Ostende: Künstler, Fischer und Meer
Die belgische Küstenstadt ist reich an Geschichte und noch reicher an hervorragenden Fischrestaurants. Und auch Kunstliebhaber kommen auf ihre Kosten. Ein Rundgang.
Stadtführerin Christa Kuerthen führt zielsicher durch die große Kunst. Orangefarbene Stahlkolosse von Arne Quinze – die sogenannten Rock Strangers - dominieren die Promenade von Ostende. Eindrucksvoll! Denn sie erstrahlen unmittelbar dort, wo Badegäste seit vielen Jahrzehnten, ja sogar Jahrhunderten lang flanieren, heute entlang den mehrstöckigen Häuserzeilen.
Die orangefarbenen Skulpturen sind ein Kontrapunkt zum Sozialtourismus der 70er Jahre, sagt eine Besucherin. Und in der Tat, die Belgier lieben ihre eigenwillige Küste und man könnte meinen, alle Bürger des Königreiches sollten und sollen mit Blick aufs Meer wohnen können. Nicht alle! Christa Kuerthen, die Stadtführerin von Ostende, weiß um die kleinen und großen Verwerfungen, die der Künstler Arne Quinze mit seinem Kunstwerk provoziert hat. Die Besitzer der Luxusappartements an der Promenade finden die Aufstellung gar nicht spaßig, sie sehen das Meer nicht mehr und in manchen Fenstern hängt der Hinweis "te koop".
Anziehungspunkt für Künstler und Literaten
Das Fischgeschäft Luk ist berühmt in Ostende; Foto: Gottschalk Ostende hat schon immer Künstler und Literaten angezogen, Zweig, Heckel und Roth lebten vorübergehend in ihrem Exil hier. Leopold II. wollte im 19. Jahrhundert Ostende zum Vorzeige-Seebad an der Nordsee machen. Und zeitweise ist das auch gelungen. Russen, Franzosen, Deutsche und Engländer kurten hier, genossen die Seeluft. Die Küste war en vogue! Heute ist das nicht viel anders.
Spitzengastronomie lockt an die belgische Küste, ob nach Ostende, Bredene, Nieuwport oder Knokke. Frisch auf den Tisch kommt in Ostende bis zum 30. September 2014 ein ganz besonderer Leckerbissen, das diner à l'ostendaise. In der Fischerstadt werden alle Köstlichkeiten der Nordsee angeboten. Die örtlichen Fischer fordern die Küchenchefs der Stadt heraus. "Wir wollen unbekannte Fische promoten", sagt der Fischer Luk Bogaert. Die Fischer wählen einen Fisch des Monats und die Küchenchefs sind aufgefordert, daraus eine kreative Speise zu zaubern.
Fischerei im Wandel
Der Fischmarkt in Ostende bietet die Schätze des Meeres; Foto: Gottschalk An bestimmten Tagen setzen sich die Fischer sogar mit an den Tisch und erzählen von früher und heute. Im Savarin, wo Floris Panckoucke in der Küche das Sagen hat, sitzt der frühere Fischer Danny Huyghebaert mit seinem breiten Rücken zum Meer. Er ist begeistert von den kleinen feinen Fischspeisen, die der Küchenchef zaubert. "Das ist gut, wirklich gut", sagt er auf Flämisch. Der Restaurantführer Gault Millau zollt dem Macher ebenfalls großen Lob (15/20). Der Koch ist also wirklich gut.
Man spürt die Veränderungen der Fischerstadt, die Zeit rast. Aber: Die maritimen Experten lassen sich etwas einfallen. Denn die Fischerei wird immer beschwerlicher. Drei Fischereihäfen hat die fast 70 km lange belgische Küste. Ostende, Nieuwport, Zeebrügge. Im Jahr 2006 gab es in Ostende 107 Kutter, heute gerade noch 86. Die Fähren, die Autos und Passagiere nach England bringen, sind noch mehr unter Druck. Der Kanaltunnel im französischen Sangatte hat das belgische Fährgeschäft kaputt gemacht.
Die EU macht Druck
Die berühmten Fischer-Portraits des Fotografen Vanfleteren; Foto: Gottschalk Christa Kuerthen nickt und kommt auf die Schwierigkeiten für die flämischen Fischer zurück. Die EU macht Druck mit ihren Fangauflagen. Das Kettenfischen ist schlecht angesehen, weil die schweren Ketten am Rand der Netze den Meeresgrund aufwirbeln. "Damit schaden die Fischer sich selber. Der Fischgrund wird zerstört."
Christa Kuerthen zeigt nach oben in das Dach der Fischmarkthallen. Hier hängen Portraits, aufgenommen von dem Starfotografen Stephan Vanfleteren. Er hat die Charakterköpfe der Fischerflotte abgelichtet und in jeden Bogen des Hallendaches gehängt. Alle in Schwarz-Weiß, in markanter Pose. So schreitet der Betrachter Kopf für Kopf durch die lange Hallendurchfahrt voran. Unten wuseln Männer in knielangen Schürzen und schleppen oder schieben Fischkästen.
Viele Zeichen der Vergangenheit
Die Fischerboote ruhen an der Promenade bis zum nächsten Auslaufen; Foto: Gottschalk Jenseits der Fischerkähne, auf der anderen Seite des Hafenbeckens, erstreckt sich maritime Industriebrache. "Das wird alles abgerissen", sagt Kuerthen. Hier sollen 3.000 Wohnungen gebaut werden. Ostende verändert sich brachial. Zeichen der Vergangenheit gibt es viele: Der alte Leuchtturm ragt hoch über die napoleonische Festung, wenige hundert Meter entfernt liegt noch eine alte Bunkeranlage des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71, fußläufig ein weiterer Bunker aus der Zeit der deutschen Besatzung, und irgendwo ist auch noch eine Bunkeranlage aus dem Kalten Krieg zu sehen. Das ist mit Abstand die höchste Festungsdichte Europas, scherzt ein Begleiter.
Heute bedarf es anderen Schutzes. Das Meer wird zur Bedrohung. Unweit der Bunker greifen zwei große Befestigungsarme weit ins Meer aus und trotzen den Wassermassen. "Das ist unser Küstenschutz", erzählt Kuerthen. "Ja, wir haben etwas länger als unsere niederländischen Nachbarn gebraucht, um auf die Sturmfluten zu reagieren." Den Stahlkolossen von Arne Quinze wird das Meer nichts anhaben können. Die sieben Millimeter dicken Wände der Stahlobjekte sind fest im Boden verankert. Da können sich die Anwohner noch lange ärgern.
Eine ausführliche Liste der Restaurants finden Sie unter ostendaise.be
Foto: Gottschalk Spezialistin für Garnelenkroketten: In Zeebrügge liegt direkt am Hafen ein kleines Gasthaus mit dem niedlichen Namen t´Werftje. Hier trinken nicht nur die Hafenarbeiter gerne ihr Bier und ihren Kaffee. Star der Küche ist Inhaberin Herlinde Preem. Sie stellt köstliche Garnelenkroketten her, die von der Füllung ein wenig an die holländischen Bitterballen erinnern. Brühe, Mehl, Schrimps, Gruyere und noch ein paar Kräuter-Geheimnisse und los geht's mit der Krokettenproduktion. Die Portionen finden nicht nur zur Mittagszeit reißenden Absatz.Fotos: Gottschalk
Text:
Dr. Rüdiger Gottschalk /
handwerksblatt.de
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