Kritik und Lob für OECD-Bericht
Holger Schwannecke bemängelt, dass der Meistertitel auf europäischer Ebene immer noch unter Wert gehandelt wird. Friedrich Hubert Esser lobt, dass die OECD endlich die Verdienste der dualen Ausbildung würdigt.
Jahr für Jahr stellt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Bildungssysteme in Europa in ihrem Bericht "Education at a Glance" auf den Prüfstand – und erntet dafür vom deutschen Handwerk regelmäßig Kritik. In diesem Jahr sieht Holger Schwannecke erste Lichtblicke. "Die OECD erkennt in ihrem aktuellen Bildungsbericht den Wert der dualen Ausbildung in Deutschland durchaus richtig an."
Unverständlich ist dem Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) aber, dass sie dabei auf halbem Weg stehenbleibe. "Zu den Hochqualifizierten zählen in Deutschland nämlich nicht nur Akademiker, sondern insbesondere auch Meister und Techniker." So stelle die OECD einerseits fest, dass am deutschen Arbeitsmarkt berufliche Qualifikationen und andere Bildungsabschlüsse einen gleichen Stellenwert haben. Andererseits beanstande sie weiterhin eine im Vergleich zu anderen OECD-Ländern unterdurchschnittliche Quote der Hochschulabsolventen. "Dieser offensichtliche Widerspruch muss aufgelöst und die berufliche Bildung weiter gestärkt werden", fordert Schwannecke.
Widersprüche aus Brüssel
Auch mit der EU-Kommission geht der ZDH-Generalsekretär hart ins Gericht, da sie den Meisterbrief in ihren länderspezifischen Empfehlungen als ungerechtfertigte Beschränkung und Marktzugangsschranke bezeichnet, gleichzeitig aber das duale Ausbildungssystem in Deutschland lobt und als "best practice" den Krisenländern Südeuropas empfiehlt.
"Das hohe Niveau der beruflichen Bildung in Deutschland ist ja gerade das Ergebnis einer auf der Basis von Qualifikation geregelten Zulassungspraxis", so Schwannecke. Die berufliche Bildung in Deutschland sei so zu einem Karriereturbo geworden. Junge Menschen auch aus bildungsfernen Familien erhielten darüber eine ausgezeichnete berufliche Befähigung und würden an weitergehende Abschlüsse herangeführt.
Der Meisterbrief im Handwerk ermögliche begabten und leistungsbereiten jungen Menschen auch ohne Abitur den Weg zur Hochschule. Völlig zu Recht würden berufliche Qualifikationen von immer mehr Hochschulen studienzeitverkürzend angerechnet. Gleichzeitig sorge die an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes ausgerichtete berufliche Bildung für exzellente Berufsaussichten. So habe Deutschland nicht zuletzt dank der beruflichen Bildung mit 8,1 Prozent die geringste Jugendarbeitslosigkeitsquote in Europa. "Der Deutsche und der Europäische Qualifikationsrahmen bilden die handwerklichen Berufsabschlüsse korrekt ab. Sie bestätigen die vom Handwerk stets geforderte Anerkennung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung", erklärt Schwannecke.
Duale Berufsausbildung – das Fundament der deutschen Wirtschaft
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) begrüßt, dass die OECD die duale Berufsausbildung in Deutschland neubewertet. Diese hatte in ihrem jüngsten Bericht anerkannt, dass Jugendliche in Deutschland seltener arbeitslos seien als in anderen Ländern und dass dies auch auf das duale Ausbildungssystem in Deutschland zurückzuführen sei. "Die duale Berufsausbildung ist das Fundament der deutschen Wirtschaft, und qualifizierte Fachkräfte sichern die hohe Qualität der Produkte ,Made in Germany'. Dies betonen wir schon seit vielen Jahren. Die neue OECD-Position zur dualen Berufsausbildung in Deutschland war überfällig", so BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser.
Weitere Infos zur SonderbefragungZu den von der OECD vorgelegten Zahlen über Einkommensunterschiede zwischen Akademikern und beruflich Qualifizierten in Deutschland hat das BIBB eine aktuelle Analyse erstellt. Sie zeigt, dass diese Einkommensunterschiede im Verhältnis zur schulischen Vorbildung und dem Ausbildungsniveau stehen. BIBB-Präsident Esser plädiert nachdrücklich für diese differenzierte Betrachtungsweise, weil man ansonsten "Äpfel mit Birnen" vergleiche. Ein großer Teil des Einkommensvorsprungs von Akademikern gegenüber Erwerbstätigen mit Berufsausbildung lasse sich durch deren geringere schulische Vorbildung erklären.
Esser weiter: "Unsere Analyse zeigt: Eine hohe schulische Vorbildung in Verbindung mit einem qualifizierten Aus- und Fortbildungsabschluss zahlt sich aus und kann die Einkommensunterschiede zwischen Akademikern und beruflich Qualifizierten um etwa die Hälfte reduzieren." Damit die berufliche Aus- und Fortbildung aber auch in Zukunft neben der akademischen Ausbildung bestehen könne, seien weitere attraktive Karrierewege und Berufslaufbahnkonzepte sowie attraktive Entlohnungen erforderlich, "sonst nützen auch die besten beruflichen Bildungskonzepte nichts".
Ergebnisse der Sonderauswertung
Nach den Zahlen der OECD aus dem Jahr 2011 verdienten Arbeitskräfte mit akademischem Abschluss in Deutschland im Durchschnitt 174 Prozent des Erwerbseinkommens ihrer entsprechenden Altersgruppe mit einer beruflichen Qualifizierung. Die aktuelle Sonderauswertung des BIBB zeigt, dass männliche Erwerbstätige mit Abitur, Berufsausbildung und Fortbildungsabschluss rund 130 Prozent des Bruttoeinkommens von allen männlichen Erwerbstätigen mit Berufsausbildung erzielen. Bei den Frauen liegt dieser Wert bei 132 Prozent. Die Einkommenslücke zu den Akademikern, die laut BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung rund 160 Prozent beziehungsweise 156 Prozent des Einkommens von Erwerbstätigen mit Berufsausbildung verdienen, wird hierdurch in etwa halbiert.
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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