Interview: Bäcker sollten mehr Trümpfe ausspielen
Die Zahl der Bäckereien in Deutschland ist in den letzten 50 Jahren von 40.000 Betrieben auf knapp 10.000 gesunken. Wie es wieder bergauf gehen kann, darüber haben wir mit Bernd Kütscher, Bäckermeister und Direktor der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim gesprochen.
Supermärkte und Discounter haben beim Verkauf von Backwaren enorm zugelegt. Und doch gibt es ein Rezept für das Bäckerhandwerk, wie es sich gegen Industrieprodukte durchsetzen kann. Die Zutaten hat Bernd Kütscher, Bäckermeister und Direktor der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim, in einem Seminar an der Handwerkskammer Trier verraten. Im Handwerksblatt (HB) spricht der Bäckermeister über die Zukunft der Branche.
Bernd Kütscher Foto: © Bundesakademie Weinheim / Ingo HilgerHB: Herr Kütscher, müssen wir uns Sorgen machen, dass handwerklich arbeitende Bäckereibetriebe aussterben?
Kütscher: Bäckereien müssen heute große Herausforderungen meistern. Die Energiepreise explodieren, Rohstoffpreise ebenfalls, Fachkräfte fehlen und es gibt viel zu wenig Nachwuchs. Doch ein "Bäckersterben" gibt es nicht! Zwar ist die Zahl der Betriebe konstant rückläufig, aber nicht die Zahl der Verkaufsstandorte. Denn während die eine oder andere Bäckerei aufgibt, öffnet eine andere Bäckerei neue Filialen. Natürlich spielt die Inflation derzeit eher den Billiganbietern in die Karten. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass das Brot und dessen handwerkliche Hersteller in Zukunft weiterhin eine große Marktbedeutung haben werden, in Zeiten des Klimawandels möglicherweise sogar eine noch größere. Denn das regional erzeugte Brot ist Nachhaltigkeit und Klimaschutz pur.
HB: Wenn sich die Produktionskosten erhöhen, muss das auf die Preise umgelegt werden. Kunden akzeptieren Preiserhöhungen derzeit aber nur noch begrenzt.
Kütscher: Leider hat das Kulturgut Brot durch die Veränderungen der Gesellschaft und auch durch die unbegrenzte Verfügbarkeit seinen Wert verloren. Früher haben die Menschen einen Großteil ihres Einkommens für das täglich Brot ausgeben müssen.
Heute ist es in wenigen Minuten verdient. Wer sein Auto zwei Stunden in der Stadt parkt, zahlt hierfür mehr als für ein ganzes Brot. Insofern müssen wir wieder dahin zurück, dass mehr Kunden ein handwerklich hergestelltes Produkt wertschätzen. Umgekehrt müssen sich auch die Bäckereien verstärkt der Optimierung der Produktqualität widmen, damit der Kunde den Preisunterschied zum Industriebrot noch deutlicher schmeckt.
HB: Was sollten Bäckereien also konkret tun? Geben sie nicht schon ihr Bestes?
Kütscher: Es gibt ja nicht "die" Bäckerei, sondern rund 10.000 verschiedene, mit verschiedenen Philosophien und Qualitäten. Diesen empfehlen wir in unseren Weiterbildungen, traditionell zu backen, nur beste Zutaten zu verwenden und sich so vom Industrieprodukt zu unterscheiden. Die Qualität der Zutaten ist dabei wesentlich: Frischmilch schmeckt besser als Milchpulver und frische Eier aus der Region besser als solche aus dem Tetrapack. Ganz wichtig finde ich es, mit eigenen Rezepten zu arbeiten und hauseigene Spezialitäten im Sortiment zu haben. Auch lange Teigreifezeiten verbessern die Qualität stark und sind oft ein Alleinstellungsmerkmal des Handwerks, denn die Industrie muss riesige Mengen in kurzer Zeit produzieren. Viele Bäckereien haben das längst verstanden und sind sehr gut unterwegs, aber sicher noch nicht alle.
HB: Nicht wenige Bäckereien haben über 100 Produkte im Sortiment. Wie sollen sie als Experten für vielfältigste Brotwaren aus besten Zutaten mit der Tatsache umgehen, dass die meisten Deutschen am liebsten Toast essen? Womit können sie die Verbraucher überzeugen?
Kütscher: Wir empfehlen angesichts der aktuellen Herausforderungen, die Sortimentsbreite zu reduzieren und lieber auf weniger, dafür aber herausragend gute Produkte zu setzen. Von Produkten, die nicht mehr kostendeckend sind, gilt es sich zu trennen. Damit die Vielfalt nicht darunter leidet, können bestimmte Produkte nur zu bestimmten Zeiten angeboten werden. Es braucht nicht jede Brotsorte jeden Tag! Und weil die Nachfrage nach Toastbrot so groß ist, sollten Bäckereien sich auch diesem Produkt widmen – in einer Qualität, die überzeugender und bekömmlicher ist als das Industrieprodukt aus dem Supermarkt.
HB: Die Abbruchquote der Lehrverhältnisse im Bäckerhandwerk ist mit etwa einem Drittel hoch. Warum ist Ausbildung Ihrer Meinung nach dennoch eine lohnenswerte Investition in die Zukunft – und woher sollen die Lehrlinge kommen?
Kütscher: Ja, die Nachwuchssituation ist dramatisch, dies gilt ja für sämtliche Handwerksberufe. Die Lage wird sich noch weiter verschärfen. Umso größer sind aber die Chancen für jene, die sich mit Passion für eine Ausbildung entscheiden. Diesen muss mehr geboten werden als früher. Das A und O dabei sind ein gutes Betriebsklima, ein familiärer Umgang und echte Wertschätzung. Attraktiv sind auch finanzielle Anreize wie Sonderzahlungen, betriebliche Altersvorsorge, eine ordentliche Bezahlung und ein großzügiger Personalrabatt. Bei Jugendlichen helfen ein Jobticket, Tankgutscheine oder ein Führerscheinzuschuss, um den Weg zur Ausbildungsstelle besser zu finanzieren. Der jungen Generation geht es aber nicht nur um das Finanzielle, sondern auch um die Work-Live-Balance und die Sinnhaftigkeit ihres Tuns. Diesbezüglich bietet das Handwerk enorme Vorteile. Ein Meister, der sein Handwerk beherrscht, steht heute schon finanziell nicht schlechter da als ein Akademiker. Und das wird sich weiter zugunsten des Handwerks verschieben!
HB: Die vielen Veränderungen ziehen ja auch Kosten nach sich. Und die Kunden wollen sparen. Warum sollten Bäckereien all diese Bürden auf sich nehmen?
Kütscher: Albert Einstein hat einmal gesagt: "Das Leben ist wie Fahrradfahren. Um das Gleichgewicht zu halten, muss man in Bewegung bleiben." Genauso ist es. Jede Marktveränderung birgt Risiken, aber immer auch Chancen. Und die gilt es zu nutzen! Sicher gab es schon einfachere Zeiten, doch zum Unternehmertum gehört es auch, eine Weile zurückzustecken und durchzuhalten. Oder einen Gang zurückzuschalten, um anschließend umso besser Gas geben zu können. Fakt ist, dass die Sehnsucht nach handwerklich gut gebackenem Brot riesig ist. Und dass Bäckereien längst mehr sind als Verkäufer von Backwaren. Sie sind das tägliche, kleine Glück, das sich jeder leisten kann. Dazu kommt das Thema Nachhaltigkeit, denn das regional gebackene Brot hat gegenüber anderen Produktgruppen aus tierischer Produktion oder gegenüber industriellen Wettbewerbern enorme Vorteile. Diese Trümpfe werden handwerkliche Bäckereien in Zukunft ausspielen, und die besonders zukunftsgerichteten Betriebe tun dies schon heute, mit großem Erfolg!
Das Interview führte Constanze Knaack-Schweigstill
Tagesseminar: Verkaufstraining im Bäckerhandwerk 14.03.2023, 9 bis 16.30 Uhr, HWK Trier
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Text:
Constanze Knaack-Schweigstill /
handwerksblatt.de
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