Bis 2018 galt die Urkalkulation auch für Nachträge. Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof aber gekippt, was einer Revolution gleichkam.

Bis 2018 galt die Urkalkulation auch für Nachträge. Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof aber gekippt, was einer Revolution gleichkam. (Foto: © Andriy Popov/123RF.com)

Vorlesen:

"Die Urkalkulation ist für Nachträge faktisch tot"

Die Preise für Baustoffe steigen rapide. Für laufende Projekte sind Nachträge oft unvermeidbar. Ein Fachanwalt erklärt, wie Bauhandwerker richtig kalkulieren und mit dem Kunden verhandeln.

Nachträge waren schon immer ein Zankapfel zwischen Auftragnehmer und Kunden. Diese schwierigen Zeiten machen es nicht leichter. Die Preise für Baumaterial sind schon in der Corona-Krise explodiert, nun kommt auch noch der Krieg in der Ukraine dazu. Bauhandwerker können kaum noch eine Kalkulation für ihre Leistungen erstellen. Nachträge für laufende Projekte sind oft unumgänglich. Wie man – nicht nur in der Krise – bei den Kunden einen Nachtrag durchsetzt, erklärt Dr. Berthold Kohl, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht sowie für Vergaberecht.

DHB: Die Preissteigerungen für Baumaterial sind auch Folge des Kriegs in der Ukraine, Rohstoffe werden immer teurer. Wie können Betriebe darauf reagieren?
Kohl: Es gibt zwei Möglichkeiten für Unternehmer, aus dieser Zwickmühle herauszukommen: Entweder mit einer einvernehmlichen Regelung oder gegen den Willen des Auftraggebers. Beispiel für ersteres sind Stoffpreis-Gleitklauseln, die Unternehmen in ihre Verträge einbauen können. Man bestimmt damit, dass die Preise dynamisch sind. Eigentlich ist das im deutschen Recht nicht erlaubt, Angebotspreise sind normalerweise Vertragsbestandteil und damit fest. Wenn aber beide Vertragspartner einverstanden sind, ist das machbar.

DHB: Das Bundesbauministerium hat jetzt Stoffpreis-Gleitklauseln sogar in laufenden Vergabeverfahren erlaubt. Auch der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes plädiert für Preisgleitklauseln.
Kohl: Gerade der öffentliche Auftraggeber gibt ja die Spielregeln vor. Jetzt sind auch in der Ausschreibung Preisgleitklauseln möglich. Am saubersten ist es, wenn das schon in der Vergabeunterlage steht. Meine Erfahrung ist, dass auf beiden Seiten derzeit Offenheit herrscht für Preisgleitung, denn alle wissen ja um die schwierige Situation. Und es gibt das vertragsrechtliche Gebot der Zusammenarbeit. Der verständige Auftraggeber will ja auch nicht, dass sich der Auftragnehmer wirtschaftlich das Genick bricht, indem er an den alten, zu niedrigen Preisen festhält.

Dr. Berthold Kohl, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Fachanwalt für Vergaberecht. Fachanwalt für Steuerrecht. Baumediator. Bauschlichter (SOBau). Bauschiedsrichter (SOBau) Foto: © Dr. Berthold KohlDr. Berthold Kohl, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Fachanwalt für Vergaberecht. Fachanwalt für Steuerrecht. Baumediator. Bauschlichter (SOBau). Bauschiedsrichter (SOBau) Foto: © Dr. Berthold Kohl

DHB: Was passiert, wenn keine Preisgleitklausel vereinbart wurde? Wie kommt der Unternehmer aus dieser Nummer raus? Vor allem, wenn der Auftraggeber nicht einverstanden ist.
Kohl: In der aktuellen Lage des Ukraine-Kriegs gibt es nur die Lösung über § 313 BGB, die Störung der Geschäftsgrundlage. Die Umstände müssen sich nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert haben, dann kann eine Anpassung des Vertrags erfolgen. Ein Krieg ist sicher schwerwiegend, aber da es hierzulande seit 70 Jahren keinen Krieg gab, gibt es auch keine Rechtsprechung dazu, auf die man sich stützen könnte.

Das könnte Sie auch interessieren:

DHB: Aber auch in anderen Situationen muss der Unternehmer manchmal einen Nachtrag durchsetzen, nicht nur bei höheren Materialpreisen. Wie kann er das?
Kohl: Es gibt in der Regel drei Gründe für Nachträge: Die Menge hat sich geändert, die Leistung hat sich geändert oder es sind zusätzliche Leistungen für die Erfüllung des Vertrages erforderlich. Letzteres ist grundsätzlich zu unterscheiden von neuen Aufträgen des Kunden.

DHB: Wie berechnet der Unternehmer in den genannten Fällen einen Nachtrag?
Kohl: Die korrekte Aufteilung der Kosten ist das A und O in der Kalkulation. Bis 2018 galt die Regel: Die Urkalkulation gilt auch für Nachträge. Ein guter Preis blieb damit ein guter Preis, ein schlechter Preis blieb ein schlechter Preis. Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof aber 2018 gekippt, was einer Revolution gleichkam. Nun ist die Fortschreibung der Urkalkulation für Nachträge nicht mehr zwingend, sie ist faktisch tot. Allerdings bleibt sie weiterhin möglich, die Partner haben nun ein Wahlrecht. Will aber einer von beiden die Urkalkulation nicht mehr, dann müssen die Parteien jetzt über den Nachtrags-Preis eine Einigung erzielen. Bei Mengenüberschreitungen von mehr als 110 Prozent muss ein neuer Einheitspreis vereinbart werden. Das Urteil und die VOB/B sagen aber leider nicht, wie sich der neue Preis berechnet. Die geänderte Rechtsprechung hat zu einem Riesenchaos geführt und zu Rechtsunsicherheit. In der Baupraxis gibt es nun eine Art Wildwest-Verhalten.

DHB: Welche Regeln gelten dann heute für Nachträge, wenn die Urkalkulation nicht gewählt wird?
Kohl: Man muss § 650 c BGB entsprechend auch für VOB/B-Verträge heranziehen: Zu ermitteln sind die tatsächlich erforderlichen Kosten plus angemessene Zuschläge. Das sind aber nicht die tatsächlichen Kosten und auch nicht die ortsübliche Vergütung. Das Kammergericht Berlin hat die Rechtsprechung des BGH weiterentwickelt und die Urkalkulation auch bei geänderten und zusätzlichen Leistungen abgeschafft.

Baumaterial wie etwa Holz ist sehr teuer gewordem Foto: © haveseen/123RF.comBaumaterial wie etwa Holz ist sehr teuer gewordem Foto: © haveseen/123RF.com

DHB: Beim BGB-Vertrag mit privaten Auftraggebern gilt die VOB/B ja nicht. Was macht der Unternehmer hier, wenn er Nachträge durchsetzen will?
Kohl: Das seit 2018 geltende, neue Bauvertragsrecht sieht hier drei Säulen vor. Die erste Säule ist ein sehr weitgehendes Anordnungsrecht des Auftraggebers für notwendige und willkürliche Änderungen. Die zweite Säule sagt, dass der Unternehmer für geänderte Leistungen eine angemessene Vergütung bekommt. Das sind wieder die tatsächlich erforderlichen Kosten plus ein angemessener Zuschlag. Die Urkalkulation ist zwar für Nachträge möglich, aber nur, wenn der Auftragnehmer sie vereinbarungsgemäß hinterlegt hat. Das wird in 99 Prozent der Fälle nicht gemacht, daher ist die Urkalkulation faktisch keine Lösung. Die dritte Säule ist ein Zückerchen für den Auftragnehmer: Er kann 80 Prozent des Nachtragsangebots als Abschlag verlangen und mit einer einstweiligen Verfügung durchsetzen. Das dauert etwa zwei bis drei Wochen, geht also sehr schnell.

DHB: Wenn der private Bauherr eine Änderung verlangt, muss er zuerst einmal den Großteil der neu geforderten Leistung bezahlen?
Kohl: Genau. Das ist für VOB/B-Verträge übrigens nicht vorgesehen. Für BGB-Verträge ist aber außerdem bei geänderten Leistungen eine Einigungsphase vorgeschrieben, während derer der Auftragnehmer die Anordnung des Kunden nicht ausführen muss. Auch bei unverhältnismäßigem Aufwand kann der Auftragnehmer sich weigern. Nachträge für geänderte Mengen sind leider nicht geregelt im BGB. Hier ist wieder nur die schwierige Änderung nach § 313 BGB möglich und es geht um die tatsächlich erforderlichen Kosten.

DHB: Nun gibt es auch andere äußere Umstände, die den Auftragnehmer zu einem Nachtrag zwingen. Was gilt in diesen Fällen?
Kohl: Bei den sogenannten Behinderungen hat der Auftragnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 6 VOB/B. Zu den Behinderungen zählen die Bauablaufstörungen, wie zum Beispiel höhere Gewalt. Die Flut im Ahrtal 2021 ist dafür ein Beispiel. Die VOB/B schreibt jedoch vor, dass der Auftragnehmer die Behinderung unverzüglich anzeigen und dabei auch die Folgen darlegen muss. Das ist in der Praxis so gut wie nie erfolgreich, denn die konkrete Darstellung der Folgen kriegt kein Mensch hin.

DHB: Wenn der Auftragnehmer bei Behinderung keinen Schadensersatz erhält, was kann er dann tun?
Kohl: Dann kann er eine angemessene Entschädigung nach § 642 BGB verlangen. Ein Klassiker ist dabei: Der Auftragnehmer stellt das Baufeld nicht rechtzeitig zur Verfügung. Dann muss er verschuldensunabhängig die reinen Vorhaltekosten zahlen, aber nur diejenigen, die während der Verzugsdauer anfallen. Nicht ersetzen muss er aber Mehrkosten durch Preissteigerungen für Material, die erst nach der Verzögerung eingetreten sind. Die Entschädigung nach § 642 BGB ist also recht einfach zu bekommen, aber es gibt relativ wenig Geld für den Bauunternehmer.

Nachträge gibt es nur mit Anordung des Auftraggebers. Foto: © Stephen Coburn/123RF.comNachträge gibt es nur mit Anordung des Auftraggebers. Foto: © Stephen Coburn/123RF.com

DHB: Das ist nicht sehr günstig für den Auftragnehmer, wie kann er denn die Material-Preiserhöhungen und Umsatzverluste erstattet bekommen?
Kohl: Dann hilft nur noch der Weg über eine Anordnung des Auftraggebers nach § 2 Absatz 5 VOB/B. Das sollten sich Auftragnehmer ins Gehirn meißeln: Nachträge gibt es nur mit Anordnung des Auftraggebers! Der Auftragnehmer muss eine solche Anordnung aber nachweisen können. Viele Nachträge scheitern in der Praxis daran, dass es keine Anordnung gibt. Dazu hat das KG Berlin einen neuen Weg für Bauunternehmen entwickelt, das an das bekannte Instrument der Bedenken-Anmeldung anknüpft: In dem entschiedenen Fall hat der Bauherr hat zwar nichts ausdrücklich angeordnet, aber den Bedenken des Auftragnehmers nicht widersprochen. Das Gericht hat als neue Richtung hier das Schweigen auf die Bedenken-Anmeldung als konkludente Anordnung durch schlüssiges Handeln gewertet. Der Auftraggeber muss aktiv die Bedenken abwehren und die Zahlung der Nachträge verweigern, will er eine konkludente Anordnung ausschließen.

DHB: Bedenken anzumelden ist ja auch wichtig für den Unternehmer, um aus der Gewährleistung rauszukommen.
Kohl: Ja, die Bedenken-Anmeldung ist eines der wichtigsten Mittel für den Auftragnehmer, einen Nachtrag zu erhalten und aus der Haftung rauszukommen! Mit der Rechtsprechung des Kammergerichts werden Auftragnehmer künftig mehr Nachträge durchsetzen können. Und mit einem anderen neuen Urteil hat das KG Berlin den Bauunternehmen noch einen Gefallen getan: Es hat entschieden, dass die neuen BGB-Regeln zum Abschlag auch auf VOB-Verträge anzuwenden sind. Das heißt, auch sie können 80 Prozent vorab verlangen und im Eilverfahren durchsetzen, obwohl das in der VOB/B nicht vorgesehen ist. Der Anspruch muss aber vor Ausführung der Bauleistung angekündigt werden. Mein abschließender Tipp für Nachträge ist, schreiben Sie immer: "Das kostet extra Geld und extra Zeit!"

Nachtrag Der Kunde muss für Extrawünsche zahlen. Das gilt selbst dann, wenn der Bauvertrag für solche Fälle einen schriftlichen Auftrag verlangt. > Hier mehr lesen!DHB jetzt auch digital!Einfach hier klicken und für das digitale DHB registrieren!

Text: / handwerksblatt.de

Das könnte Sie auch interessieren: