Hommage an Evelyn Richter
Die Fotografin Evelyn Richter hielt Alltagsszenen in der DDR ohne Pathos fest. Jetzt wird sie mit einer Retrospektive gefeiert.
Wenn es einen Ort gab, an dem Evelyn Richter besonders gerne fotografierte, dann war es die Straßenbahn. Über Jahre suchte sie ihr Lieblingsmotiv in den schienengeführten Wagen und hielt Alltagsszenen der Menschen fest. Nicht irgendwo, sondern in der DDR hielt sie auf ihren einfühlsamen Schwarz-Weiß-Aufnahmen ungeschönt die Arbeits- und Alltagswelten der Nachkriegsgesellschaft fest und gilt heute als eine der wichtigsten Vertreterinnen der deutschen Dokumentarfotografie. Im Osten beliebt, im Westen nahezu unbekannt, widmet der Kunstpalast in Düsseldorf der im Oktober 2021 verstorbenen Fotografin eine eigene Ausstellung.
Evelyn Richter zeigt hier den Alltag einer Textilarbeiterin. Foto: © Evelyn Richter Archiv der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Museum der bildenden Künste LeipzigÜber fünf Jahrzehnte spannt sich die Schaffenskraft der 1930 in Bautzen geborenen Evelyn Richter, im Mittelpunkt ihrer Arbeiten steht immer der Mensch, seine Beziehungen zum gesellschaftlichen Leben, Musiker, Porträtserien, Bildstudien zum Verhältnis Mensch-Arbeit, Landschaft. Vor allem interessierte sie die berufliche Existenz von Frauen und wählte dabei Motive, die dem offiziellen, pathetischen Idealbild der erfolgreichen, stets glücklichen arbeitenden Frau im sozialistischen Staat widersprachen. Richter zeigte differenziertere Frauenbilder: von der selbstbewussten Kranführerin, über die in sich versunkene, erschöpfte Textilarbeiterin bis hin zur Softeisverkäuferin in einer unbelebt wirkenden Plattenhaussiedlung.
Erste umfassende Werkschau im Westen
Lieblingsszenen von Evelyn Richter: Menschen in der Straßenbahn. Foto: © Evelyn Richter Archiv der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Museum der bildenden Künste LeipzigDie Ausstellung, kuratiert von Linda Conze, ist die erste umfassende Werkschau, die in Westdeutschland zu sehen ist. Sie zeigt die Entwicklung Richters von ihren ersten Arbeiten an über sämtliche Schaffensphasen. 150 ihrer Werke sind zu sehen, die zu DDR-Zeiten kaum bis gar nicht veröffentlicht wurden. Richter war nie auf Linie, sie zeigte die ungeschminkte Wahrheit und versuchte nicht mit ihrer Fotokunst eine Wirklichkeit zu erschaffen, wie sie laut Politbüro sein sollte. Mit Werbefotografien hielt sie sich über Wasser.
Häufig im Mittelpunkt der Arbeiten von Evelyn Richter: die arbeitende Frau. Foto: © Evelyn Richter Archiv der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Museum der bildenden Künste LeipzigIhre Bilder entstanden mit einer Leica, einer Kleinbildkamera. Dass sie dazu kam, ist einem Zufall zu verdanken. Richter reiste viel – was auch die Ausstellung mit Fotoserien aus Museen belegt – und musste in den 50er Jahren auf einer Reise nach Moskau damit leben, dass ihre Mittelformatkamera kaputt ging. Sie schwenkte auf das Kleinbild um war seitdem nicht mehr von ihrer Leica zu trennen. Sie war immer mit dabei, immer parat, weil sie geduldig auf jenen Moment wartete, der das richtige Bild lieferte.
Ihre Aufnahmen sind noch bis zum 8. Januar 2023 im Kunstpalast in Düsseldorf zu sehen.
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Text:
Julia Leendertse /
handwerksblatt.de
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