Für Fliesenlegermeister Andreas Hintemann (41) aus Ahaus stellte sich nach erfolgreicher Meisterprüfung und dem Betriebswirt im Handwerk die Frage: Was nun? Er setzt auf konsequente Weiterbildung und arbeitet nach seiner Bestellung zum öffentlich bestellt und vereidigten Sachverständigen im Fliesenleger-Handwerk an der Sachverständigen-Prüfung im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk. Für den Betriebsinhaber, Gutachter und Dozent an der Meisterschule in Münster ist Weiterbildung der Schlüssel zum Erfolg.
DHB: Herr Hintemann, Sie sind seit neun Jahren als Sachverständiger im Fliesenlegerhandwerk öffentlich bestellt. Was hat Sie dazu getrieben – fehlte die betriebliche Auslastung?
Hintemann: Im Gegenteil. Ich bin seit 2004 selbstständig und kann mit meinem Fünf-Mann-Unternehmen über Auftragsmangel nicht klagen. Mich hat mein Ehrgeiz getrieben, persönlich weiterzukommen. Ich habe nach meiner Ausbildung schnell den Meisterbrief in meinem Handwerk erworben und fast zeitgleich meinen Betriebswirt des Handwerks gemacht. Das war anspruchsvoll, aber es blieb einfach die Frage: Was kann dann noch kommen?
DHB: Sie bilden aus und arbeiten die Aufträge ab. Das klingt nicht nach Langeweile.
Hintemann: Das stimmt. Ich habe ab 2006 angefangen, auszubilden, wobei ich heute denke, mit meinen damals 25 Jahren war ich vielleicht zu jung, genauso wie mit Anfang 20 Jahren in der Meisterausbildung. Meine praktischen und schulischen Leistungen waren hervorragend, aber es fehlte einfach an Lebenserfahrung. Seitdem sind 18 Jahre vergangen, ich habe den Standort gewechselt, eine Halle samt Haus gebaut und jetzt die Firma mit neuesten Maschinen ausgestattet. Das hat mir Lebenserfahrung gebracht, und derzeit arbeite ich an der Zulassung zum Sachverständigen im Steinmetz-Handwerk und Steinbildhauerhandwerk. Es dreht sich für mich immer um die Fragen, die ich schon während der mündlichen Prüfung zum Meister gestellt habe: "Wo geht’s weiter, was ist noch möglich?"
DHB: Ein Sachverständiger muss mehr wissen als der Meister des jeweiligen Handwerks. Was heißt das?
Hintemann: Es ist vor allem die Erfahrung, die sich in den neun Jahren meiner öffentlichen Bestellung im Fliesenbereich angesammelt hat. Außerdem müssen Sachverständige kommunikative Fähigkeiten mitbringen und ihr Urteil schriftlich im Gutachten als auch mündlich vor Gericht vortragen können. Unheimlich hilfreich ist das Zusammensein mit Kollegen. Sie haben unglaublich viel praktisches Know-how an einem Ort, wenn man sich zum Beispiel bei Veranstaltungen persönlich trifft und sich über die Fälle austauschen kann.
DHB: Tauschen Sie sich als Kollegen aus oder sehen Sie im anderen eher einen Konkurrenten?
Hintemann: Nein, das ist der kollegiale Austausch und der Aufbau eines Netzwerkes. Man kann nicht alles wissen, aber wenn man die richtigen Leute kennt und weiß, wen man anrufen kann, ist das unbezahlbar. In meinem Bereich Naturstein und Fliesen sind es bundesweit rund 150 Personen und im Laufe der Jahre kennt man sich einfach.
DHB: Das klingt fast schon elitär. Ist es schwer, in diesen Kreis aufgenommen zu werden?
Hintemann: Wir sind nicht elitär, sondern nur besonders engagierte Berufskollegen, die eben etwas mehr wollen. Sie müssen ihr Know-how gegenüber Sachverständigen beweisen und die Prüfung natürlich bestehen. Derzeit bin ich beim Bundesinnungsverband der Steinmetze im Verfahren zur Prüfung der besonderen Sachkunde. Die schriftliche Prüfung ist gerade gewesen, das Mustergutachten fertig und die Bewertung vom Ausschuss steht noch aus. Bei den Fliesenlegern war es ein theoretischer Fall, die Steinmetze prüfen anhand eines richtigen Gerichtsprozesses. Aber es lohnt sich, und man wird in einem schönen Netzwerk aufgenommen.
DHB: Was ist das Schlimmste, was einem Sachverständigen in einem Gerichtsprozess passieren kann?
Hintemann: Dass er umfällt. Also wenn er sein Gutachten abgeliefert hat, seine Bewertung feststeht – und dann seine Meinung im Prozess revidiert.
Zitat"Man spricht immer auch über die wirtschaftliche Existenz von Menschen und Unternehmen, wenn man einen Fall bewertet. Deshalb muss ein gewisser Abstand immer da sein. Natürlich urteilt letztlich der Richter, aber der Sachverständige setzt einen entscheidenden Impuls." Andreas Hintemann, Sachverständiger im Fliesenlegenhandwerk
DHB: Sie müssen als Gutachter das gesamte Feld abdecken können? Oder gibt es eine Art Spezialisierung?
Hintemann: Wir können uns spezialisieren. Es gibt durchaus Gutachter, die keine Fassaden machen oder etwa Grabsteine. Die meisten sind aber für den ganzen Bereich bestellt und ziehen, wenn sie nicht weiterwissen, den "Telefonjoker" aus dem Netzwerk.
DHB: Können Sie einen Auftrag auch ablehnen?
Hintemann: Einen gerichtlichen Auftrag kann ich nicht ablehnen. Einzige Ausnahme ist eine Überlastung, ansonsten bin ich dazu verpflichtet, die Aufträge abzuarbeiten.
DHB: Wie kommen die Aufträge zu Ihnen?
Hintemann: Ich bekomme die Gerichtsakte mit dem Beweisbeschluss zugeschickt. Darin steht, was der Richter wissen möchte, und ich kann schon sofort erkennen, ob es in das eigene Sachgebiet fällt. Dann kommt der Zeitfaktor hinzu, ob ich das Gutachten im zeitlich vorgesehenen Rahmen anfertigen kann und schicke dann die Auftragsbestätigung oder – bei einer Überlastung – die Ablehnung zum Gericht.
DHB: Wie lange sind Sie im Schnitt mit einem Gutachten beschäftigt?
Hintemann: Das ist schwer zu sagen – zwei bis drei Tage, wenn man die reine Arbeitszeit gebündelt nimmt. Die gerichtliche Vorgabe für den ganzen Prozess liegt in der Regel bei drei Monaten. Eine große Herausforderung ist es, mit den Beteiligten einen Ortstermin zu vereinbaren, was mit zunehmender Anzahl an Parteien schwierig wird. Steht der Termin, dauert er in der Regel zwischen einer und vier Stunden, plus Fahrzeit. Ich lasse den Fall zwischendurch immer mal liegen, weil das den Kopf freimacht und die ersten Emotionen weg sind.
DHB: Ein Gutachten kann schließlich über eine Existenz entscheiden.
Hintemann: Genau das ist der Punkt: Man entscheidet immer auch über die wirtschaftliche Existenz von Menschen und Unternehmen, wenn man einen Fall bewertet. Deshalb muss ein gewisser Abstand immer da sein. Man hat Fälle auf dem Schreibtisch, bei denen es um eine Spanne zwischen 50 bis 500.000 Euro geht, und man entscheidet bei diesen Summen mit seinem Gutachten über die Existenz einer Firma oder eines Kunden. Natürlich urteilt letztlich der Richter, aber der Sachverständige setzt einen entscheidenden Impuls. Er gibt mit seinem Gutachten dem Richter die Richtung vor, wohin das Ganze geht.
DHB: Hat Ihnen ein Gutachten schon mal Ärger eingebracht?
Hintemann: Toi, toi, toi, bislang noch nicht. Im Gerichtssaal gibt es durchaus Emotionen, weil es auch um Existenzen geht, aber nichts Dramatisches.
DHB: Wie viele Gutachten fertigen Sie im Jahr an?
Hintemann: Das sind zwischen 15 und 25.
DHB: Ist das ein lukratives Geschäft?
Hintemann: Beim Gericht gibt es das JVEG, das Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz. Das regelt die Sachverständigengelder, wobei die Höhe von der Tätigkeit des Sachverständigen abhängt. Anders sieht es bei Privatgutachten aus, da ist das Honorar Verhandlungssache mit dem Gegenüber. Aber für mich ist die Vergütung nicht entscheidend, sondern mir geht es um das Wissen, das Know-how.
DHB: Was waren die größten Hürden auf dem Weg zum Sachverständigen?
Hintemann: Wenn man es gerne macht, gibt es keine Hürden. Natürlich muss man sich in den Stoff einarbeiten und sich auf die Prüfung vorbereiten. Aber für mich gilt: Das Wissen, das ich mir zusätzlich aneigne, kommt mir zugute.
DHB: Das klingt so, als ob noch mehr diesen Weg gehen sollten ...
Hintemann: ... wobei ich immer auf der Meisterschule in Münster den Anwesenden sage: "Ob Ihr Euch noch zum Sachverständigen vorbildet, ist nicht wichtig, aber: Bildet Euch weiter. Geht nach Schloss Raesfeld, nutzt die Aus- und Weiterbildungsangebote und besucht nicht nur die Fortbildungsmöglichkeiten der Zulieferer. Diese stellen vieles durch die Firmenbrille vor. Bleibt nicht beim Erreichten stehen, macht weiter. Die Technik entwickelt sich weiter, Ihr müsst Euch deshalb auch immer weiterentwickeln!"
Die Fragen stelle Stefan Buhren.
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Text:
Stefan Buhren /
handwerksblatt.de
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