Zwei Drittel der Wettkampfzeit bei den EuroSkills 2021 in Graz liegen hinter den Teilnehmern: Den Kälte- und Klimatechnikern von WorldSkills Germany bleibt ein "zweites Kazan" erspart. SHK-Bundestrainer André Schnabel und Simon Dorndorf haben die Kunst der non-verbalen Kommunikation perfektioniert. Glaser Jonathan Schaaf bastelt sich aus Schnur und Nagel sein eigenes Werkzeug. Beim Speed-Wettbewerb der Maler und Lackierer reißt Jacqueline Kuhn als Erste das letzte Klebeband ab. Fliesenleger Yannic Schlachter hat für den letzten Tag gut vorgelegt.
Auflösung Welche Platzierung die fünf Teilnehmer am Ende erreicht haben, steht im Online-Artikel "EuroSkills 2021: Handwerk im Medaillenrausch" auf handwerksblatt.de.
Querelen zum Auftakt
Der erste Wettkampftag im Skill 15 "Plumbing and Heating" verlief länger als erwartet. Ab 20 Uhr konnten die Experten erst mit der Bewertung der Arbeiten beginnen. Um 22 Uhr war für André Schnabel erst Feierabend. "Einige Nationen haben Einspruch eingelegt, weil sie zu wenig Zeit für die Vorbereitung hatten oder die Aufgabenstellung aus ihrer Sicht unverständlich war", erklärt Bundestrainer der SHK-Anlagenmechaniker.
Die Unstimmigkeiten hätten die gute Stimmung zwischen den Nationen ein wenig getrübt. Dass vermeintliche Probleme aufgebauscht werden, weiß er aus langjährigen Erfahrung und verbucht es lachend als "internationale Härte".
SHK-Anlagenmechaniker Simon Dorndorf Foto: © WorldSkills Germany/Frank Erpinar Sechs Konkurrenten im Skill 15
Simon Dorndorf ist davon offenbar unbeeindruckt. Der 21-Jährige SHK-Anlagenmechaniker hat die Aufgaben beider Tage zur vollen Zufriedenheit des Bundestrainers erledigt. "Simon ist sehr motiviert, sehr konzentriert, sehr engagiert", fasst André Schnabel seine Eindrücke zusammen.
Am ersten Wettkampftag bei den EuroSkills 2021 hatten die Teilnehmer eine C-Stahl-Heizungsinstallation zu biegen und zu pressen. "Das war eine sehr, sehr harte Aufgabe." Nur vier von sieben Nationen seien damit innerhalb der Zeitvorgabe von acht Stunden fertig geworden.
Deutschland tritt gegen sechs Nationen an – Frankreich, Österreich, Luxemburg, Ungarn, Russland und Estland. "Eigentlich wären wir zwölf gewesen, aber durch Corona sind fünf nicht gekommen."
Vorbereitung zahlt sich aus
Am zweiten Wettkampftag in Graz stand eine Gasinstallation aus Edelstahl, gepresst und gebogen, sowie eine Kalt- und Warmwasserinstallation aus Kupfer, gebogen und weichgelötet, auf dem Programm. "Bislang liegen wir gut im Rennen", hat André Schnabel beobachtet.
Die gute Vorbereitung scheint sich auszuzahlen. Der Bundestrainer der SHK-Anlagenmechaniker konnte zehn Wochen mit Simon Dorndorf trainieren. Neben den handwerklichen Fertigkeiten haben beide an der non-verbalen Kommunikation gefeilt. "Wir sind ein eingeschworenes Team. Ein Blick reicht aus – und der andere weiß, was gemeint ist."
Am dritten und letzten Wettkamptag bei den EuroSkills 2021 wartet auf die Teilnehmer noch eine Vorwandinstallation mit einem Abschlussstecksystem. Zeitvorgabe: vier Stunden.
Harter Fight am letzten Tag
Insgesamt können die Teilnehmer maximal 800 Punkte erreichen. Wer mehr als 700 Punkte sammelt, hat eine Exzellenzauszeichnung sicher. "Das wird am Samstag nochmal ein harter Fight", prognostiziert André Schnabel.
Am Ende des zweiten Wettkampftages hätten Österreich, Russland und Deutschland die Nase vorn gehabt. Mit Abstand folgten die Teilnehmer aus Frankreich, Luxemburg und Estland. "Simon kommt auf jeden Fall unter die ersten Drei", legt sich der Bundestrainer der SHK-Anlagenmechaniker fest. "Vielleicht wird er sogar Zweiter."
Zirkel selbst gebastelt
Kurz vor der Mittagspause strauchelt Glaser Jonathan Schaaf dann doch noch. Am ersten Wettkampftag bei den EuroSkills 2021 war der junge Glaser fulminant gestartet. Nun ist der 22-Jährige ratlos. In der Scheibe seiner Vitrine ist an der Griffseite eine S-Form vorgesehen. "Er konnte die Radien auf dem Glas aber nicht anzeichnen, weil er keinen passenden Zirkel in der Toolbox hatte", beschreibt Bundestrainer Jens Erdmann das Dilemma.
Doch deutsche Handwerker wissen sich zu helfen. "Er hat sich kurzerhand aus einem Stück Schnur und einem Nagel einen römischen Zirkel gebaut." Danach war der junge Baden-Württemberger zurück in der tags zuvor begonnenen Erfolgsspur.
Aus sechs werden fünf
Am zweiten Wettkampftag bei den EuroSkills 2021 sind die Glaser im Skill D2 "Glas Construction Technology" nur noch zu fünft. "Der Kandidat aus Luxemburg musste gestern leider schon früher gehen, weil es ihm schlecht ging", hat Jens Erdmann erfahren. Im Titelrennen sieht er Österreich und Deutschland zurzeit gleichauf. Dahinter kämpfen zwei jungen Frauen um den Anschluss. "Die Russin ist sehr stark, aber die Französin holt auf. Sie hatte ich gestern unterschätzt." Der Glaser aus der Schweiz folgt für den Bundestrainer als Fünfter schon mit einigem Abstand.
Samstag ohne Überraschung
Am letzten Tag sollte die Überraschungsaufgabe warten. Jens Erdmann ist gespannt, ob überhaupt jemand dieses dritte Modul anpacken wird. "Der Österreicher, der Schweizer und die Französin werden heute erst mit dem ersten Modul fertig." Neben der Glasvitrine steht als zweites Modul jedoch noch ein Bleifeld an. "Dafür braucht man mindestens vier Stunden, eher sogar sechs", schätzt der Bundestrainer der Glaser. Am letzten Wettkampftag verbleiben den Teilnehmern noch fünf Stunden.
Goldmedaille ist anvisiert
Die Zeichen stehen gut, dass Deutschland die Goldmedaille bei den Glasern holt. Jens Erdmann führt dies vor allem auf die mentale Stärke und die sportliche Leidenschaft von Jonathan Schaaf zurück. "Er ist Bogenschütze und hat für seinen Verein schon in der Zweiten Bundesliga geschossen", zeigt sich der Bundestrainer der Glaser beeindruckt. Die Mental-Coaches des von WorldSkills Germany, die auch den Olympia-Kader betreuen, hätten ihm ebenfalls Mut zugesprochen. "Jens, mach dir keine Sorgen, Bogenschützen haben die Ruhe weg!"
Kein "zweites Kazan"
Ein "zweites Kazan" bleibt Klima- und Kältetechniker Lukas Brenne bei den EuroSkills 2021 erspart. Bei den WorldSkills in Russland fehlte dem Klima- und Kältetechniker noch die Zeit, um die Kälteanlage mit Kältemittel füllen zu können. Bei der Berufsweltmeisterschaft 2018 konnte der junge Nordrhein-Westfale einen Messwert beim Evakuieren nicht erreichen. Dies sei Lukas Brenne, aber auch dem Teilnehmer aus Österreich am Freitag gelungen, so Bundestrainer Karsten Beermann.
Genug Zeit für Feinheiten
Entsprechend entspannt sieht er dem letzten Wettkampftag entgegen. "Heute haben wir erreicht, was wir uns vorgenommen hatten. Damit ist der Samstag ganz gut zu kalkulieren", blickt Beermann nach vorne. Innerhalb der verbliebenen vier Stunde könne sich Lukas Brenne um die Feinheiten kümmern und die Kälteanlage konzentriert in Betrieb nehmen.
Dem 23-Jährigen dürfte dabei in die Karten spielen, dass sich die Experten der Nationen darauf verständigt haben, die Zeitvorgaben zu lockern. "Einige hinken hinterher. Wir wollten ihnen die Chance geben, auch noch ihre Aufgabe zu beenden." Der Samstag steht auch im Zeichen der Fehlersuche. Zwei gilt es innerhalb von zwei Stunden zu finden. Das Ergebnis fließt zu 20 Prozent in die Bewertung ein. "Lukas ist inzwischen so erfahren, dass er diese Herausforderung meistern sollte."
Minimalziel Exzellenzauszeichnung
Wie der Wettbewerb im Skill 38 "Refrigeration and Air Conditioning" ausgehen könnte, möchte Karsten Beermann nicht prognostizieren. Eine Exzellenzauszeichnung, für die mindestens 700 Punkte nötig sind, ist das Minimalziel, das jedoch erreicht werden dürfte. "Wir werden hart darum kämpfen, dass wir am Ende unter den ersten Drei sind."
Malerin gibt Gas
Malerin und Lackiererin Jacqueline Kuhn Foto: © WorldSkills Germany/Frank ErpinarNach dem Regen folgt bekanntlich Sonnenschein. Als solcher ist Malerin und Lackiererin Jacqueline Kuhn am Morgen des zweiten Tages bei den EuroSkills 2021 auf das Wettbewerbsgelände in Graz gekommen. "Sie hat gelacht und war total aufgeräumt", beschreibt Bundestrainer Matthias List den Gemütszustand der 23-jährigen Handwerkerin. Am Vortag hatten ihr zeitweise die Nerven einen Streich gespielt, doch im Nachhinein war alles halb so schlimm. "Beim Mischen der Farben gehörte sie gestern zu den Besten." Das macht Mut für Tag zwei.
Erste beim Speed-Wettbewerb
Zum Speed-Wettbewerb ist sie topfit. Die Teilnehmer mussten innerhalb von 90 Minuten nach Plan eine Flächengliederung mit Tesa-Streifen auf eine Wand übertragen und nach Vorgabe mit angemischten Farben versehen. Nach 47 Minuten reißt Jacqueline Kuhn als Erste das letzte Klebeband von der Fläche. "Sie hat heute richtig Gas gegeben", sagt Matthias List voller Bewunderung. Die Zeit-Bonifikation dürfte sie weiter nach vorne gebracht haben. "Jetzt hoffe ich, dass auch die Qualität gestimmt hat."
Ein Millimeter Fehlertoleranz
Die Maßgenauigkeit spielt bei allen Aufgaben eine große Rolle. Die Toleranz beträgt einen Millimeter. Punktabzüge gibt es aber auch für schlechte Deckkraft der Farben, krumme Linien oder unsaubere Kanten. Darauf wird Jacqueline Kun besonders bei der Design-Aufgabe achten müssen. "Hierbei darf nicht abgeklebt werden, sondern nur mit Pinsel und Malstock gearbeitet werden", erklärt der Bundestrainer für den Skill 22 "Painting and Decorating".
Aufbauarbeit der Mental-Coaches
Doch nicht nur Jacqueline Kuhn hatte mit dem Druck zu kämpfen. "Bei den Belgiern und Esten lagen die Nerven ebenfalls blank." Beide Teilnehmer hätte die Halle kurz verlassen, um sich emotional wieder zu fangen. Diese Pause wird ihnen nicht von der Wettkampfzeit abgezogen. "Nach dem gestrigen Ausfall durfte Belgien heute eine halbe Stunde länger nacharbeiten."
Die Mental-Coaches des Teams WorldSkills Germany hätten auch ihren Anteil dazu beigetragen, dass sich die junge Hessen aus ihrem Tief am Donnerstag herauskämpfen konnte. "Gestern lief es holprig, dafür war es heute umso besser", fasst Matthias List zusammen.
Der Teufel steckt im Detail
Die Aufholjagd ist Jacqueline Kuhn offenbar geglückt. "Sie braucht keine Angst zu haben, dass sie nicht fertig wird", legt sich Matthias List fest. Am dritten und letzten Wettkampftag haben die zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch vier Stunden, um ihre Aufgaben abzuschließen. 700 Punkte, die für eine Exzellenzauszeichnung reichen, dürften auf jeden Fall zu erreichen sein. Ob sie noch in den Titelkampf eingreifen kann, ist für den Bundestrainer der Maler und Lackierer offen. "Der Teufel steckt auch am letzten Tag im Detail."
Dem Plan voraus
Fliesenleger Yannic Schlachter ist seiner Zeit voraus. Zum Abschluss des zweiten Wettkampftages bei den EuroSkills 2021 in Graz sollte die erste von zwei zu gestaltenden Wände fertig sein. "Wir haben aber auch schon die zweite komplett, so dass wir uns am Samstag ganz auf das dritte Projekt konzentrieren können", sagt Bundestrainer Tim Welberg.
Fliesenleger Yannic Schlachter Foto: © WorldSkills Germany/Frank Erpinar Entspannt den Samstag angehen
Die letzte zu lösende Aufgabe besteht darin, auf dem Boden der Koje eine Treppenanlage zu bauen, auf der ein Pool angedeutet ist. "Der wird nicht mit Wasser befüllt, sondern es geht darum, unterschiedliche Ebenen einzubauen", verdeutlicht der Fliesenlegermeister und Gewinner der EuroSkills 2016. Für diese Aufgabe haben die Teilnehmer fünf Stunden Zeit. Tim Welberg rechnet damit, dass Yannic Schlachter locker innerhalb der Vorgabe bleibt. "Damit kann er sich ganz auf die Qualität der Arbeit konzentrieren."
Kleinigkeiten werden entscheiden
Die Konkurrenz im Skill 12 "Wall and Floor Tiling" liegt nach dem zweiten Wettkampftag in Graz dicht beieinander. Tim Welberg bleibt bei seiner Vorhersage vom Vortag, dass es extrem eng wird. "Wir haben eine relativ starke Truppe. Am Ende werden Kleinigkeiten darüber entscheiden, wer eine Medaille gewinnt."
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Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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