Das sagen die Länderchefs zum Industriestrompreis
Für energieintensive Industrieunternehmen hat Minister Habeck Subventionen vorgeschlagen, um ihre Stromkosten zu senken. Das Handwerk fühlt sich benachteiligt. Wir haben alle Ministerpräsidenten gefragt, wie sie zu Habecks Vorschlag stehen.
Ein möglicher Industriestrompreis spaltet die Gemüter. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Maßnahmen zur Entlastung der energieintensiven, im internationalen Wettbewerb stehenden Industrien vorgeschlagen. Er befürchtet, dass geplante Investitions- und Standortentscheidungen in den entsprechenden Unternehmen ohne subventiontierten Strompreis zu Ungunsten Deutschlands fallen könnten. "Wir wollen, dass die energieintensive Industrie eine Heimat in Deutschland behält und eine Transformationsperspektive bekommt", so Habeck.
Der Plan: In den 2020er Jahren sollen energieintensive Industriebetriebe einen Brückenstrompreis erhalten. Während dieser Zeit sollen die erneuerbaren Energien so ausgebaut werden, dass ein größeres Angebot entsteht und der Strompreis so wieder günstiger wird. "Ab den 2030er Jahren soll ein langfristiger Transformationsstrompreis sicherstellen, dass die Industrie direkt von günstigem erneuerbarem Strom profitiert", so Habeck. Denn auf Dauer solle Wirtschaft nicht subventioniert werden, sondern sich aus dem Markt heraus mit günstigem Strom versorgen können.
Handwerk fühlt sich ungerecht behandelt
Innerhalb der Bundesregierung herrscht Uneinigkeit über eine mögliche Einführung eines Industriestrompreises: Die Grünen sind dafür, Teile der SPD auch. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat noch Bauchschmerzen wegen der ungeklärten Finanzierung – die Kosten werden auf fünf Milliarden Euro geschätzt. Die FDP ist gegen den Vorschlag. Das Handwerk fühlt sich ungerecht behandelt: "Das Handwerk braucht ebenso wie die Industrie wettbewerbsfähige Strompreise", betont Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.
Es brauche schnell ein deutlich größeres Angebot und eine Reform der Strom- und Energiesteuern, fordert er und spricht von einem "Strommarktdesign aus einem Guss". Für die Zeit des Übergangs könne er sich eine "zeitlich befristete Privilegierung" durchaus vorstellen, aber dann bitte für alle energieintensiven Betriebe und nicht nur für einige wenige. Ansonsten drohten Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten des Handwerks. Damit könnten viele Arbeits- und Ausbildungsplätze in Gefahr geraten.
Wir haben die Ministerpräsidenten aller Länder gefragt, wie sie zum Industriepreis stehen, und wollten wissen, welche Rolle mittelständische Unternehmen bei ihren Überlegungen zur Stabilisierung der Strompreise und der Versorgungssicherheit spielen. Nicht alle haben geantwortet. Das sind die Antworten, die uns bisher erreicht haben:
Nordrhein-Westfalen
"Die hohen Strompreise sind eine Belastung für alle Verbraucherinnen und Verbraucher. Daher brauchen wir niedrigere Strompreise für alle Unternehmen sowie für Privathaushalte. Langfristig erreichen wir dies, wenn reichlich Strom aus erneuerbaren Energien zu günstigen Preisen zur Verfügung steht und wir neue grundlastfähige Gaskraftwerke bauen, die später mit Wasserstoff laufen. Doch auch kurzfristig kann und muss gehandelt werden – zum Beispiel durch eine Senkung der Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz. Auch Umlagen und Entgelte könnten gesenkt werden, um insbesondere Handwerk und Mittelstand zu entlasten. Allerdings: Bei den großen energieintensiven Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, würde dies zu keiner Entlastung führen. Für diese Unternehmen brauchen wir eine zusätzliche eigenständige Lösung – wie zum Beispiel einen Brückenstrompreis. Ansonsten besteht die Gefahr einer Deindustrialisierung. Dies wäre auch nicht im Interesse des Handwerkes, denn es würden wichtiger Nachfrager von Produkten und Dienstleistungen verloren gehen."
Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
"Wir sehen enorme Wettbewerbsnachteile besonders energieintensiver Unternehmen durch sehr hohe Energiekosten in Folge des russischen Angriffskrieges und auch durch sehr starke Subventionsprogramme bei Mitbewerbern in China und den USA. Der Brückenstrompreis soll besonders energieintensive, im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen für einen befristeten Zeitraum finanziell unterstützen, um die Unternehmen bei den hohen Energiekosten zu entlasten. Ziel muss es sein, den Unternehmen den Umstieg auf erneuerbare Energien weiterhin zu ermöglichen und sich gleichzeitig im internationalen Wettbewerb behaupten zu können. Rheinland-Pfalz ist ein starker Industriestandort und das wollen wir bleiben. Und ein starker Industriestandort kommt letztlich auch den kleinen und mittelständischen Unternehmen zugute, weil sie einerseits häufig Zulieferer großer Industrieunternehmen sind und daher von deren Wirtschaftslage abhängen und weil ein Brückenstrompreis andererseits zur Standortsicherung beiträgt."
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
Saarland
"Der Strom in Deutschland ist zu teuer, energieintensive Unternehmen können so im internationalen Wettbewerb nicht auf Dauer bestehen. Deshalb braucht es für diese Unternehmen eine Lösung. Mir ist egal, wie die Lösung am Ende heißt, solange sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes erhält. Denn das nutzt auch Mittelstand und Handwerk."
Anke Rehlinger (SPD), Ministerpräsidentin des Saarlands
Hessen
"Der Strompreis muss runter, für Bürger und Unternehmen, also natürlich auch für das Handwerk. Deshalb brauchen wir eine Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß und die Halbierung der Netzentgelte. Außerdem müssen die drei im April abgeschalteten Kernkraftwerke wieder ans Netz. Denn auch ein größeres Stromangebot senkt die Preise. Beim Industriestrompreis stellt sich die Frage: Was ist eigentlich mit energieintensivem Mittelstand und Handwerk? Ich warne vor Wettbewerbsverzerrungen. Die Union schlägt als Ultima Ratio einen Brückenstrompreis vor. Das heißt, Hilfen für eine begrenzte Zeit, und auch erst dann, wenn die anderen Maßnahmen nicht wirken. Das ist der bessere Weg."
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident von Hessen
Hamburg
"Ein Brückenstrompreis ist ein sinnvolles Instrument, um zeitlich begrenzt für besonders energieintensive Bereiche Marktverhältnisse herstellen, die mit den Bedingungen im Ausland vergleichbar sind, um für den Standort Deutschland die Abwanderung in andere Länder, in denen es sehr niedrige Energiepreise gibt, zu verhindern und angesichts von Instrumenten wie dem Inflation Reduction Act in den USA den Unternehmen eine Möglichkeit zu bieten, ihr Geschäftsmodell auch in Deutschland sinnvoll fortführen zu können. Dabei geht es jedoch nur um die Gestaltung eines Überganges für jene Industriebereiche, die besonders energieintensiv sind. Wegen dieses Übergangscharakters ist eine Ausweitung auf alle Wirtschaftsbereiche nicht sinnvoll, weil eine dauerhafte Subvention in der Breite nicht in Frage kommt. Für Haushalte und mittelständische Betriebe sind die Strom-Einkaufspreise zudem mittlerweile wieder auf dem Niveau vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, weshalb sich das Problem der hohen Energiekosten hier nicht mehr im selben Maß stellt."
Melanie Leonhard (SPD), Wirtschaftssenatorin von Hamburg
Berlin
"Erst erhöht der Staat den Strompreis durch Verknappung und Besteuerung, um anschließend einzelne Unternehmen durch Subventionen zu entlasten. Derartige Flickschusterei und Subventionen nach Gutsherrenprinzip werden jedoch keines unserer Probleme in Deutschland dauerhaft lösen. Erforderlich ist vielmehr eine schnelle und umfassende Senkung der Strompreise, von denen alle profitieren – die Industrie, die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen und selbstverständlich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn Deutschland wird als Standort nur dann attraktiv bleiben, wenn die Energiekosten im internationalen Wettbewerb mithalten können. Dies gilt nicht nur für die Industrie. Die Basis unseres Wohlstands sind oftmals Familienunternehmen und kleine Betriebe, die über die Jahre gewachsen sind und das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden. Denn gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen leiden besonders unter steigenden Kosten und verfügen im Unterschied zu den großen Konzernen nicht über die finanziellen Reserven, um die steigenden Kosten abfedern zu können. Deshalb würden Subventionen, die nur den großen energieintensiven Industrieunternehmen zugutekommen, zu kurz greifen. Das einzige Instrument, das schnell, effektiv und in die Breite wirken kann, ist, die Verbrauchssteuern auf Strom abzusenken. Konkret müssen wir die Mehrwert- und auch die Stromsteuer umgehend auf das europarechtlich maximal mögliche Maß senken."
Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister von Berlin
Das fordert der Bundesrat
Der Bundesrat fordert in einer Entschließung einen international wettbewerbsfähigen Industriestrompreis für energieintensive und außenhandelsabhängige Unternehmen. Dabei betont er, dass durch die Industriestrategie Chinas und den Inflation Reduction Act der USA die Einführung des Industriestrompreises mit dem Ziel der Transformation und Dekarbonisierung umso dringlicher geworden sei. Andernfalls drohe Deutschland im internationalen Vergleich zurückzufallen.
Industriebetriebe bräuchten eine klare Perspektive, dass sie weiterhin wettbewerbsfähig am Standort produzieren sowie die erforderlichen Investitionen in eine klimafreundliche Transformation rentabel refinanzieren können. Um auch kleine und mittlere Betriebe zu entlasten, empfiehlt der Bundesrat die Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß. Erforderlich sei außerdem eine gerechte und auskömmliche Finanzierung der notwendigen Netzausbaukosten im Zuge der Energiewende.
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Text:
Lars Otten /
handwerksblatt.de
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