Handwerk als Fundament
Interview: Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger spricht über Klimaschutz, Nachhaltigkeit und den Strukturwandel.
Die SPD-Politikerin Rehlinger, die selbst Wirtschaftsministerin war, sagt über das Handwerk, dass es durch seine kleinbetriebliche Struktur insbesondere in Zeiten des Strukturwandels Stabilität und gute, wohnortnahe Arbeit bietet. Sie betont im Interview auch, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien schnell und massiv vorangetrieben werden muss.
DHB: Frau Rehlinger, die gegenwärtigen wirtschaftlichen Umfelder sind für Unternehmen, Gesellschaft und Politik mehr als herausfordernd: drohende Energiekrise, Inflation, Probleme in den Lieferketten und dann auch noch der angekündigte Rückzug von Ford. Das sind nur einige der Herausforderungen. Bestimmt hätten Sie sich einfachere Rahmenbedingungen für Ihren Start als Ministerpräsidentin gewünscht. Wie kann Politik heute aktiv die künftige Entwicklung gestalten?
Rehlinger: Wir müssen einen Strukturwandel meistern, der in vielen Bereichen gleichzeitig stattfindet und von vielen äußeren Faktoren beschleunigt wird. Digitalisierung, Industrie 4.0, Mobilitätswende, Energiewende, Klimaschutz, demografischer Wandel, aber auch globale Krisen wie zuletzt die Corona-Pandemie und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine: all das bringt für das Saarland immense Herausforderungen und Veränderungsprozesse mit sich. Ich begreife Veränderungen aber als Chance und gehe Herausforderungen gezielt an. Unsere Aufgabe als Landesregierung ist es, durch den Strukturwandel zu führen. Dazu gehört, dass wir passgenaue Instrumente bereitstellen, sei es bei der Qualifizierung und Weiterbildung von Beschäftigten oder der Förderung von Investitionen. Wichtig ist auch eine kluge Flächenpolitik, wie wir sie etwa gerade mit dem Landesentwicklungsplan auf die Füße stellen. Wir brauchen dringend Raum, um auch anderen Branchen die Möglichkeit zum Wachsen zu geben. So können wir unsere Saarwirtschaft breiter aufstellen und zukunftsfester machen.
DHB: Für die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts spielt die öffentliche Infrastruktur eine maßgebliche Rolle. Welche Investitionen plant die Landesregierung hier mit Blick auf die kommenden zehn Jahre?
Rehlinger: Ein Bundesland, in dem die Menschen gut leben und arbeiten können, braucht einen attraktiven ÖPNV und einen funktionierenden Mobilitätsmix. Der Verkehrsentwicklungsplan ÖPNV ist für die kommenden Jahre unser Fahrplan zu diesem Ziel. Eine zentrale Maßnahme ist unter anderem die Modernisierung der Bahnhöfe. Rund 167 Mio. Euro sind hier zur Investition vorgesehen, wovon ca. 47 Mio. Euro vom Saarland beigesteuert werden, um das Erscheinungsbild und die Barrierefreiheit an rd. 30 Stationen zu verbessern. Die Baurechtschaffung zur Reaktivierung der Bahnstrecke Homburg-Zweibrücken, eine Gemeinschaftsmaßnahme des Saarlandes mit Rheinland-Pfalz, steht kurz vor dem Abschluss. Der Anteil des Saarlandes an Bau- und Planungskosten beträgt rd. 2,5 Mio. Euro. Fünf weitere stillgelegte Bahnstrecken werden derzeit in einer Machbarkeitsstudie auf ihre Reaktivierung hin geprüft. Und auch bei der Saarbahn stehen Investitionen an, etwa bei der Beschaffung der Fahrzeugflotte, an der sich das Land finanziell beteiligt. Das im VEP ÖPNV vorgeschlagene neue S-Bahn-Netz Saarland wird planerisch untersucht, mit dem Ziel eines dichteren und schnelleren Takts. Das Investitionsprogramm "Gute Straßen für das Saarland" ist ein millionenschweres Investitionsprogramm zur Instandsetzung und grundhaften Erneuerung von Landesstraßen sowie dem Bau von Rad- und Gehwegen. Dieses Jahr stehen dem Landesbetrieb für Straßenbau (LfS) rund 41,7 Mio. Euro für Neu-, Um- und Ausbau sowie die Erhaltung von Landesstraßen zur Verfügung. Die Grunderneuerungen von Landesstraßen und der Bau von Rad- und Gehwegen werden konsequent weitergeführt. Mit der Planung des ELER-Programms (Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes) haben wir die Weichen für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur in den kommenden Jahren gestellt. Für die Förderperiode 2023 bis 2027 stehen 93 Mio. Euro zur Verfügung – 23 Mio. Euro mehr als im letzten Förderzeitraum. Um im internationalen Wettbewerb um Industrieansiedlungen zu überzeugen, braucht es aber auch Investitionen in die wirtschaftsnahe Infrastruktur, wie wir sie mit dem Masterplan 2 umsetzen. 65 Mio. Euro stellt die Landesregierung dafür zur Verfügung. Dabei nehmen wir gezielt auch Altflächen in den Blick, die wir wieder nutzbar machen können.
DHB: Das Saarland befindet sich in einem tiefgreifenden Prozess des Strukturwandels, der alle gesellschaftlichen Gruppen betrifft. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach das Handwerk mit Blick auf den Erfolg dieses Prozesses?
Rehlinger: Das Handwerk ist das starke Fundament der mittelständischen Wirtschaft. Durch seine kleinbetriebliche Struktur bietet es insbesondere in Zeiten des Strukturwandels Stabilität und gute, wohnortnahe Arbeit. Unsere Handwerksbetriebe sind seit jeher die mit den meisten Auszubildenden – rund 30 Prozent aller Azubis werden hier ausgebildet. Eine Ausbildung im Handwerksbetrieb vor Ort hat oft auch eine bindende Funktion: Jugendliche ziehen weniger häufig weg, der demografische Wandel in kleineren Städten und Dörfern wird so abgefedert. Strukturwandel findet im Übrigen auch in unserer Gesellschaft statt. Das zeigt sich heute wieder häufiger ganz konkret am Wunsch vieler junger Menschen nach einem Beruf, der Sinn stiftet, der also beispielsweise direkt zum Klimaschutz beiträgt oder ein sichtbares und nützliches Ergebnis liefert. Es geht also im Grunde um nachhaltige Arbeit. Das Handwerk bietet das alles. Großes Potenzial hat auch die Schnittstelle zwischen Handwerk und der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die Digitalisierung – Verfahren wie 3-D-Druck in Tischlereien mit Holz-Polymer-Filamenten oder 3-D-Druck mit Gold in Goldschmieden – schreitet auch im Handwerk mit großen Schritten voran. Die Kreativbranche kann hier wichtiger Ideengeber und Dienstleister sein.
DHB: Klimaschutz und Nachhaltigkeit müssen zentrale Elemente bei den anstehenden Transformationsprozessen der saarländischen Wirtschaft sein. Mit welchen Instrumenten und welcher Strategie stellen Sie sicher, dass beide Themen ausreichend berücksichtigt werden und die Wirtschaft sowie die Beschäftigten auf diesem Weg mitgenommen werden?
Rehlinger: Wir müssen den Ausbau der erneuerbaren Energien schnell und massiv vorantreiben. Nur so können wir einerseits kurzfristig von Russland unabhängig werden, aber langfristig auch die weltweite Klimakrise in den Griff bekommen. Ein neu aufgelegtes Klimaschutzgesetz, das auch die veränderten Rahmenbedingungen berücksichtigt, wird dazu verbindliche Ziele ausgeben. Als öffentliche Hand, als Unternehmen, aber auch als Bürgerinnen und Bürger sind wir alle gefordert bei der Rettung unseres Klimas. Wir brauchen mehr Photovoltaik-Anlagen, um die Energieversorgung auf sichere Füße zu stellen. Als Land werden wir mit gutem Beispiel vorangehen. Das gilt auch bei der energetischen Sanierung von Gebäuden. Im Saarland leben überdurchschnittlich viele Eigenheimbesitzer, was besondere Anforderungen bei der Sanierung mit sich bringt. Das Handwerk ist hier unverzichtbarer Partner bei der Umsetzung von schnellen und nachhaltigen Lösungen.
DHB: In Rheinland-Pfalz erhalten Gründer, die zum Beispiel über die Qualifikation eines Handwerksmeisters verfügen, im Rahmen ihrer Existenzgründung den sogenannten Aufstiegsbonus II als Gründungszuschuss von Seiten des Landes als Starthilfe in die Selbstständigkeit. Planen Sie, eine solche Förderung zukünftig auch für saarländische Gründer ins Leben zu rufen?
Rehlinger: Ein Gründungszuschuss vergleichbar mit dem Aufstiegsbonus II in Rheinland-Pfalz ist im Saarland nicht geplant. Im Saarland haben wir den Aufstiegsbonus aufgelegt, um die berufliche Weiterbildung attraktiver und leichter zugänglich zu machen. Das Starter Stipendium Saar fördert Startups mit neuartigen Produkten oder Geschäftsmodellen und richtet sich auch an Gründerinnen und Gründer aus dem Handwerk.
DHB: Derzeit gibt es im saarländischen Handwerk rund 2.100 Mitgliedsbetriebe, deren Inhaber das 65. Lebensjahr bereits vollendet haben, und die nun nach und nach zur Übernahme anstehen. Auf welche Förderinstrumente von Seiten des Landes können potenzielle Übernehmer zugreifen?
Rehlinger: Die Saarland Offensive für Gründung (SOG) berät umfassend zu Betriebsübernahme und -übergabe, hier steht auch das gebündelte Förderspektrum zur Verfügung. Die Richtlinie des Beratungsprogramms des Saarlandes sieht beispielsweise einen erhöhten Fördersatz für diejenigen vor, die sich vor einer Gründung oder Unternehmensübernahme im Handwerk beraten lassen wollen. Außerdem haben Übernehmerinnen und Übernehmer die Möglichkeit, die Finanzierungsangebote der saarländischen Förderbank SIKB in Anspruch zu nehmen, die teilweise auch vom Land bezuschusst werden, wie etwa das Startkapitalprogramm des Saarlandes. Nicht zuletzt setzen wir mit unseren Partnern im SOG-Netzwerk auch auf niedrigschwellige Sensibilisierungs- und Informationsangebote zum Thema Nachfolge.
DHB: Wie kann die Landesregierung Handwerksbetriebe bei der digitalen Transformation noch besser unterstützen?
Rehlinger: Die digitale Transformation verändert auch das Handwerk. Auch hier müssen die Beschäftigten weiter im Mittelpunkt stehen. Oberste Priorität hat deshalb die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Entsprechende Maßnahmen fördern wir beispielsweise mit dem Programm "Kompetenz durch Weiterbildung" (KdW). Unternehmen erhalten einen Zuschuss in Höhe von 40% der Weiterbildungskosten bis maximal 2.000 Euro pro Weiterbildung. Um Betriebe bei der richtigen Auswahl der Weiterbildungsformate zu unterstützen, fördern wir außerdem die Weiterbildungsberatung. Mit dem Förderprogramm "DigitalStarter Saarland" haben wir ein gut funktionierendes Förderinstrument zur Digitalisierung kleiner und mittlerer Unternehmen auf den Weg gebracht. Es bietet auch der Handwerksbranche die Chance, Produktionsprozesse und Dienstleistungen effizienter zu gestalten, etwa durch die Einführung digitaler Systeme. KMU erhalten bis zu 12.500 Euro Zuschuss. Die Ausstattung ist immer nur so gut wie der Mensch, der sie bedient. Deshalb müssen Investitionen in die Ausstattung von Betrieben mit Investitionen in Qualifizierung Hand in Hand gehen.
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Text:
DHB /
handwerksblatt.de
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