Seit Dezember 2021 ist Corina Reifenstein neue Präsidentin der Handwerkskammer Cottbus. Die Diplom-Ingenieurin, die zusammen mit ihrem Mann in Terpe ein Bauunternehmen führt, sieht durch die Krisen eine große Unzufriedenheit im Handwerk, weil es an Planungssicherheit und Fachkräften fehlt, aber auch die Preissteigerungen kaum noch kalkulierbare Angebote ermöglichen.
DHB: Frau Reifenstein, Sie als Bauunternehmerin haben – wie viele Handwerksbetriebe – die Auftragsbücher gefüllt, aber können Sie auch liefern?
Reifenstein: In der Tat sind die Auftragsbücher gerade in der Baubranche noch – und ich betone "noch" – voll. Aber die Situation ist stark angespannt. Die Lieferketten sind sehr verzerrt. Holz gibt es nur noch zu sehr hohen Preisen, der Stahlpreis ist extrem gestiegen, gleiches gilt für Bitumenbahnen für Flachdächer. Richtig krass ist es bei Dachziegeln. Wer heute Dachsteine bestellt, bekommt sie frühestens im Juni oder Juli.
DHB: Das betrifft auch die Folgehandwerker.
Reifenstein: Leider. Wenn das Dach nicht gedeckt ist, kann auch der Ausbau eines Hauses nicht erfolgen. Aber auch sie stehen vor den Materialproblemen. Nehmen Sie die Elektrobranche: Weil ein Bauteil fehlt, gibt es keine FI-Schalter, die verbaut werden müssen. Es gibt kein Gewerk, das keine Lieferschwierigkeiten hat, vom Preis mal ganz abgesehen.
DHB: Wie ist es denn um eine Preisgarantie bestellt?
Reifenstein: Ganz klar: Es gibt keine Garantie mehr. Problematisch wird das für Betriebe, die noch Verträge aus dem letzten Jahr erfüllen müssen, als die Material- und Preiskrise noch nicht abzusehen war. Wenn sie mit privaten Unternehmern keine Preisgleitklausel vereinbart haben, bleiben sie auf diesen Kosten sitzen. Aber auch aktuell ist die Unsicherheit sehr groß. Bleiben wir bei den Dachdeckern: Er gibt heute sein Angebot ab, bekommt aber erst im Juli die Dachziegel zu dem Preis, der dann gilt. Da hat weder der Unternehmer noch der Endverbraucher eine Garantie, geschweige denn eine Planungssicherheit.
DHB: Sehen Sie eine Lösung?
Reifenstein: Der Bund hat eine Preisklausel für bestimmte Stoffe festgelegt. Ich bin der Meinung, es müsste eine generelle Preisgleitklausel für alle Baustoffe geben – und zwar für alles, was öffentlich ausgeschrieben wird, so dass der Unternehmer auf der sicheren Seite ist. Das sollte für die Dauer der gesamten Bauzeit gelten, denn oft genug dauern solche Projekte ein- bis eineinhalb Jahre. Müsste der Bauunternehmer das komplette Risiko tragen, könnte er gar kein Preisangebot mehr für öffentliche Bauten abgeben – und das könnte sogar den Fortbestand des Unternehmens gefährden ...
DHB: ... weil die Liquidität fehlt, um Aufträge vorzufinanzieren, die Mitarbeiter zu bezahlen, ganz zu schweigen vom Unternehmerlohn.
Reifenstein: Richtig, im Moment hat kein Unternehmer Planungssicherheit, nicht nur die Bauwirtschaft, sondern alle Handwerker, weil die gestiegenen Material-, aber auch die Energiekosten voll durchschlagen. Am Ende müssen alle Betriebe schauen, welche der erhöhten Kosten sie an die Kunden weitergeben können.
DHB: Wie können Handwerker mit Privatkunden umgehen, weil sie ja schlecht in eine Kalkulation schreiben können: "Preis nach Tagespreis, falls Material da ist"?
Reifenstein: Das ist ganz schwierig, weil sich Kunden ganz bewusst für einen Unternehmer entscheiden. Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Nicht alles lässt sich auf den Kunden abwälzen, und ich will im Vorfeld den Bauherrn nicht beunruhigen. Daher muss ich abschätzen, wie ich das vermittele.
In unserem Unternehmen übernehmen wir Erhöhungen bis fünf Prozent selbst. Wenn es darüber hinausgeht, kommunizieren wir dies, sofern wir die Möglichkeit haben, im Vorfeld: "Es könnte sein, dass ...". Passiert es, gilt es, mit Augenmaß miteinander zu sprechen. Aber ich muss es noch einmal sagen: Die Betriebe können die gestiegenen Kosten nicht eins zu eins an den Kunden weitergeben.
Zitat "Ein großer Vorteil des Handwerks ist, dass es
in der größten Krise arbeitsfähig ist. Der Bäcker, der Fleischer, der Friseur, die Kosmetikerin, der Bauarbeiter, der Elektriker: Sie können alle mit Homeoffice nichts anfagen." Corina Reifenstein, Präsidentin der Handwerkskammer Cottbus
DHB: Was dann den Ertrag schmälert.
Reifenstein: Klar, es bleibt am Ende weniger übrig. Das ist für den Unternehmer auch nicht zufriedenstellend. Wir wissen nicht, was uns in den nächsten Monaten erwartet. Gerade die Corona-Pandemie hat dem Handwerk viel abverlangt. Immerhin hat die Pandemie gezeigt, dass das Handwerk systemrelevant ist und wichtig für die Gesellschaft, um alles am Laufen zu halten. Aber jetzt haben wir nicht nur die Materialproblematik, sondern auch die exorbitanten Preissteigerungen im Energiesektor. Damit hat jeder zu kämpfen: egal in welcher Branche, alle brauchen Energie, brauchen Strom. Da hoffen wir, dass die Politik eine Möglichkeit findet, um die Unternehmer ein Stück weit zu entlasten.
DHB: Was sind Ihre Forderungen an die Politik?
Reifenstein: Es ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung, dass die Politik sagt, sie müsse Bürger und Unternehmen besser unterstützen. Aber gerade das Entlastungspaket der Bundesregierung ist im Handwerk nicht ausreichend. Das muss noch mal nachjustiert werden.
DHB: Energiegeld ist keine gute Lösung?
Reifenstein: Nein, weil dann wieder staatliche Aufgaben auf die Unternehmen abgewälzt werden – und gerade sie sollten doch von der Bürokratie entlastet werden. Wenn das über den Lohn geht und am Ende versteuert wird, verursacht das bürokratischen Aufwand. Wir wünschen uns, dass es anders geregelt wird.
DHB: Auch ohne diese Gemengelage steht das Handwerk vor großen Problemen. Nehmen wir den Fachkräftemangel – wie sieht es hier bei Ihnen in Südbrandenburg aus?
Reifenstein: Der Fachkräftemangel treibt uns schon seit Jahren um. Im Moment ist es noch problematischer, weil wir wegen Corona viele krankheitsbedingte Ausfälle haben. Kleinunternehmer mit wenigen Mitarbeitern standen und stehen oft ganz allein da – und die Aufträge müssen abgearbeitet werden. Aber der Arbeitsmarkt ist definitiv leergefegt, wir in der Lausitz haben fast Vollbeschäftigung. Weil auch noch Großansiedlungen, wie Tesla, händeringend Personal suchen, können Stellen im Handwerk oft erst nach Monaten wieder besetzt werden – eine echte Katastrophe. Ich glaube, dass die Rente mit 63 aus unserer heutigen Sicht der absolut falsche Ansatz war.
DHB: Weil wertvolles Know-how verschwindet.
Reifenstein: Genau, das sorgt dafür, dass etliche erfahrene Mitarbeiter frühzeitig in den Ruhestand gehen. So sehr das im Einzelfall verständlich ist, ich gönne es jedem, aber für die Unternehmen ist das nur schwer zu verkraften. Sie finden keinen äquivalenten Ersatz. Als Unternehmer sehen wir uns natürlich auch in der Verantwortung, intensiv in die Ausbildung zu gehen ...
DHB: ... aber gibt es hier reichlich Nachwuchs?
Reifenstein: In der Lausitz gab und gibt es mehr freie Ausbildungsplätze als Bewerber. Das zeigt das hohe Engagement unserer Unternehmer. Rein rechnerisch müsste in unserem Kammerbezirk jeder Schulabgänger einen Ausbildungsplatz finden. Das heißt, wir als Handwerkskammer, als Unternehmer, als Handwerker werben mit den Vorteilen des Handwerks und versuchen mit vielen Maßnahmen die Jugendlichen zu überzeugen.
DHB: Corona hat auch gezeigt, dass das Handwerk stabil ist.
Reifenstein: Das stimmt, ein großer Vorteil des Handwerks ist, dass es in der größten Krise arbeitsfähig ist. Der Bäcker, der Fleischer, der Friseur, die Kosmetikerin, der Bauarbeiter, der Elektriker: Sie können alle mit Homeoffice nichts anfangen. Damit können wir auch bei den jungen Leuten punkten.
DHB: Wie sieht Ihre Prognose für das Ausbildungsjahr 2022/23 aus?
Reifenstein: Das ist eine Herausforderung. Ich bin sicher, dass wir das gute Ergebnis aus dem letzten Jahr übertreffen werden. Nicht nur bei uns sind die Mitarbeiter der Handwerkskammer, aber auch die Unternehmer, gut unterwegs und versuchen, sich mit tollen Ideen gerade bei den jungen Leuten in Erinnerung zu bringen.
Die Fragen stellte Stefan Buhren.
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Text:
Stefan Buhren /
handwerksblatt.de
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