Ruhe und Natur nach dem Kriegssturm
1000 Kilometer Radweg haben Frankreich, Belgien und die Niederlande angelegt. Von der Quelle der Maas bis zur Mündung in die Nordsee reicht die Pedalo-Strecke. Ein faszinierendes Projekt.
Verdun liegt so ruhig an diesem Morgen vor einem. Die Wunden aus dem Großen Krieg, wie ihn die Franzosen nennen, sind beinahe verheilt. Früher reichte die Bebauung der Häuser bis ans Ufer der Maas. Heute erstreckt sich der Quais von London wie eine Flaniermeile. Die Stadt Verdun existierte zu 80 Prozent nicht mehr nach dem Bombardement der kaiserlichen Truppen. Vor allem im Jahr 1916 tobte wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt der Stellungskrieg zwischen den Deutschen und den Franzosen, den die Truppen von General von Falkenhayn mit einem nicht gekannten Granathagel im Februar 1916 begannen.
Über 100 Jahre später steht der Betrachter fassungslos vor den Folgen dieser Weltkatastrophe. Das ehemalige Kampfgebiet gilt als „rote Zone“. Hier geht nichts mehr. Kein Ackerbau, keine Häuser mehr, Bauaktivitäten sind lebensgefährlich. Explosionsgefahr durch alte Granaten. Radfahren und Autofahren auf befestigten Wegen sind möglich und natürlich der Gedenktourismus, den Frankreich so aufwändig betreibt. Das neu erbaute Memorial ist nur ein Beispiel für die gelungene Präsentation dieses unfassbaren Jahrhundertkriegs.
Radtour zu den Schlachtfeldern
Gedenkstein an die Schlachtfelder von Verdun. Foto: © DHBAmbivalenter können Lebensereignisse nicht sein. Die schier unvorstellbare dröhnende Materialschlacht und heute? Ein Landstrich, der wie eine Sinfonie wirkt. Die Maas plätschert dahin, der Blick geht über Kornfelder oder lange Abschnitte mit Sonnenblumen. Das Tourismusbüro von Verdun bietet E-Bikes, um die Gegend zu erkunden. „Gibt es keinen Bus zum Schlachtfeld“, fragt ein junger Asiate. Eines der Trek-Bikes wird ihn fast muskelkraftfrei nach Douaument bringen, dort wo im Gebeinhaus Tausende Soldaten ihre letzte Ruhe gefunden haben, wo Mitterand und Kohl sich in den 80er Jahren die Hand gereicht haben, um den Friedenswillen auch symbolisch zu demonstrieren. An den Ufern der Maas entlang führt wechselseitig ein Radweg, sauber angelegt mit sandfarbenem Belag. Die Reichweite mit den E-Bikes ist faszinierend. Bis zu den Höhen des Argonner Waldes kann der historisch Interessierte radeln. Hier haben sich Deutsche und Franzosen einen brutalen Stollenkrieg geliefert. Unterirdisch Minen platziert und den Gegner in die Luft gejagt.
Herzhafte Produkte des örtlichen Bäckers
Seitdem ist viel Wasser Richtung Nordsee geflossen. Das Maasufer bietet Ruhe, die Angler anzieht. Das Wasser ist sauber, glitzert in einem satten Grün. Die Radwege führen hinter Verdun ein gutes Stück an einem Kanal vorbei, links fließt die Maas, rechts der Kanal. Gastronomische Höhepunkte darf man entlang der Route nicht erwarten. Die Packtaschen der geliehenen E-Bikes sollten mit Zutaten für ein Picknick gefüllt sein. In Bras-sur-Meuse, dort wo der Abzweig Richtung Argonne abgeht, kann man leckere herzhafte und süße Produkte des örtlichen Bäckers probieren, für den Kaffee muss der Einwegbecher reichen. Dem Radtourgefühl tut das keinen Abbruch. Die Route zurück führt an der Fabrik Dragées Braquier vorbei. Hier werden die weltberühmten Süßigkeiten produziert, Plombenzieher in wunderbar gestalteten Metalldosen, könnten böse Zungen behaupten. Mit dem Fahrrad entlang der Maas führt der Weg nach St. Mihiel. Von hier aus sind es nur wenige Kilometer bis zum Naturpark von Lorraine. Der Lac Madine ist das Zentrum dieser Natursehenswürdigkeit. Hier leben Ornithologen ihre Leidenschaft aus. Um den See führt ein 20 Kilometer langer Radweg.
Biodynamische Weine
Jean-Marc Liénard setzt auf eine biodynamische Anbaumethode Foto: © DHBEtwa eine halbe Stunde entfernt arbeitet Winzer Jean-Marc Liénard auf dem Weingut Domaine de Muzy. „Ich mache keine Werbung“, sagt er und führt durch seinen kleinen, aber erfolgreichen Weinbaubetrieb, den er 1982 mit seiner Frau Véronique gegründet hat Bis 2003 baute er konventionell an, seitdem auf 12 Hektar biodynamischen Wein und auf 14 Hektar Mirabellen, sowas wie die Regionalfrucht von Lothringen. Die anthroposophische Lehre Rudolf Steiners und dessen Pflanzkalender leiten Winzer Marc an. Ergänzt um eine chemikalienfreie Bearbeitung der Weinreben trifft er den Zeitgeist. Eine Gruppe von ökologisch interessierten Niederländern lässt sich von Frau Liénard alle Weinsorten erläutern. Seine Weine, die Pinot Gris, sein Chardonay und sein Pinot Noir sind begehrt. Aber auch seine Liköre und Schnapssorten aus Mirabellen finden guten Absatz.
Neues Viersterne-Haus
Auf der Weinkarte des Hotels Les Jardins du Mess in Verdun ist Wein und „Champagner“ aus Lothringen zu finden. Das Viersterne-Haus ist erst im Jahr 2016 pünktlich zum 100sten Jahrestag der Schlacht von Verdun fertiggestellt worden. Direkt gegenüber vom Quai du Londres beherbergte das Haus seinerzeit das Casino der französischen Heeresleitung. Es war ein Geschenk der regionalen Bauunternehmen, gebaut und überreicht als Dank für die vielen Bauprojekte des Festungsringes von Verdun. Heute besuchen Weltkriegsveteranen oder Touristen aus vielen Ländern das Haus und werden mit einer besseren Küche im Le Cercle du mess verköstigt.
Der heilige Weg
Doch zurück in den Süden von Haute-Marne. Hier eine gute Stunde entfernt von der früheren Front kann man das Kleinod der Renaissance, Bar le Duc entdecken. Völlig abseits von den Touristenströmen steht die Kapitale der Region. Gegensätzlicher als Verdun und Bar le Duc geht es nicht. Bar le Duc glänzt mit seinen alten Häusern, Kirchen und Plätzen. Verdun ist mittlerweile auch herausgeputzt, aber viele Häuser sind nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Beide Städte verbindet der Voie sacré, der heilige Weg. Über diese Straße schoben sich Stoßstange an Stoßstange die LKWs des französischen Militärs. Im Gegensatz zu den deutschen Truppen hatten die Franzosen keine Bahnlinie an die Front und mussten alles mit Fahrzeugen auf der Straße D1916 befördern. Jeden Kilometer steht ein kleines Denkmal aus Stein mit Wegangabe Verdun oder rückseitig Bar le Duc. Jeder Stein ist mit einem nachempfundenen Soldatenhelm geschmückt.
Handwerkskunst in der Krypta
Der Große Krieg lässt die Region nicht los. Zu einschneidend war dieser industrielle Kampf der beiden Nachbarn. Zu viele Menschen mussten ihr Leben lassen. George Desvallières hat dazu ein eindrucksvolles Glasfenster in der Kapelle des Gebeinhauses von Douament gestaltet. Im Zentrum steht eine Krankenschwester in einer Kriegsszene, die beim Einsatz für die Verwundeten ihr Leben ließ. Der Soldat George war davon so beeindruckt, dass er diese Kunst aus Glas anfertigte. Vincent Jacquot vom Tourismus Department führt viele Besucher hier vorbei. So auch durch die Kathedrale von Verdun, das größte im Kern noch vorhandene romanische Gebäude im Osten Frankreichs. In der Herzen der Kathedrale haben die Sanierer nach dem Krieg die verschüttete Krypta mit einem Säulengang gefunden. Die Steinmetze der Region haben die Säulenköpfe mit Szenen aus der Schlacht von Verdun versehen. Nichts ist so tief eingemeißelt und allgegenwärtig wie die Erinnerung an die Gefallenen.
Wenige Meter und viele Treppenstufen runter plätschert wieder die Maas. Sie lässt den Krieg beinah vergessen. Hier wacht das Denkmal mit dem riesenhaften fränkischen Krieger. Mit festem Griff hält er sein Schwert und wacht gen Westen. Stolz und unüberwindbar.
maas-tourismus.com
Museum: Das Memorial bietet auf drei Etagen alle denkbaren Informationen über den Ersten Weltkrieg. Den Verlauf des Krieges mit eindrucksvollen audiovisuellen Angeboten zum Beispiel. Die Ausstellungsmacher schildern und dokumentieren auch den Kriegsalltag, das Leben im Schützengraben, die Rolle der Kolonialsoldaten, die Verletzungen der Soldaten, die Lebenslage in der Gefangenschaft. Öffnungszeiten 9.30 bis 18 Uhr in der Woche, am Samstag und Sonntag bis 19 Uhr.
Wein: Zur Website des Weinguts Domaine de Muzy geht es hier entlang.
Übernachten: Das Hotel du Lac de Madine ist ein solides 3-Sterne-Haus in Familienhand mit einer sehr guten regionalen Küche.
Les Jardins du mess
Das 4-Sterne-Hotel mit sehr schönen Zimmern liegt direkt an der Maas, das Restaurant Le Cercle du mess ist gut. Der Spa-Bereich mit einer Sauna und einem Whirlpool ist kostenpflichtig, kann dann aber exklusiv genutzt werden.
Text:
Rainer Schmidt /
handwerksblatt.de
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