Eine AU, die bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses läuft, kann fragwürdig sein.

Eine AU, die bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses läuft, kann fragwürdig sein. (Foto: © pejo/123RF.com)

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Passt die Krankmeldung zur Kündigungsfrist, darf der Chef daran zweifeln

Kommt direkt nach einer Kündigung die Krankmeldung des Betroffenen, kann der Chef den "gelben Schein" anzweifeln, wenn der passgenau bis zum Ende des Jobs reicht. Das Bundesarbeitsgericht macht hier eine Ausnahme beim Beweiswert des Attests.

Ein erkrankter Arbeitnehmer muss keine Lohneinbußen befürchten, denn nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) zahlt der Arbeitgeber bis zu sechs Wochen den Lohn weiter. Ein ärztliches Attest – die sogenannte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) – kann der Vorgesetzte nicht ohne weiteres anzweifeln, weil es einen hohen rechtlichen Beweiswert hat. Dieser kann aber erschüttert sein, wenn sich der Arbeitnehmer nach einer Kündigung sofort krankmeldet. So urteilte das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Fall. Die arbeitsrechtliche Lage fasst der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Prof. Dr. Michael Fuhlrott zusammen.

Der Fall

Dem Arbeitnehmer wurde am 3. Mai 2022 zum 31. Mai 2022 gekündigt. Für die Zeit vom 6. Mai 2022 bis zum 31. Mai 2022 legte er mehrere aufeinanderfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) vor. Ab dem nächsten Tag, dem 1. Juni 2022, begann er einen neuen Job. Der Ex-Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU sei erschüttert. Die Vorinstanzen sprachen dem Gekündigten die Entgeltfortzahlung bis zum 31. Mai 2022 zu.

Das Urteil

Das Bundesarbeitsgericht sah das anders und stellte sich auf die Seite des Arbeitgebers. Es betrachtet den Beweiswert der AU als erschüttert. Die Arbeitsunfähigkeit habe genau zur Kündigungsfrist gepasst und stand zu ihr in einem zeitlichen Zusammenhang. Außerdem habe der Mann unmittelbar danach eine neue Stelle angetreten. Tritt eine solche Erschütterung des Beweiswerts ein, kann sich der Beschäftigte nicht mehr auf das Attest allein berufen. Ihn trifft dann die Darlegungslast, dass er tatsächlich krank war.

"Dazu muss der Mitarbeiter etwa weitere Unterlagen wie einen Arztbrief vorlegen, genauere Ausführungen zu seiner Diagnose und seinen Beschwerden machen oder den behandelnden Arzt von seiner Schweigepflicht entbinden und als Zeugen im Prozess benennen", erklärt Fuhlrott. "Die Entscheidung ist sicherlich kein Freifahrtschein für Unternehmen, nunmehr bei Krankschreibungen nach einer Kündigung die Lohnfortzahlung einzustellen", meint der Arbeitsrechtler, "auch wenn Unternehmen künftig bei Krankmeldungen im Zusammenhang mit Kündigungen sicherlich genauer hinsehen werden."

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Konkrete Umstände sind wichtig

Nach dem Bundesarbeitsgericht braucht man für die Beweis-Erschütterung bestimmte Umstände: "Das kann etwa eine Krankmeldung unmittelbar nach Ausspruch einer Kündigung sein, insbesondere, wenn das Ende der Krankschreibung passgenau mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses zusammenfällt und der Arbeitnehmer für den neuen Job am nächsten Tag wieder arbeitsfähig ist", erläutert der Experte.

Nach dem Urteil ist eine Erschütterung ebenfalls dann möglich, wenn der Arbeitnehmer zunächst ein Attest einreicht und diese Krankschreibung dann weiter bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses verlängert. Nach dem Gericht ist es unerheblich, von wem die Kündigung ausgesprochen wird – ob vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer. "Die Umstände des Einzelfalls bleiben aber weiterhin maßgeblich und sind vom Arbeitsgericht bei Streitigkeiten zu berücksichtigen. Das Urteil wird sicherlich dazu führen, dass derartige Fälle künftig die Gerichte in großem Maße beschäftigen werden", mutmaßt der Arbeitsrechtler.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Dezember 2023, Az. 5 AZR 137/23 

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Text: / handwerksblatt.de

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