Betriebliches Eingliederungsmanagement lohnt sich!
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) führt in der Praxis kleiner und mittelständischer Unternehmen oft noch ein stiefmütterliches Dasein. Zu Unrecht.
Denn richtig eingesetzt, ist es eine klassische Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Beschäftigte. Meint zumindest Angela Huber, auf BEM-Umsetzung in kleinen und mittleren Unternehmen spezialisierte Rechtsanwältin.
DHB: Pflichten werden oft als Lasten empfunden. Ist das Betriebliche Eingliederungsmanagment eine Last für den Arbeitgeber?
Huber: Was sich zunächst wie eine Last anhört, weil der Staat die Unternehmen immer mehr in die Pflicht nimmt, nicht zuletzt um auch das Sozialsystem zu entlasten, ist bei genauerem Hinsehen eine große Chance für Arbeitgeber.
DHB: Warum?
Huber: Vor allem der demografische Wandel und der damit einhergehende Wettbewerb um qualifizierte Fach- und Führungskräfte erfordern alle möglichen Maßnahmen, um erfahrene Leistungsträger dem Unternehmen zu erhalten. Darüber hinaus können etwaige Opportunitätskosten wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, der vakante Arbeitsplatz, die Interimsbesetzung und der Rekrutierungsaufwand gemindert werden.
DHB: Das klingt gut und richtig, vermindert aber nicht die Kosten für den Arbeitgeber.
Huber: Dass ist so nicht richtig. Die Sozialleistungsträger sind ja beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement durchaus zu finanzieller Unterstützung bereit, teilweise auch verpflichtet. Das reicht von der kostenlosen Beratungsdienstleistung bis zur Kostenübernahme bei einer Umgestaltung des Arbeitsplatzes.
DHB: Was heißt das konkret?
Huber: Ein Beispiel: Bei einer kaufmännischen Angestellten, die nach einer Brustkrebsoperation wieder arbeiten wollte, wurde eine Rollschiene für ihren Unterarm angeschafft, damit sie ohne Schmerzen die PC-Maus führen konnte. Die Anschaffungskosten wurden vom Integrationsamt übernommen. So konnte sie bereits viel früher an den Arbeitsplatz zurückkehren, die Kosten für eine Aushilfe wurden gespart und das Wissen der Arbeitnehmerin blieb dem Unternehmen erhalten.
DHB: Das ist ein eher kleines Beispiel.
Huber: Es sind aber genau diese kleinen Hilfen, die manchmal große Wirkung erzielen und den Arbeitsplatz für den betroffenen Mitarbeiter erhalten. Ein Arbeitnehmer, der keine Überkopfarbeiten mehr durchführen konnte, bekam eine Hebebühne; eine Arbeitnehmerin mit einem Bandscheibenvorfall einen höhenverstellbaren Schreibtisch. Die finanzielle Unterstützung leistete hier der Rehaträger.
DHB: Das sind vor allem instrumentelle Hilfen. Manchmal sind die Probleme der Wiedereingliederung aber wesentlich komplexer. Kann das BEM auch dort helfen?
Huber: Durchaus, wie das folgende Beispiel zeigt. Bei einem Mitarbeiter mit Burnout-Syndrom wurde ein Profilvergleich durchgeführt: Der Arbeitsplatz mit seinen Anforderungen und der Arbeitnehmer mit seinen Fähigkeiten. So konnten Defizite und Ressourcen entdeckt und Änderungen an seinem Arbeitsalltag vorgenommen werden. Der Mitarbeiter bekam anfangs ein Coaching und begann seine Arbeit im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung. Durch die Modifikationen und das Coaching konnten Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Anstellungsverhältnis fortführen. Diese Maßnahmen wurden im Übrigen bereits vor Ablauf der sechs Wochen eingeleitet. Gerade im psychischen Bereich ist es wichtig, frühzeitig zu reagieren, da sich andernfalls die Probleme verschlimmern.
Wie diese Beispiele zeigen, gibt es viele Möglichkeiten und Unterstützungsleistungen, um mit Hilfe des Betrieblichen Eingliederungsmanagements Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, eine erneute zu verhindern und so den Arbeitsplatz zu erhalten.
DHB: Es kommt dabei aber wohl sehr auf die Eigenaktivität des Arbeitgebers an.
Huber: Das ist richtig, aber nicht vollständig. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist ein rechtlich regulierter "Suchprozess". Es soll den Arbeitgeber, aber auch den Arbeitnehmer anleiten, proaktiv neue Wege zu beschreiten, um die Weiterbeschäftigung kranker Mitarbeiter zu ermöglichen.
Strategisch betrachtet ist es ein Win-Win-Verhältnis, beide Parteien erfahren einen Mehrwert: Der Arbeitgeber kann wertvolle Mitarbeiter und damit systemimmanentes Wissen in seinem Unternehmen halten, der Mitarbeiter sichert sich seine Existenzgrundlage und seine Gesundheit. Ein nicht zu verachtender Nebeneffekt für den Arbeitgeber ist in jedem Fall die positive Signalwirkung an die Belegschaft und die einhergehende Stärkung des Employer Branding.
DHB: Ihr Rat an Unternehmer?
Huber: In jedem Fall aus der Pflicht eine Kür machen, indem sie das Betriebliche Eingliederungsmanagement so bald und so professionell wie möglich implementieren, um sowohl Kostenrisiken zu minimieren als auch die entstehenden Chancen zu realisieren.Betriebliches EingliederungsmanagementBetriebliches Eingliederungsmanagement Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen wiederholt oder ununterbrochen arbeitsunfähig, ist nach § 84 Abs. 2 SGB IX der Arbeitgeber verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern verhindert oder möglichst frühzeitig beendet und der Arbeitsplatz für leistungsgeminderte Arbeitnehmer erhalten werden kann. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement erfährt somit im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) aufgrund gesetzlicher Obliegenheiten eine herausragende Position und hat durch die aktuelle Rechtsprechung weiter an Bedeutung gewonnen.
Text:
Ulrike Lotze /
handwerksblatt.de
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