Versäumnisse im Politikbetrieb in vielen Bereichen
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im NRW-Landtag, Wibke Brems, war zu Gast beim nordrhein-westfälischen Handwerk und sprach über die Herausforderungen der Landesregierung.
Die Zusammenarbeit der schwarz-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen laufe deutlich geschmeidiger als die der Ampelregierung in Berlin. Das sagte Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk.NRW, mit Blick auf den diesjährigen Gast bei "Politik im Dialog", Wibke Brems. Sie ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im NRW-Landtag. Es sei vielleicht die richtige Koalition zur richtigen Zeit: "Ich nehme da insgesamt viel Pragmatismus und Realismus wahr – und viel weniger Verbissenheit und Blockadehaltungen als in Berlin", so Ehlert. Das Land stehe wegen seiner konzentrierten energieintensiven Industrie unter einem besonderem Transformationsdruck hinsichtlich Energieeffizienz und Klimaschutz.
Allerdings seien die Herausforderungen nicht ohne den Mittelstand zu lösen. Um den zu stärken, brauche es eine echte Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung, zum Beispiel in Verbindung mit der Landesbauordnung und der kleinen Bauvorlagenberechtigung. Wichtig sei auch, dass das Handwerk eng in die kommunale Wärmeplanung eingebunden wird. "Und uns ist wichtig, dass es am Ende keine Einschränkungen für die Wahlfreiheit der Verbraucher gibt. Die Vielfalt der Lösungen und das Zulassen von unplanbaren Innovationen sind der Schlüssel dafür, dass wir Klimaneutralität tatsächlich erreichen."
Investitionen in die Infrastruktur
Aus Sicht des Handwerks sei auch die Erneuerung der Infrastruktur ein "Riesenthema". Die Stichworte seien hier: "mehr Tempo, mehr Kapazitäten, mehr Ressourcen". Nötig seien massive Investitionen. In puncto Energiepreise setzte Ehlert sich für "marktwirtschaftliche Lösungen" ein, die allen Stromkunden zugutekommen. Subventionen für ganz wenige, wie sie beim Industriestrompreis diskutiert werden, schafften Wettbewerbsverzerrungen und Fehlanreize. Schließlich forderte Ehlert eine Absenkung der Grunderwerbsteuer in NRW. Das könne ein wirksames Mittel sein, um einen Abbau der Kapazitäten in der Bauwirtschaft zu vermeiden, die in einer schweren Krise mit hohen Zinsen und sinkenden Auftragsbeständen stecke.
Angesichts der sehr angespannten Haushaltslage könne sich das Land aktuell nicht leisten, auf Einnahmen zu verzichten, so Brems. Die Steuereinnahmen gingen zurück und hinzu kämen Einnahmeausfälle in Verbindung mit der Bundesgesetzgebung. Trotzdem habe die Landesregierung es mit großen Herausforderungen zu tun, die auch im Haushalt berücksichtigt werden müssten. Dazu gehörten die Bewältigung der Folgen der Klimakrise, der demografische Wandel inklusive des sich verschärfenden Fachkräftemangels und die Digitalisierung. Hinzu kämen immer häufiger auftretende Krisen wie die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierende Inflation. "Das prägt leider unsere aktuelle Regierungszeit."
"Nicht alles ist umsetzbar"
Brems kündigte an, dass wegen der schwierigen Lage nicht alle im Koalitionsvertrag festgehaltenen Vereinbarungen umsetzbar seien. Grund dafür seien aber auch Versäumnisse im Politikbetrieb in vielen Bereichen. "Viel zu lange wurden Prioritäten nicht angepasst an veränderte Realitäten." Deswegen sei bereits viel angepackt, aber noch viel mehr zu tun. In Arbeit seien der Landesentwicklungsplan und die Landesbauordnung. Die in diesem Zusammenhang von Ehlert erwähnte Gleichwertigkeit von akademische und beruflicher Bildung werde aber nicht von allen begrüßt und die Regierung stoße hier durchaus auch auf Gegenwehr.
Beim Industriestrompreis liege sie nicht auf der Linie des Handwerks. "Ich selber bin eine Verfechterin des Industriestrompreises." Mit ihm solle aber nur eine kurze Zeit überbrückt werden. Brems sprach dabei von maximal sieben Jahren. Danach werde klar darauf gesetzt, dass die erneuerbaren Energien günstig zur Verfügung gestellt werden. "Und natürlich diskutieren wir auch die Frage der Stromsteuerreduzierung auf das europäische Mindestmaß." Das könnte auch andere Wirtschaftsbereiche deutlich entlasten. Bei der Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren und beim Bürokratieabbau sei die Regierung aber an der Seite des Handwerks. "Wir haben die Möglichkeit, es wirklich anzupacken." Die Politik sei hier aber auf Rückmeldungen aus dem praktischen Alltag der Betriebe angewiesen, um überholte Regeln zu identifizieren und zu ändern.
"Wir alle leiden unter der Bürokratie"
In der Hauptverwaltung der Signal Iduna in Dortmund ging auch Gastgeber und Vorstandsvorsitzender Ulrich Leitermann besonders auf die große Bürokratiebelastung ein. "Wir alle leiden unter der Bürokratie." Das gelte für die mittelständische als auch für die Versicherungswirtschaft. Es gehe dabei nicht nur um Regeln auf Landes-, sondern auch auf Bundes- und Europaebene. Die Belastung werde immer größer, was besonders in den aktuellen Krisenzeiten für viele Betriebe in existenzielle Probleme mit sich bringe. Beispiele für Überregulierung seien etwa das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz oder das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz. Das jetzt auf Bundesebene angekündigte Bürokratieentlastungsgesetz setze nur einen Bruchteil der Vorschläge aus der Wirtschaft um. Auf allen Ebenen brauche es mehr Anstrengungen, um Hürden abzubauen.
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Text:
Lars Otten /
handwerksblatt.de
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