Existenzangst? Für viele Betriebe ist sie in weite Ferne gerückt. Gerade das traditionell am stärksten von Pleiten geplagte Baugewerbe erlebt gegenwärtig eine Blütezeit: Wegen der niedrigen Zinsen stecken viele Bürger ihr Geld in den Hausbau oder Renovierungen und bescheren den Unternehmen damit volle Auftragsbücher. Doch auch wenn die Zahl der Insolvenzen sinkt, schlittern laut der Wirtschaftsauskunftei Creditreform Jahr für Jahr Tausende Betriebe in die Pleite. Ein Drama nicht nur für die Inhaber, sondern auch für ihre Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden.
Dabei ließe sich so manche Insolvenz verhindern, wenn die Inhaber rechtzeitig auf Warnsignale reagierten. Doch viele holten zu spät Hilfe, bedauert Michael Burg, Abteilungsleiter für Betriebsberatung und Wirtschaftsförderung bei der Handwerkskammer Potsdam: "Wir erleben immer wieder, dass man uns erst kontaktiert, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Es lohnt sich im wahrsten Sinne des Wortes, rechtzeitig mit den Betriebsberatern der Handwerkskammern Kontakt aufzunehmen." Ganz ähnlich äußert sich sein Kollege Christian Likos, Hauptabteilungsleiter Wirtschaft und Recht der Handwerkskammer zu Leipzig. Seine Beobachtung: "Häufig werden Schwierigkeiten ausgeblendet, weil der Unternehmer sich denkt: 'Das kriege ich schon wieder hin!'. Dabei gilt: Je früher man kommt, desto eher lassen sich harte Einschnitte – wie die Schließung ganzer Unternehmensbestandteile – vermeiden."
Immer wachsam bleiben!
Selbst wenn augenscheinlich alles gut läuft, sollten Betriebsinhaber wachsam bleiben. Unternehmensberater Burg weiß von einem Dachdecker zu berichten, der beinahe Opfer seines eigenen Erfolgs geworden wäre: "Der Mann nahm so viele Aufträge an, dass er nach Erkrankung eines seiner drei Angestellten in Rückstand geriet und Vertragsstrafen aufgebrummt bekam." Die waren für das Unternehmen nicht tragbar.
Da der Betrieb aber grundsätzlich gut lief, empfahl der Insolvenzverwalter die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenregie. Das heißt: Der Inhaber konnte die Sanierung selbst in die Hand nehmen. "Das hat funktioniert, der kann jetzt nach sieben Jahren eine Entschuldung beantragen", sagt Burg. Ein Beispiel dafür, dass "eine Insolvenz auch eine Chance für einen Neuanfang sein kann. Manchmal muss der Knoten einfach platzen."
Achten Sie auf die Warnzeichen!
Besser ist gleichwohl, wenn es gar nicht erst so weit kommt. In Sicherheit wiegen sollte sich niemand, warnt der Leipziger HWK-Berater Likos. So sei Krisenanfälligkeit keine Frage der Größe: "Kleinere Unternehmen geraten zwar schneller an finanzielle Grenzen, dafür ist bei den größeren dann oft auch das Problem sehr groß." Jeder sollte deshalb auf Warnzeichen achten (s. Checkliste).
Statistisch gesehen treten Insolvenzen am häufigsten im Bauhauptgewerbe auf. Trotz der guten Auftragslage kommen in diesem Gewerk laut Creditreform 149 Pleitefälle auf 10000 Betriebe, im Schnitt liegt die Quote im Handwerk bei 83 Insolvenzen auf 10.000 Unternehmen.
Forderungsmanagement auf Zack bringen!
"Der Bau ist prädestiniert dafür, in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten", sagt Berater Burg von der HWK Potsdam. "Wenn ein Großprojekt wie der Flughafen BER stockt, werden Rechnungen oft nicht mehr bezahlt. Da kann ein kleinerer Betrieb schon mal Schwierigkeiten bekommen." Burg empfiehlt deshalb, "das Forderungsmanagement auf Zack zu bringen. Das ist eine Trainingsaufgabe: Man muss ein Gespür für das Zahlungsverhalten der Kunden bekommen und ein richtiges Formularwesen einführen. Für Bauhandwerke ist es unentbehrlich, unverzüglich mit dem richtigen Schreiben reagieren zu können."
Grundsätzlich gilt dies für alle Gewerke, in denen nicht sofort bar abgerechnet wird. "Auch wenn der Umsatz auf dem Papier vorhanden ist, lässt er in der Kasse und auf dem Konto manchmal auf sich warten", warnt der Leipziger Berater Likos. "Wenn man seine Zahlungsströme nicht im Blick hat, kann das sehr schnell zu Schwierigkeiten führen."
Keine übertriebene Rücksichtnahme!
Nach Likos' Erfahrung wird auf verspätete Zahlungen nicht immer konsequent reagiert, unter anderem, weil Handwerker langjährige Auftraggeber nicht verprellen wollen. Der Berater warnt jedoch vor übertriebener Rücksichtnahme: "Auch wenn ich mit einem Betrieb gute Erfahrungen gemacht habe, sollte ich mir ab und zu Gedanken machen, ob dort noch alles in Ordnung ist und nicht alles ungefragt akzeptieren. Es ist besser, freundlich nachzufragen, ob jemand eine Zahlung vergessen hat, als es schleifen zu lassen." Letztlich gelte: "Wenn jemand auch nach Aufforderung nicht zahlt, muss man Konsequenzen ziehen, auch wenn es unangenehm ist." Die Handwerkskammern können dabei helfen (siehe Infobox: „Die Berater der Handwerkskammern“).
Vollständig vermeiden lassen sich Forderungsausfälle natürlich nicht – etwa, wenn ein großer Auftraggeber pleitegeht und seine Rechnungen schlicht nicht mehr begleichen kann. Wie beispielsweise die auf der Flughafenbaustelle BER tätige Firma Imtech, die im vergangenen Jahr Insolvenz anmeldete. Der Potsdamer Berater Burg empfiehlt deshalb gerade für Großaufträge: "Man sollte frühzeitig prüfen, mit welchem Partner man sich einlässt zum Beispiel mit Hilfe von Auskunfteien."
Haben Sie einen Liquiditätsplan?
Doch nicht immer sind es säumige Schuldner, die einen Betrieb in Schwierigkeiten bringen. Beraterin Ramona Melchert von der Handwerkskammer in Frankfurt an der Oder weiß von einem Unternehmer zu berichten, der seinen Metallbaubetrieb durch eigenes Fehlverhalten nahezu ruiniert hätte: "Der Unternehmer lebte bei den Entnahmen über seine Verhältnisse und höhlte das Unternehmen praktisch aus – obwohl es solide Gewinne erwirtschaftete." Der Inhaber hatte den Überblick über die Zahlungseingänge und Verpflichtungen verloren, so dass der Betrieb irgendwann seine Rechnungen nicht mehr begleichen konnte.
Laut Melchert kein Einzelfall: "Oft besteht bei Handwerksbetrieben das Problem, dass sie keine Liquiditätspläne erstellen. Kommt dann ein kleiner Einbruch, so gibt es ein böses Erwachen." Der Metallbauer hatte das Glück, dass seine Hausbank die Handwerkskammer um Hilfe bat – die letztlich einen externen Berater einschaltete: "Der musste den Unternehmer ganz eng an die Hand nehmen, damit er nun ein sehr bescheidenes Leben führt." Die Firma aber konnte vor der Insolvenz bewahrt werden.
Gefährlich: Nur wenige Auftraggeber!
Zu spät meldete sich dagegen ein Fleischer, der wegen massiver Nachforderungen durch das Finanzamt in Bedrängnis geraten war. Der Mann hatte sich nach dem Verlust seines langjährigen Steuerberaters nicht um Ersatz gekümmert und auch selbst keine Steuererklärungen mehr eingereicht. Die Insolvenzverwalterin sah keine Chance für eine Sanierung – die Fleischerei gibt es heute nicht mehr.
Gefährlich kann es auch sein, nur auf einige wenige Auftraggeber zu setzen. Der Betriebsberater Bernd Roick von der Handwerkskammer Cottbus hat dies bei einem Unternehmen aus der Baubranche erlebt. Der Betrieb war jahrelang als Subunternehmer für nur drei verschiedene Auftraggeber tätig – zu Konditionen, die auf Dauer nicht tragfähig waren. Der Betrieb steckte aber in einer derartigen Abhängigkeit fest, dass er sich nicht in der Lage sah, andere Konditionen durchzusetzen. Wie verfahren die Lage war, wurde dem Inhaber erst klar, als er seine Rechnungen nicht mehr begleichen konnte. "Wir haben dem Unternehmer aufgezeigt, dass er ein eigenes Marketing aufbauen und neue Geschäftsfelder erschließen musste", berichtet Roick.
Vergessen Sie das Marketing nicht!
Marketing ist ein wichtiges Thema für alle Branchen. Das gilt auch für Handwerksbetriebe wie Bäckereien oder Frisörgeschäfte, die viel von Laufkundschaft leben. "Im Bäckerei-Handwerk herrscht starker Wettbewerb und Preisdruck. Da muss man sich darüber klar werden: Wie kann ich mein Profil schärfen und die Kunden von der Qualität meines Brots, meiner Brötchen überzeugen?", sagt Likos.
Und hat auch direkt eine Empfehlung parat: "Meines Erachtens gibt es da gute Chancen wegen des Trends zur Regionalität, Frische sowie Öko- und Biolebensmitteln."
Krisensymptome:
- Trotz steigender Auftragszahlen bleibt unter dem Strich nicht mehr Gewinn übrig. Das deutet auf Fehlkalkulationen oder Probleme im Forderungsmanagement hin.
- Der Gewinn deckt den kalkulatorischen Unternehmerlohn nicht mehr. Statt sich einzuschränken, sollte der Unternehmer mithilfe eines Beraters die Ursachen erforschen.
- Die Entnahmen sind dauerhaft höher als Gewinn.
- Das Geschäftskonto ist permanent im Minus, also überzogen.
- Das Unternehmen kann Rechnungen nur noch mit Verspätung zahlen.
Achtung: Wer Zahlungen an die Krankenkasse oder das Finanzamt versäumt, muss damit rechnen, dass diese einen Fremdantrag auf Insolvenz stellen.
Wichtige Präventionsmaßnahmen:
- Preise und Kosten realistisch kalkulieren (hier können die Handwerkskammern mit Vergleichszahlen aus der jeweiligen Branche helfen).
- Nicht alles auf einen oder wenige Auftraggeber setzen.
- Informationen über wichtige Geschäftspartner einholen, beispielsweise unter unternehmensregister.de.
- Klare Regeln für den Fall aufstellen, dass ein Kunde zu spät oder gar nicht zahlt. Für die Erstellung von Mahnungen und notfalls auch die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen bieten viele Kreishandwerkerschaften oder Kammern einen Inkasso-Service an.
Förderangebote für Unternehmen in Schwierigkeiten
Betriebe in einer finanziellen Notlage können unter bestimmten Umständen Zuschüsse für professionelle Hilfe erhalten. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) übernimmt bei Hinzuziehung eines externen Unternehmensberaters 90 Prozent des Honorars, maximal allerdings 2700 Euro. Erste Anlaufstelle für das Programm ist die örtliche Handwerkskammer, bei der Interessenten eine Erstberatung erhalten. Spätestens drei Monate später muss der Antrag über ein spezielles Online-Portal des BAFA eingereicht werden. Bei Handwerksbetrieben prüft dann in einem ersten Schritt die Leitstelle beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), ob die formalen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt sind. Kommt sie zu einem positiven Ergebnis, so kann mit der Beratung begonnen werden. Sechs Monate später müssen der Leitstelle dann ein Beratungsbericht und die Rechnung des Beraters vorgelegt werden. Erst anhand dieser Unterlagen entscheidet das BAFA endgültig über die Bewilligung des Zuschusses.
Die Berater der Handwerkskammern
Sie helfen nicht nur bei Problemen, sondern auch etwa bei der Planung von Investitionen und anderen Fragen rund um die Unternehmensführung:
Handwerkskammer Cottbus:
Manja Bonin, Abteilungsleiterin Unternehmensberatung, Telefon 0355 7835-167, bonin@hwk-cottbus.de
Ansprechpartnerin für Fragen rund ums Forderungsmanagement und andere rechtliche Probleme ist Antje Feldmann, Abteilungsleiterin Handwerksrecht, Telefon 0355 7835-120, feldmann@hwk-cottbus.de
Handwerkskammer Frankfurt/Oder:
Betriebswirtschaftliche Beraterin: Ramona Melchert, Telefon 0335 5619-121, ramona.melchert@hwk-ff.de
Abteilungsleiter Recht (auch Forderungsmanagement): Frank Ecker, Telefon 0335 5619 – 128, frank.ecker@hwk-ff.de
Handwerkskammer Leipzig:
Christian Likos, Hauptabteilungsleiter Wirtschaft und Recht, Telefon 0341-21 88-310, likos.c@hwk-leipzig.de
Die Kammer unterhält eine Mahn- und Inkassostelle für ihre Mitgliedsunternehmen, die sich notfalls um die Erwirkung eines gerichtlichen Mahnbescheids und die Zwangsvollstreckung von Forderungen kümmert. Telefon 0341 2188-225, inkasso@hwk-leipzig.de
Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern:
Betriebswirtschaftliche Fragen: Andreas Weber, Leiter der Abteilung Wirtschaftsförderung, Tel. 0381/ 4549-162; weber.andreas@hwk-omv.de
Rechtsfragen inklusive Forderungsmanagement: Heidrun Zinke, Leiterin Abteilung Recht und Handwerksorganisation, Telefon 0395/ 5593-120; zinke.heidrun@hwk-omv.de
Handwerkskammer Potsdam:
Michael Burg, Abteilungsleiter Betriebsberatung/Wirtschaftsförderung, Telefon 0331 3703-170, michael.burg@hwkpotsdam.de
Die Kammer bietet ihren Mitgliedsbetrieben einen Mahn- und Inkassoservice an. Ansprechpartnerin ist Sabine Hermsdorf, Telefon 0331 3703-152
Das sagen die Juristen zur Insolvenz
Was ist Insolvenz?
Insolvenz ist die Unfähigkeit eines Schuldners, Rechnungen zu begleichen. Das ist der Fall bei akuter oder drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Das Insolvenzverfahren muss beim zuständigen Amtsgericht beantragt werden. Anträge können Gläubiger und Schuldner stellen. Geregelt ist das Verfahren in der Insolvenzordnung. Ziel ist es, die Gläubiger zu befriedigen, indem das Schuldnervermögen verwertet und der Erlös verteilt wird. Das Insolvenzgericht bestellt hierzu einen Insolvenzverwalter und stattet ihn mit entsprechenden Rechten aus.
Foto: © Andreas Buck Was ändert sich?
Die Bundesregierung will das Insolvenzrecht noch in diesem Herbst reformieren. Besonders die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter wird neu geregelt. Künftig kann er Rechtsgeschäfte nicht mehr zehn Jahre rückwirkend nur deshalb anfechten, weil Ratenzahlungen vereinbart wurden. Auch die Europäische Kommission sieht Handlungsbedarf, sie will die Insolvenzverfahren der Mitgliedsländer harmonisieren. Bis Ende 2016 soll ein konkreter Gesetzgebungsvorschlag veröffentlicht werden.
Was bedeutet das fürs Handwerk?
Das kommt täglich vor: Hat ein Kunde Zahlungsschwierigkeiten, vereinbart der Handwerker mit ihm eine Ratenzahlung. Doch selbst wenn alle Raten bezahlt sind und die Arbeit erledigt wurde, kann sich der Unternehmer nicht darauf verlassen, sein Geld behalten zu dürfen. Gerät der Kunde nämlich in Insolvenz, kann der Insolvenzverwalter das Geschäft nach derzeitiger Rechtslage noch zehn Jahre lang anfechten. Argument: Der Handwerker habe wegen der Ratenzahlung von der Zahlungsunfähigkeit des Kunden gewusst. Damit habe er andere Gläubiger vorsätzlich benachteiligt. Folge der Insolvenzanfechtung ist, dass der Handwerker den Werklohn zurückzahlen muss.
Wird das durch das neue Gesetz besser?
Der Gläubiger steht nun nicht mehr im generellen Verdacht, dass er bei Zahlungserleichterungen – wie etwa Ratenvereinbarung – die Insolvenzreife des Schuldners kannte. Auch wird die Frist für die Anfechtung von zehn auf vier Jahre reduziert. Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, lobt die Änderungen als gut für das Handwerk und längst überfällig. Um spürbare Effekte zu erzielen, sollte die Frist seiner Ansicht nach aber auf zwei Jahre verkürzt werden. Auch die Bevorzugung öffentlicher Stellen gehe zulasten kleiner Gläubiger und sei abzulehnen. Für eine Harmonisierung der nationalen Insolvenzverfahren durch die Europäische Kommission besteht aus Sicht des Handwerks im Übrigen kein Bedürfnis.
Text: Anne Kieserling/ Foto: © Andreas Buck
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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