Unternehmer im Handwerk: Eine Frage der Persönlichkeit?
Wie sind Menschen gestrickt, die sich selbstständig machen und was unterscheidet Handwerker von Unternehmern anderer Wirtschaftszweige? Eine neue Studie des ifh Göttingen liefert spannende Erkenntnisse. Auch für diejenigen, die noch zögern, ob sie eine Gründung wagen sollen.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special GründerNavi – für Gründer und junge Unternehmen
Die Persönlichkeit spielt bei Unternehmerinnen und Unternehmern eine wichtige Rolle. Wer ein aufgeschlossener und empathischer Mensch ist, die Dinge gerne selbst in die Hand nimmt und offen ist für Neues, macht sich eher beruflich selbstständig als eine vorsichtige, introvertierte Person.
Doch wie ist das eigentlich im Handwerk, von dem es gerne heißt, dass eine gute Ausbildung, Erfahrung und Könnerschaft die wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche Selbstständigkeit sind? Wie unterscheidet sich die Persönlichkeit von selbstständigen Handwerkerinnen und Handwerkern von Unternehmerinnen und Unternehmern im Nicht-Handwerk?
Menschen zur Existenzgründung im Handwerk motivieren
Diesen Fragen sind Dr. Jörg Thomä und Dr. Petrik Runst vom ifh, dem Volkswirtschaftlichen Institut für Mittelstand & Handwerk an der Universität Göttingen, nachgegangen. Mit spannenden Erkenntnissen, die auch Menschen zur Existenzgründung im Handwerk motivieren könnten, die noch zögern. Und die auch in der Gründungsberatung bei den Handwerksorganisationen relevant sein dürften.
Psychologen sprechen von den "Big Five", den fünf grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen, die ein Mensch oft von Geburt an in sich trägt und die sich bis ins Alter hinein kaum verändern: Es handelt sich dabei um emotionale Stärke, Offenheit für Erfahrungen, Extrovertiertheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Und einige dieser fünf Eigenschaften wirken sich quer durch alle Branchen positiv auf die Bereitschaft aus, sich selbstständig zu machen.
Extrovertiertheit spielt im Handwerk eine wichtige Rolle
Dr. Jörg Thomä Foto: © ifh Göttingen"Persönlichkeitsmerkmale spielen auch für die Unternehmertätigkeit im Handwerk eine wichtige Rolle. Bestimmte Persönlichkeitsfaktoren sind für eine Unternehmensgründung im Handwerk sogar deutlich relevanter als im Nicht-Handwerk", sagt Jörg Thomä gegenüber dem Handwerksblatt.
Auffällig sei, so das Ergebnis der Studie, dass bei Inhaberinnen und Inhaber von Handwerksunternehmen die Extrovertiertheit eine deutlich größere Rolle spiele als in anderen Wirtschaftsbereichen. "Diese Eigenschaften brauchen Handwerkerinnen und Handwerker, um sich zu informieren, zu vernetzen und um mit Kunden in Kontakt zu treten", sagt Thomä.
Die eher kleinen Betriebe seien zur Sicherung ihrer Innovationsfähigkeit auf interaktives Lernen und externes Wissen angewiesen. Dafür muss man eben offen und kommunikativ sein.
"Extraversion ist auch deshalb ein wichtiger Treiber im Handwerk, weil beim Inhaber oder der Inhaberin von Kleinst- und Kleinbetrieben in der Regel alle Fäden zusammenlaufen. Sie sind der wichtigste Ansprechpartner für die Kunden, Mitarbeiter und Auszubildenden", so Thomä.
Handwerker gehen weniger Risiken ein - was die Betriebe stabiler macht
Foto: © ifh GöttingenWohingegen die Bereitschaft, Risiken einzugehen im Nicht-Handwerk ein größerer Treiber von Gründung ist. "Hier sind Gründungen von vornherein mehr auf Wachstum und Innovation ausgerichtet, was dann auch mit einem größeren Risiko einhergeht. Handwerkliche Gründungen sind eher nicht auf den schnellen Profit ausgerichtet. Dadurch seien sie aber insgesamt bestandsfester und stabiler. "Das unternehmerische Risiko ist im Handwerk geringer."
Auf der anderen Seite gebe es im Handwerk einen überdurchschnittlich starken Drang nach selbst bestimmtem Arbeiten und persönlicher Autonomie. "Dieses Streben nach Selbstbestimmung ist im Handwerk wesentlich stärker ausgeprägt als in anderen Branchen", berichtet Thomä.
Sorgfalt und Qualität sind Erfolgsgaranten
Noch spannender sei aber der Aspekt der Gewissenhaftigkeit. "Sorgfalt, Qualität und Genauigkeit sind Erfolgsgaranten für handwerkliches Unternehmertum und wirken sich signifikant auf die Bereitschaft zur Selbstständigkeit aus", berichtet der Volkswirt. Mehr als in allen anderen Wirtschaftsbereichen, wo Gewissenhaftigkeit teilweise sogar kritisch gesehen wird.
Im Handwerk handele es sich bei Gewissenhaftigkeit eben nicht um übertriebene Pedanterie, die den Gründergeist ausbremst, wie es bei Tech-Start-ups vielleicht der Fall wäre, sondern um einen Aspekt des handwerklichen Könnertums.
"Big Five": Die großen fünf Persönlichkeitseigenschaften Die "Big Five", die fünf großen Persönlichkeitseigenschaften, trägt ein Mensch meist von Geburt an und oft bis ins hohe Alter in sich:
1. Extraversion: Wie extrovertiert ist ein Mensch? Ist er oder sie gesellig und geht offen auf andere Menschen zu?
2. Offenheit für Erfahrungen: Ist die Person offen für Neues und bereit, neue Erfahrungen zu sammeln? Ist sie kreativ?
3. Gewissenhaftigkeit: Ist er oder sie gewissenhaft, also sorgfältig, zielstrebig und genau?
4. Verträglichkeit: Inwieweit ist jemand als Mensch sozial verträglich, empathisch und bereit, mit anderen zu kooperieren?
5. Emotionale Stabilität: Ist die Person emotional stabil, kann also gut mit Stress und Rückschlägen umgehen und leidet weniger unter starken Stimmungsschwankungen, oder eben nicht?
Neben dieser großen Einteilung gibt es enger gefasste Persönlichkeitsmerkmale, die sich im Laufe des Lebens auch eher ändern können. Für die Bereitschaft zum Unternehmertum spielen diese beiden Faktoren unter anderem eine Rolle:
1. Kontrollüberzeugung: Inwieweit hat man das Gefühl, sein Leben selbst steuern zu können?
2. Risikobereitschaft: Hat man eine gewisse Risikotoleranz?
Unternehmer gehen auf andere Menschen zu und sind offen für Neues
Unternehmertypen sind eher extrovertiert, gehen also offen auf andere Menschen zu und sind besonders offen für Neues. Sie sind bereit, ein gewisses Risiko einzugehen und überzeugt davon, dass sie etwas verändern können, wenn sie die Dinge selbst in die Hand nehmen (sogenannte Kontrollüberzeugung beziehungsweise Selbstwirksamkeit).
Einfluss auf die Gründungsberatung bei den Handwerkskammern
Solche Persönlichkeitsfragen spielen auch in der Gründungsberatung der Handwerksorganisation eine Rolle. Die Berater können die Ergebnisse der Studie in ihre Beratung einfließen lassen, etwa in Form einer Stärken- und Schwächen-Betrachtung. Denn natürlich sind die Persönlichkeitseigenschaften wie die Big Five oder eine Risikoneigung nicht bei jedem potenziellen Gründer stark ausgeprägt, aber in der Beratung kann man schauen, wie sich Schwächen kompensieren lassen und Stärken gezielt eingesetzt werden.
Zudem sind die Forscher überzeugt, dass auch bei der Ansprache und Förderung neuer Zielgruppen (Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder Studierende) die Persönlichkeitsaspekte stärker berücksichtigt werden sollten. Wer zum Beispiel zögert, weil er das Risiko einer Selbstständigkeit scheut, dem kann deutlich gemacht werden, dass eine handwerkliche Gründung "eine relativ sichere Bank", das unternehmerische Risiko also vergleichsweise gering ist.
Dass Gewissenhaftigkeit und Freude im Umgang mit anderen Menschen im handwerklichen Unternehmertum größere Erfolgsgaranten sind als Risikobereitschaft beziehungsweise das Streben nach schnellem Profit und Wachstum. Und nicht zuletzt, dass man sich im Handwerk mehr als in jedem anderen Wirtschaftszweig selbst verwirklichen und autonom arbeiten kann.
Zur Methode:
Die Analyse basiert auf den Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Dabei handelt es sich um einen breiten und repräsentativen Datensatz zur Bevölkerung in Deutschland. In diesem Datensatz kann das ifh Göttingen Handwerker und Nicht-Handwerker identifizieren und erkennen, wer sich selbstständig macht. Auf dieser Basis wurden sowohl die groben als auch die enger gefassten Persönlichkeitsmerkmale von Unternehmerinnen und Unternehmern betrachtet.
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Text:
Kirsten Freund /
handwerksblatt.de
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