Die Kreishandwerkerschaften (KH) vertreten auf lokaler Ebene die Interessen der Handwerksbetriebe und der Innungen. Ulrich Müller, Hauptgeschäftsführer der KH Coesfeld, und Dr. Thomas Günther, Hauptgeschäftsführer der KH Köln, sind beide beim Landesverband der Kreishandwerkerschaften NRW aktiv. Im Interview nehmen sie Stellung zu den Herausforderungen der Handwerksorganisation.
DHB: Was hat sich in den letzten Jahren in der Arbeit der Kreishandwerkerschaften verändert?
Müller: Eine der tiefgreifendsten Einschnitte war die Einführung der freien Wahl der Krankenkassen. Bis Ende der 90er Jahre war die Bindung an die Innungskrankenkasse eines der schlagkräftigsten Argumente überhaupt für Handwerksbetriebe, freiwillig Mitglied der Innung und der jeweiligen Kreishandwerkerschaft zu werden. Nach dieser Öffnung, mit Beginn der 2000er Jahre, waren die Innungen und Kreishandwerkerschaften genötigt, neue Angebote mit monetären Vorteilen für die Mitgliederschaften zu schaffen, etwa mit Rahmenabkommen, um die Bindung an den Handwerksbetrieb aufrechtzuerhalten. Die Phase lief bis 2010, 2011, ehe dann die neuen Themen wie Digitalisierung, Mobilität oder alternative Produktionsstrategien aufkamen und die wir seitdem breit behandeln.
Günther: Hinzu kommt der allgemeine gesellschaftliche Trend, dass man eben nicht mehr überall Mitglied ist. Es ist heute nicht mehr gang und gäbe, dass man Mitglied in einer Partei, einem Club, einem Verein ist. Früher war es für einen guten Handwerksbetrieb selbstverständlich, Mitglied einer Innung zu sein. Heute ist jede freiwillige Mitgliedschaft immer mit der Frage verknüpft: Was habe ich davon? Es geht um finanzielle Aspekte, aber auch andere Mehrwerte, aber eben nicht mehr um die Mitgliedschaft wegen einer "guten Sache".
DHB: Klingt so, als ob die finanzielle Seite über die Mitgliedschaft in Innung und KH entscheidet.
Müller: Nicht nur, auch wenn wir selbst oft genug die monetären Aspekte zu sehr in den Vordergrund gerückt haben. Aber noch immer sind viele Handwerksbetriebe wegen der Gemeinschaft Mitglied, weil es um ihre Interessenvertretung in der Region geht. Sie haben mit einer KH eine Stimme bei den Bürgermeistern, den Landräten und auch bei der Landesregierung.
Günther: Die Handwerkskammer ist Interessenvertreter für das Gesamthandwerk, inklusive Arbeitnehmer, die Innung hingegen vertritt die Interessen für ein konkretes Handwerk – aus der Sicht des Unternehmers. Ohne Innung gäbe es keine Fachverbände, keine KH und damit keine Interessensvertretung für den Handwerksunternehmer und Arbeitgeber. Damit entfielen die Einflussmöglichkeiten auch auf Bundesebene auf Gesetzesvorhaben, auf Rahmenabkommen mit dem Handel, auf Normen, auf Tarifverträge und vieles mehr. Dann würden andere für ihn und über ihn entscheiden – und das wird von vielen übersehen. Als Trittbrettfahrer profitiert man ja auch von der sehr guten Interessenvertretung.
Müller: Ein konkretes Beispiel aus Nordrhein-Westfalen 2013/2014. In einem Gesetz ging es um Dichtigkeitsprüfungen für Abwasserrohre in privaten Haushalten. Gerade der Fachverband Sanitär Heizung Klima in Verbindung mit den Innungen vor Ort haben dann interveniert, so dass dieses Gesetzesvorhaben beiseitegelegt wurde. Das war in der Form ohnehin nicht umsetzbar.
DHB: Mit 36 Mitgliedern sind Sie als LV KH NRW bundesweit die stärkste Landesvertretung. Was macht Sie so stark, was machen Sie anders? Das kann nicht nur an den unterschiedlichen Strukturen in den Bundesländern liegen.
Müller: Wir sind der größte Landesverband, und wir haben eine 100-Prozent-Mitgliedschaft, alle KH sind Mitglied und wir betreuen landesweit rund 48.000 Handwerksbetriebe. Das sind gut aufgestellte Betriebe. Mit ihnen sind wir in sehr vielen Themen und Projekten sehr vertrauensvoll unterwegs.
Günther: Wir haben in NRW sehr früh umstrukturiert, weil uns klar war, dass nur große, starke Innungen und Kreishandwerkerschaften attraktiv für die Betriebe sind. Also haben wir vielfach fusioniert, und sind in ganz NRW nur 36, aber dafür starke KHs. Andere Länder sind kleinteiliger aufgestellt. Es ist klar, dass eine KH mit nur einigen Hundert Mitgliedern weniger Dienstleistungen anbieten oder eine nur geringere Interessenvertretung bieten kann als eine große KH. Der Appell in die kleinteilig aufgestellten Regionen lautet: Fusioniert, um groß und damit attraktiv zu sein. In den Stadtstaaten – und das ist übrigens rechtswidrig – gibt es gar keine KH, und damit fehlt es den Betriebsinhabern, den Handwerkern, an einer Interessenvertretung.
DHB: Dabei wäre es doch gerade dort wichtig. Handwerk agiert lokal ...
Müller: ... weil es von der Struktur eher lokal und kleinteilig ausgelegt ist. Im Schnitt hat jeder Handwerksbetrieb sieben Mitarbeiter, und das heißt auch, er arbeitet in der Regel lokal bis regional, in einem Radius von maximal 50 bis 100 Kilometern. Das heißt im Umkehrschluss: Als Innung oder KH muss ich in der Lage sein, die Betriebe lokal oder regional anzusprechen. Das geht verloren, wenn das Innungs- oder KH-Gebiet zu groß wird. Das heißt, Fusionen machen auch nur dann Sinn, wenn die enge Bindung gewahrt bleibt.
Günther: Die Innung muss lokal vor Ort und damit für den Betrieb erreichbar sein. Das ist genau der Mehrwert, den wir gegenüber der Kammer haben: die Präsenz vor Ort. Gerade in den zulassungsfreien Gewerken ist der Organisationsgrad oft gesunken – und dann stellt sich schon die Frage, ob man sich wegen einer zu geringen Mitgliederzahl auflöst oder in die Breite geht, also fusioniert. Da kann auch die Überlegung im Raum stehen, ob man nicht mit einem verwandten Handwerk fusioniert, um die Kleinteiligkeit, die Nähe zu gewährleisten. Voraussetzung für so eine gemischte Innung ist, dass es ausreichend Gemeinsamkeiten gibt.
DHB: Trotzdem heißt eine Fusion auch, dass Stellen wegfallen, woran früher oft Zusammenschlüsse scheiterten.
Müller: Dieses Denken hat sich weitgehend aufgelöst, sonst hätte es auch nicht in NRW so gut funktioniert. Die Zeit der "Fürstentümer" ist vorbei, wir pflegen eine offene, vertrauensvolle Gesprächskultur, übrigens nicht nur untereinander, sondern auch mit den Handwerkskammern. Das befeuert das Bemühen, die Gesamtinteressen des Handwerks zu vertreten. Daher gibt es auch viele Kooperationen zwischen Kreishandwerkerschaften, zwischen Innungen, egal ob struktureller, personeller oder informeller Art. Selbst nicht benachbarte KH kooperieren über den Rahmen des Landesverbandes. Allein kann man eben nicht mehr alles schaffen.
Günther: Das gute Verhältnis zwischen KH und Kammer liegt zum Teil auch darin begründet, dass wir als KH Aufgaben wahrnehmen, die die Kammer nicht mehr erledigen muss. Eine Kammer ist natürlich an ihrem Stammsitz präsent, aber sobald es ins Ländliche geht, ist es für sie schwieriger, die gleichen intensiven Kontakte zu den Rathäusern zu entwickeln. Dafür stehen die KHs vor Ort. Hinzu kommt: Auch für die Kammern ist es wichtig, eine freiwillige Organisation zu haben, die für die Vollversammlung kompetente und handwerksfreundliche Vertreter vorschlagen kann, die nicht Einzelinteressen vertreten, sondern für das Handwerk stehen.
ZITAT "Wir als KH haben die Präsenz vor Ort, sind der Anlaufpunkt für die Innungen und ihre Mitglieder. Unser großer Pluspunkt ist unsere regionale Nähe, die ständige Verfügbarkeit für die Innungsmitglieder, mit denen wir kontinuierlich in Kontakt stehen." Dr. Thomas Günther, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft KölnDHB: Sie stützen damit auch die ehrenamtlichen Strukturen.
Müller: Richtig. Wir kennen die Betriebsinhaber oft sogar persönlich und tragen mit unseren Vorschlägen und Ansprachen dazu bei, diese ehrenamtlichen Strukturen aufrechtzuerhalten.
Günther: Wir entlasten auch die Kammer von Tätigkeiten, weil wir zum Beispiel viele Prüfungsausschüsse haben, die sonst dort angesiedelt sein müssten. Das heißt auch, dass die Ausbildungsbetriebe und deren Lehrlinge nicht allzu weite Wege haben zur Ülu.
DHB: Auch ein wichtiges Argument im Kampf gegen den Fachkräftemangel, kurze Wege.
Müller: Ja, ohne Frage. Die Karrierechancen für den Nachwuchs sind exzellent. Es hat sich herumgesprochen: Dem Handwerk geht es – auch wenn es Ausnahmen gibt – seit Jahren gut, die Auftragsbücher sind voll. Früher gab es die Kämpfe zwischen Gewerken, wer darf wie viel im anderen Gewerk tun, heute läuft das alles kooperativ, weil man miteinander und nicht gegeneinander kämpft. Und genau hier kommt auch die Digitalisierung als neue Kooperationsstufe ins Spiel. Der Tischler, der zwar eine CNC-Maschine hat, aber sie nicht auslastet, kann über digitale Kooperationen für eine volle Auslastung sorgen, weil wir die CNC-Kapazitäten vernetzt haben. Wenn es uns in den nächsten zehn Jahren gelingt, Handwerkskapazitäten zu vernetzen, lassen sich Lücken besser schließen.
Günther: Eine Innung kann nur dann attraktiv sein, wenn hinter ihr eine starke KH für gewerkübergreifende Fragestellungen steht und über ihr ein Fachverband, der die gewerkspezifische Seite bedienen kann. Wir als KH haben die Präsenz vor Ort, sind der Anlaufpunkt für die Innungen und ihre Mitglieder. Wir stehen für fachübergreifende Fragen von der Rechtsberatung bis hin zur Fachkräftegewinnung, weil wir wissen, welche Schulen wir ansprechen können. Unser großer Pluspunkt ist unsere regionale Nähe und die ständige Verfügbarkeit für die Innungsmitglieder; wir stehen kontinuierlich mit ihnen in Kontakt.
Das Gespräch führte Stefan Buhren.
DHB jetzt auch digital!Einfach hier klicken und für das digitale DHB registrieren!
Text:
Stefan Buhren /
handwerksblatt.de
Kommentar schreiben