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HWK Koblenz | November 2024
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Arbeitszeit erfassen - aber wie? - Themen-Specials
Dezember 2022
Laut dem Bundesarbeitsgericht müssen Chefs schon heute die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter erfassen. Ein Experte erklärt die jetzt veröffentlichte Begründung des Gerichts und was sie für Unternehmen bedeutet.
Arbeitgeber sind verpflichtet, Lage, Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit ihrer Belegschaft zu erfassen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht bereits in einer viel beachteten Entscheidung Mitte September dieses Jahres verkündet. Jetzt liegt die ausführliche Begründung des Gerichts vor. Darin konkretisieren die Richter die Handlungspflichten für Unternehmen. So genügt die bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems nicht. Wie die Erfassung aber zu erfolgen hat, können Unternehmen selbst entscheiden. Die Rechtslage stellt Fachanwalt für Arbeitsrecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott dar.
Das Arbeitszeitrecht in Deutschland basiert maßgeblich auf der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG). Diese regelt etwa die zulässigen Höchstarbeitszeiten. Konkretisiert werden die Regelungen in Deutschland durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Eine Zeiterfassung ist nach deutschem Recht grundsätzlich nicht vorgesehen. Nur in bestimmten Branchen wie dem LKW-Verkehr ist eine Zeiterfassung vorgeschrieben. "Im Grundsatz ist eine Arbeitszeiterfassung dem deutschen Arbeitsrecht aber fremd", erklärt Fuhlrott.
Im Mai 2019 hatte der Europäische Gerichtshof bereits entschieden, dass effektiver Arbeitnehmerschutz nur dann gewährleistet wird, wenn die Arbeitszeit erfasst wird. Dazu sein ein "objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann", meinte der EuGH. "Diese Entscheidung sorgte damals für enorme Aufmerksamkeit. Teilweise wurde sie als großer Rückschritt in Sachen Arbeitszeitflexibilität bewertet, teils als großer Sieg des Arbeitnehmerschutzes gefeiert", ordnet Anwalt Fuhlrott das Urteil aus dem Jahr 2019 ein.
Unmittelbare Folgen hatte die Entscheidung für Deutschland aber zunächst nicht: Der Gesetzgeber beauftragte erst einmal Gutachter, um die Auswirkungen der Entscheidung für Deutschland festzustellen. "Diese kamen zu dem Ergebnis, dass das deutsche Arbeitsrecht geändert werden muss", berichtet Professor Fuhlrott. Allerdings war die Sichtweise, dass es erst eines Tätigwerdens des deutschen Gesetzgebers bedarf, bevor die Entscheidung auch in Deutschland Wirkung entfaltet."
Mit einer aufsehenerregenden Entscheidung aus September 2022 hatt das Bundesarbeitsgericht (BAG) jedoch kürzlich entschieden, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits unmittelbar in Deutschland gilt. Sie trifft bereits jetzt jeden Arbeitgeber. Das BAG berief sich dazu auf eine Norm aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), die Arbeitgeber verpflichtet, geeignete Vorrichtungen zur Einhaltung des Arbeitsschutzes zur Verfügung zu stellen. Da bis zum 5. Dezember 2022 aber lediglich die gerichtliche Pressemitteilung vorlag, war unklar, welche konkreten Pflichten Unternehmen treffen.
"Arbeitgeber müssen Lage, Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit tatsächlich erfassen, die bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems reicht nicht aus", fasst Arbeitsrechtler Fuhlrott die Kernaussage der Entscheidung zusammen. "Arbeitgeber werden also nachhalten müssen, dass die Erfassung der Arbeitszeit durch die Beschäftigten tatsächlich erfolgt", ordnet Fuhlrott die Entscheidung ein und weist auf folgendes hin: "Die Verpflichtung gilt ab sofort, es gibt keine Übergangsfrist".
Offen sei aber weiterhin, wie die Zeiterfassung zu erfolgen habe. "Das Gericht macht keine Vorgaben, durch wen die Erfassung und in welcher Form sie erfolgen muss", meint der Arbeitsrechtsprofessor. "Unternehmen haben also einen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung". Damit ist eine Erfassung durch die Mitarbeiter in Form einer Excel-Tabelle ebenso möglich wie die Nutzung eines elektronischen Stechuhr-Systems. Gebe es einen Betriebsrat, so sei dieser bei der Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems zu beteiligen.
Kontrovers wurde diskutiert, ob nach der Entscheidung Vertrauensarbeitszeit weiter möglich sein wird. Dies dürfte nach der aktuellen Entscheidung nicht mehr möglich sein, meint Fuhlrott. Er weist aber darauf hin, dass der Begriff der Vertrauensarbeitszeit nicht eindeutig festgelegt sei: "Wenn hierunter selbstbestimmtes Arbeiten mit freier eigener Planung der Zeit verstanden wird, wird dies weiterhin möglich sein. Wenn unter Vertrauensarbeitszeit das Arbeiten ohne jedwede Zeiterfassung verstanden wird, wird dies künftig nicht mehr möglich sein", erläutert der Arbeitsrechtler. Denn: "Um die Zeiterfassung kommt man nicht herum".
"Unternehmen werden zeitnah Zeiterfassungssysteme schaffen und einrichten müssen. Diese Pflicht trifft Unternehmen aller Größenordnungen. Es gibt nach der Entscheidung keine Ausnahmen für Kleinbetriebe", so Fuhlrott. "Der Gesetzgeber könnte allerdings Ausnahmen schaffen. Die europäischen Vorgaben erlauben es in bestimmten Umfang, Sonderregelungen zu treffen", sagt der Arbeitsrechtler, der davon ausgeht, dass der Gesetzgeber sehr zeitnah tätig werden wird und eine gesetzliche Regelung schaffen wird.
"Für die Arbeitgeber im Handwerk ist von besonderer Bedeutung, dass bei der Form der Arbeitszeiterfassung vor allem die Besonderheiten der jeweiligen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer und die Eigenheiten des Unternehmens – insbesondereseiner Größe – weiterhin berücksichtigt werden können", schreibt der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). "Es somit davon auszugehen, dass die in vielen Handwerksbetrieben oft noch anzutreffenden händischen oder auf die Arbeitnehmer delegierten Formen der Arbeitsaufzeichnung bis auf weiteres rechtmäßig sein dürften. Eine allgemeine Pflicht zu Einführung elektronischer Arbeitszeiterfassungssysteme besteht jedenfalls nicht. Es ist aber zu erwarten, dass das Bundesarbeitsministerium die Entscheidung zum Anlass nehmen wird, die gesetzlichen Bestimmungen zur Arbeitszeiterfassung neu zu regeln."
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat angekündigt, die BAG-Entscheidung und deren Konsequenzen zu prüfen. Er will die Gesetzgebung nutzen, um praxisnahe Lösungen zu finden, die Flexibilität ermöglichen. Die Regierungsparteien hatten sich schon im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass sie flexible Arbeitszeitmodelle wie zum Beispiel Vertrauensarbeitszeit zulassen.
Das "Stechuhr-Urteil" des EuGH Die Arbeitszeiten der Beschäftigten müssen durch ein verlässliches System gemessen werden. Das sagt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 14. Mai 2019, Az C-55/18. Alle EU-Mitgliedstaaten der EU müssten die Unternehmen verpflichten, die tägliche Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Nur so ließe sich überprüfen, ob die zulässigen Höchstarbeitszeiten überschritten würden. Bekannt wurde der Richterspruch in den Medien als das "Urteil zur Rückkehr der Stechuhr".
Ausnahmen für kleine Betriebe möglichDer Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) verlangt Ausnahmen für kleine Betriebe und betont, dass der EuGH diese ausdrücklich für kleinere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugelassen hat. In dem EuGH-Urteil heißt es, dass die nationalen Gesetze "den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten, sogar der Größe, bestimmter Unternehmen Rechnung tragen" könnten.
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