroffen", rekapituliert die Niederrheinerin den Anstoß für ihr Auslandsjahr mit Erasmus+.

Nachdem sie die Tischlerausbildung abgeschlossen hatte, stand für sie fest: "Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um den Stress der Gesellenprüfung hinter mir zu lassen und zu reisen!" Die erste Station sollte Norwegen sein. Doch es klappte nicht. Alternativ bot sich Finnland an. Österreich war eine pragmatische Wahl. "Es ging auf den Winter zu und fahre gerne Ski", begründet sie die Wahl der zweiten Etappe ihrer Tour durch Europa. Ihr Betrieb in Frankreich war eine Entdeckung auf Instagram. Dort wollte sie unbedingt hin, um Yachten auszubauen. Die Aufenthalte in Portugal und Irland seien mit der Zeit "einfach so" dazugekommen.

Die junge Handwerkerin konnte sich überall verständigen. "Mit Englisch kam man sehr gut zurecht." Bei älteren Kollegen, die nur ihre eigene Landessprache beherrschten, kommunizierte sie mit Händen und Füßen – notfalls und bei technischen Fragen musste ein Übersetzungsprogramm auf dem Smartphone helfen.

Das Auslandsjahr hat sie beruflich und persönlich weitergebracht. "Ich bin selbstsicherer, selbstbewusster und selbstständiger geworden." Diese Erfahrung sollten auch andere Handwerkerinnen und Handwerker machen. "Leider wissen viele gar nicht, dass man ein Jahr nach dem Ende seiner Ausbildung auch mehrere Praktika in Europa machen kann. Ich kann es jedem nur empfehlen!"

Als ÜLU-Leiterin nach Spanien

Miriam Mattheis vor dem Schulungszentrum von Tevian in Valencia (Spanien), an dem seit über 50 Jahren Schönheitsexperten ausgebildet werden. Foto: © privatMiriam Mattheis vor dem Schulungszentrum von Tevian in Valencia (Spanien), an dem seit über 50 Jahren Schönheitsexperten ausgebildet werden. Foto: © privat

ÜLU-Leiterin Miriam Mattheis war als Berufsbildungspersonal über die Handwerkskammer Münster für fünf Tage in Valencia (Spanien). Gefördert wurde ihr Aufenthalt durch das EU-Programm Erasmus+.

Die Leiterin der überbetrieblichen Lehrwerkstatt für das Friseurhandwerk der Kreishandwerkerschaft Mönchengladbach hat zufällig davon erfahren und spontan daran teilgenommen. "Ich fand es ganz spannend, ein anderes Bildungssystem und eine andere Kultur kennenzulernen", begründet die selbstständige Friseurmeisterin ("Mobile Friseurmeisterin Miriam") ihre Entscheidung.

Während der rund einwöchigen Auslandsreise hat ihre Gruppe zwei Schulen und zwei Salons besucht. "Wir konnten sehr viel fragen und haben gesehen, dass die Spanier teilweise anders arbeiten, etwa beim Schminken mit der Airbrush-Technik." Trotz der kurzen Zeit habe sie sehr viel Neues aufgesogen. Ihre Begeisterung gibt sie nun weiter. "So einen Auslandsaufenthalt empfehle ich nicht nur den Auszubildenden, sondern auch all meinen Kollegen." Ihre erste Berufsbildungsreise dürfte nicht die letzte gewesen sein. Miriam Mattheis ist neugierig darauf, wie Friseure in anderen europäischen Ländern ausbilden. 

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Text: / handwerksblatt.de

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