"Der Mittelstand gerät an seine Belastungsgrenze"
Angesichts der anhaltenden Krisen befürchtet die AG Mittelstand, dass vielen Betrieben die Luft ausgehen könnte. Sie fordert von der Politik weitere Maßnahmen zur Stabilisierung des Wirtschaftsstandorts.
Seit über zwei Jahren ist der deutsche Mittelstand im Krisenmodus: Corona-Pandemie, Probleme mit den Lieferketten und die daraus resultierende Materialknappheit und die explodierenden Energiepreise machen den Betrieben zu schaffen. Tausende mittelständische Unternehmen seien nun an der Belastungsgrenze angekommen. Für sie drohe es unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr weiterzugehen, betont die Arbeitsgemeinschaft (AG) Mittelstand.
Wirtschaftsstandort stabilisieren
Sie fordert deshalb von der Bundesregierung weitere Maßnahmen zur Stabilisierung des Wirtschaftsstandortes zu ergreifen – und zwar schnell und konsequent. "Mit konkreten Maßnahmen in der Energiepolitik sowie in der Steuer- und Abgabenpolitik, mit einem Belastungsmoratorium, auch für den Bereich der Mittelstandsfinanzierung, und Verbesserungen in der Infrastruktur können die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Krise zu meistern."
Handlungsbedarf in der Energiepolitik
Handlungsbedarf gebe es in erster Linie bei der Energiepolitik. Die AG Mittelstand fordert eine schnelle Umsetzung des Abwehrschirms der Bundesregierung, um die steigenden Preise unter Kontrolle zu bringen. Außerdem sei die Energieversorgungssicherheit zu bezahlbaren und international konkurrenzfähigen Preisen sicherzustellen. Auch hier komme es auf Schnelligkeit bei der Umsetzung der Gas- und Strompreisbremsen an. Zusätzlich müsse es Härtefallhilfen für die Betriebe geben.
Die Forderungen für die Energiepolitik
- die schnelle Einführung temporärer und für alle unter den hohen Energiepreisen leidenden mittelständischen Unternehmen zugängliche Wirtschaftshilfen,
- die umgehende Ausschöpfung des gesamten Potentials zur Energieerzeugung. Hierzu gehören Kohle und Kernenergie ebenso wie der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren,
- die Verhinderung einer unnötigen Verteuerung von Energie durch nationale Steuern, Abgaben und Bepreisung. Deshalb muss beispielsweise die Stromsteuer auf das EU-weit zulässige Minimum gesenkt werden,
- den Gaseinkauf der EU-Länder, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen zu bündeln, um so die große europäische Marktmacht zu nutzen und günstigere Preise aushandeln zu können,
- die Reduzierung der bürokratischen Pflichten bei Planung und Betrieb von Anlagen für die Erzeugung von erneuerbaren Energien sowie bei der Nutzung des selbst produzierten Stroms,
- die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Energie- und Infrastrukturprojekten,
- die verstärkte Erschließung von inländischen Rohstoffquellen (Grundstoffe für Bau, Energietechnik und sonstige Produktion).
Es müsse das gesamte Potenzial zur Energieerzeugung ausgeschöpft werden, von Kohle über Kernenergie bis hin zum beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Auch die Senkung der Stromsteuer auf das EU-weit zulässige Minimum und die Bündelung des Gaseinkaufs der EU-Länder sind wichtige Maßnahmen, um die Herausforderungen der Energiekrise anzugehen. Der Mittelstand dürfe nicht weiter belastet werden. Steuererhöhungen oder höhere Sozialabgaben seien tabu. Ansonstendrohe eine existenzgefährdende Überlastung.
Die Forderungen für die Steuer- und Abgabepolitik
- die Beitragsstabilität im Sozialversicherungssystem: Die Beiträge müssen dauerhaft unter der 40 Prozent-Marke bleiben,
- die klare Ablehnung einer Übergewinnsteuer: Eine solche Steuer ist realitätsfern, nicht praktikabel und ordnungspolitisch fragwürdig. Es ist nicht erklärbar, was ein "Übergewinn" sein soll. Im Ergebnis steht eine unkalkulierbare Steuerlast, die Unternehmen davon abhält, ihre maximale Leistung auszuschöpfen,
- die klare Ablehnung einer allgemeinen Vermögensteuer: Viele Mittelständler haften mit ihrem Vermögen für die Firma und bringen immer wieder Geld aus dem Privatvermögen ein. Eine Vermögensteuer wäre deshalb ein echter Nackenschlag für den Mittelstand – ganz abgesehen von allen Problemen bei der Bewertung,
- den Abbau der sogenannten kalten Progression, um so steuerliche Mehrbelastungen zu vermeiden: Der Staat darf nicht von inflationsbedingt höheren Einkommen profitieren. Deshalb muss die kalte Progression, wie von der Bundesregierung bereits angekündigt, beseitigt werden,
- eine international wettbewerbsfähige Unternehmensbesteuerung mit verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten: Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Superabschreibung muss umgesetzt werden – vorzugsweise mit einer Investitionsprämie als Komponente, damit auch Unternehmen, die noch Verluste aus Krisenzeiten abbauen, von der Maßnahme profitieren,
- die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages.
Der Mittelstand brauche "ein ernst gemeinstes Belastungsmoratorium". Die Bundesregierung dürfe nicht riskieren, die Betriebe mit zunehmender Bürokratie zu überfordern. "Dies gilt auch in Hinblick auf den wichtigen Bereich der Mittelstandsfinanzierung von Banken und Sparkassen. Regulatorische Maßnahmen, die eine Verteuerung der Finanzierung des Mittelstands bewirken, sollten daher vermieden werden." Auf europäischer Ebene müsse das Lieferkettengesetz verschoben und verbessert werden.
Die Forderungen zum Belastungsmoratorium
- Angesichts der hohen Komplexität der heutigen Lieferketten und der aktuellen Krisen- und Kriegssituation in der Ukraine und weltweit muss die Richtlinie für ein europäisches Lieferkettengesetz praxistauglich ausgestaltet sein und die Notwendigkeit der Versorgungssicherheit sowie den globalen Wettbewerbsdruck berücksichtigen. In seiner derzeit diskutierten Form überfordert ein solches Gesetz viele Mittelständler massiv und bringt sie in große rechtliche Unsicherheiten. Es ist nicht Aufgabe mittelständischer Unternehmen, Funktionen der Außenwirtschaftskontrolle zu übernehmen und die Umsetzung wünschenswerter internationaler Sozialstandards zu überwachen. Um den Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes nachzukommen, brauchen die Unternehmen mehr Unterstützung seitens der Bundesregierung. Auch das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sollte angesichts der damit verbundenen Belastungen für mittelständische Unternehmen kritisch überprüft und sein Inkrafttreten um mindestens zwölf Monate verschoben werden.
- Zur Verbesserung des Finanzierungsumfeldes sollte unter anderem die Proportionalität in der Bankenregulierung konsequenter umgesetzt werden. Der mit der letzten Überarbeitung der EU-Eigenmittelverordnung (CRR II) eingeschlagene Weg der Entlastung kleiner und mittelgroßer Institute von administrativen Lasten (z. B. Meldewesen und Offenlegung) hat leider das beabsichtigte Ziel nicht annähernd erreicht. Dabei wäre eine deutliche Entlastung bei den Kosten der Regulierung und der Aufsicht bei gleichzeitiger Wahrung der hohen Systemstabilität gut umsetzbar, ist heute aber weiter entfernt denn je. Dieses Ziel muss konsequent neu angegangen werden.
- Angesichts des drohenden wirtschaftlichen Abschwungs und des realistischen Szenarios einer Stagflation sollten Maßnahmen zur Verlangsamung der Kreditvergabe zurückgestellt werden. Regulatorische Maßnahmen, die eine Verteuerung der Finanzierung des Mittelstands bewirken, sollten daher vermieden werden. In diesem Zusammenhang wäre es angemessen, dass sich die Vertreter der Bundesregierung im Ausschuss für Finanzstabilität dafür einsetzen, die avisierte Festlegung des Antizyklischen Kapitalpuffers und des Systemrisikopuffers auf Werte über null auszusetzen oder mindestens die Anwendung auf das Neugeschäft zu beschränken
Der regional verwurzelte Mittelstand sei schließlich auf eine gute Infrastruktur angewiesen – sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt. Hier gehe es um Straßen, Brücken, Schienen, öffentlichen Nahverkehr, flächendeckende Breitbandversorgung auf Glasfaserstandard und mobiles Internet, moderne und energieeffiziente Wohnungen, sowie die Modernisierung des Gebäudebestands. "Ohne diese Voraussetzungen ist der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht mehr auf Dauer konkurrenzfähig. Hier herrscht weiterhin höchster Handlungsdruck."
Die Forderungen für die Infrastruktur
- die Sicherung und Stärkung der Entwicklungspotenziale der ländlichen Räume, durch raschen Ausbau der Breitbandversorgung einschließlich des mobilen Internets und Verbesserung der verkehrlichen Erschließung,
- ein umfassendes Sanierungsprogramm und die Beseitigung von Engpässen bei Straßen, Schienenwegen und Wasserstraßen sowie den zügigen Ersatz der zahlreichen maroden Brücken,
- konsequente Investitionen in das Schienennetz der Bahn, sowohl in Ballungsräumen als auch in ländlichen Gebieten,
- verstärkte Investitionen in den Wirtschaftsstandort "Stadt", unter anderem durch Bereitstellung von Wohnraum für Fachkräfte und die Schaffung moderner Gewerbeflächen sowie die Sicherung der Lebendigkeit und der Erreichbarkeit von Stadtzentren,
- den Start einer Wohnungsbauinitiative zur Deckung des hohen Wohnungsbedarfs, verbunden mit Impulsen für den Wohnungsneubau, auch beim selbstgenutzten Wohnungsbau sowie zur energetischen Modernisierung im Wohnungsbestand (Dämmung, Modernisierung Heizungsanlagen, Stromerzeugung).
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Text:
Lars Otten /
handwerksblatt.de
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