Brembo Sensify: Zukünftig wird besser gebremst
Die Bremssysteme der Autos werden sich verändern. Unter der Bezeichnung Sensify gibt der italienische Hersteller Brembo einen Ausblick auf die nahe Zukunft, dessen Serieneinsatz für 2024 geplant ist.
Die automobile Welt ist im Umbruch. Damit sind nicht nur die Elektromobilität oder das Autonome Fahren gemeint, sondern auch die Technik der Bremsen. Das italienische Unternehmen Brembo ist ein renommierter Autozulieferer und Spezialist von Hochleistungsbremsen. Seit Jahrzehnten rüstet Brembo Supersportwagen bis hin zur Formel 1 mit ihren Bremssystemen aus. Nun haben die Italiener ein neues Bremssystem vorgestellt, das mit wesentlich kürzeren Reaktionszeiten und Bremswegen glänzt und nennen es Sensify. Zehn Jahre haben die Italiener an ihrem neuen System entwickelt, das schon bald für noch mehr Sicherheit im Straßenverkehr sorgen soll.
Halb elektrisch, halb hydraulisch
Sensify vereint elektronische und hydraulische Komponenten. Foto: © Brembo"Sensify ist kein reines Brake-by-Wire-System", betont Brembo-Chef Daniele Schillaci bei der Präsentation. Sensify ist vielmehr eine Mischung aus beidem. Auf der Vorderachse arbeitet das System elektrohydraulisch mit klassischer Bremsflüssigkeit, hinten lösen dagegen elektromechanische Stellmotoren den eigentlichen Bremsvorgang aus. Das neue System nutzt weiterhin klassische Bremsscheiben und Bremssättel. Völlig neu sind hingegen die elektronischen Komponenten mit zwei kompakt bauenden Steuergeräten, während das klassische mechanische Bremspedal durch ein elektronisch angesteuertes Pedal (Aktuator) ersetzt wurde.
Beim Fahren bekommt der Pilot hinterm Lenkrad nur wenig von der neuen Technologie mit. Er tritt nach wie vor auf ein Bremspedal. Jedoch misst bei Sensify ein Sensor den Pedalweg und die Position des elektronischen Pedals und schickt diese Informationen als Signalströme an die Steuereinheiten weiter. Eine Elektronik mit künstlicher Intelligenz (KI) erfasst alle fahrrelevanten Daten und wertet sie anhand von vorausschauenden Algorithmen aus.
Blitzschnelles Ansprechverhalten
Beim Bremsen wird jedes Rad einzeln und unabhängig voneinander angesteuert. Foto: © BremboWird der eigentliche Bremsvorgang eingeleitet, reagiert das System blitzschnell und innerhalb von nur 100 Millisekunden. Eine weitere Besonderheit: Anders als bei herkömmlichen Zweikreis-Bremssystemen wird die Bremskraft bei Sensify nicht diagonal, sondern für jedes Rad einzeln und unabhängig voneinander verteilt. Dabei erkennt die Software wie stark der Fahrer auf das Pedal tritt und passt zugleich die Kraft auf die Straßenverhältnisse an. So wird immer eine sichere Bremsung auch bei Nässe oder Glätte gewähreistet. Um die erfassten Daten zu verbessern, kann sich Sensify zudem selbständig over-the-air auf den neuesten Stand aktualisieren.
Brembo ist mächtig stolz auf die neue Technologie. Angefangen bei der Steuerungselektronik mit den Algorithmen bis hin zum over-the-air-Update, haben die Italiener alles selbst entwickelt und umgesetzt. Eigentlich ist das neue Bremssystem schon fertig und könnte sofort in PKWs oder leichten Nutzfahrzeugen eingesetzt werden, doch ist erste Serieneinsatz von Sensify in einem Auto erst für 2024 geplant. Um welchen Automobilhersteller es sich dabei handelt, hierzu schweigen die Italiener allerdings. Brembo kann damit noch nicht an die Öffentlichkeit gehen, vertragsmäßig sind ihnen die Hände gebunden.
Nun gut, Geheimniskrämerei gehört halt auch zur Geschäftspolitik eines Zulieferers. Von der neuen Bremse wird daher zuerst der nichtgenannte Automobilhersteller profitieren. Fest steht aber schon jetzt: Die Bremsanlage kann nicht nur in Elektrofahrzeugen, sondern auch in Autos mit Verbrennungsmotoren eingesetzt werden und liefert darüber hinaus einen technischen Grundstein für das Autonome Fahren in der Zukunft.
In extremen Situationen bleibt Sensify gelassen
Sensify soll schon 2024 in die Serie gehen. Foto: © BremboUm uns einen ausgiebigen Eindruck zu verschaffen, konnten wir Sensify vorab auf einer abgesperrten Rennstrecke ausprobieren. Als Testwagen dienen mehrere Tesla Model 3. Die eine Hälfte ist mit konventioneller Bremstechnik ausgestattet, die andere mit dem neuen Sensify-System. Ob der amerikanische Elektro-Pionier der erste Serienkunde von Sensify sein wird, lässt Brembo ebenfalls noch offen. Auf jeden Fall sind unsere Teslas vollgestopft mit Messtechnik, die unsere Fahrten penibel erfassen und auswerten. Es wird ausgiebig und viel gefahren. Teilweise sind die Testabschnitte künstlich bewässert. Außerdem steht ein nasses Skid-Pad auf dem Programm, auf dem der Wagen wie auf Eis und Schnee fast ohne Haftung wegkreiseln kann. Der eigentliche Rennkurs ist dagegen niederschlagsfrei und vollkommen trocken.
Die Tests auf den verschiedenen Parcours führten wir mehrfach durch. Doch sind die Unterschiede zwischen einer herkömmlichen Bremse und Sensify schon auf der ersten Runde spürbar. Im direkten Vergleich reagiert das neue System schneller und hält das Fahrzeug sowohl auf trockener als auch nasser Fahrbahn erstaunlich stabil in der Spur. Selbst auf dem schlüpfrigen Schleuder-Pad bleibt unser Auto beim Sensify-Bremsvorgang ruhig und ist einfach beherrschbar, während das Auto mit klassischer Bremse bei Nässe auszubrechen droht. Trotz ESP, wohlgemerkt. Mit höherem Tempo auf der Rennstrecke hinterlässt Sensify ebenfalls einen positiven Eindruck. Bei extremen Bremsungen in Kurven bleibt der Sensify-Tesla gelassen und zieht nicht untersteuernd zum Außenrand hin, sondern bleibt stoisch kontrollierbarer und sicher.
Ungewohnt: Das Bremspedal pulsiert nicht
Anfangs noch gewöhnungsbedürftig, da das Bremspedal bei einer Vollbremsung nicht mehr pulsiert. Foto: © BremboDoch ist eine Vollbremsung mit Sensify zumindest anfangs ungewohnt. Bei herkömmlichen Fahrzeugen pulsiert unter solchen Voraussetzungen normalerweise das Bremspedal, weil das Antiblockiersystem an seinem Limit arbeitet. Ein weiterer Hinweis ist auch das begleitende Rattergeräusch, da eine gewöhnliche ABS-Bremse immer wieder nach Gripp und Schlupf sucht, um das Blockieren der Räder zu vermeiden. Beide Hinweise gibt es im Auto mit Sensify nicht mehr. Bei heiklen Gefahrenbremsungen bleibt das Pedal dagegen vollkommen ruhig, fast schon zu ruhig.
An die nicht vorhandene Geräuschkulisse muss man sich zunächst noch gewöhnen. Das ist aber kein wirklicher Nachteil, sondern eher eine lang antrainierte Kopfsache, die noch vom Umgang mit herkömlichen Fahrzeugen her rührt. Insgesamt ist Sensify sehr sicher. Aber auch in diesem Punkt bleiben die italienischen Entwickler so gelassen wie bei ihrem neuen System selbst. Wenn es unsere Kunden ausdrücklich wünschen, können wir das pulsierende Pedal auch problemlos über die Software simulieren, heißt es aus der Brembo-Konzernzentrale. Doch hat man sich an die Umstellung bei einer Vollbremsung mit Sensify schnell gewöhnt.
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Text:
Guido Borck /
handwerksblatt.de
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