Sachverständige: Auch hier fehlt schon der Nachwuchs
Wer sich öffentlich bestellter Sachverständiger im Handwerk nennen will, der muss überdurchschnittlich gut in seinem Fach sein und auch eine extra große Portion Charakterstärke mitbringen. Einige Branchen und Regionen haben schon ein Nachwuchsproblem.
Das handwerkliche Sachverständigenwesen hat in den letzten Jahrzehnten eine starke Wandlung vollzogen. "Beim Ansehen in der Richterschaft hinkte das Handwerk früher hinterher", weiß Ernst Wölke, ehemaliger Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dortmund und viele Jahren Experte im Sachverständigenwesen. In den 90er-Jahren wurden dann mit neuen Qualitätsrichtlinien und mit einer verbindlichen Überprüfung der Anwärter auf die Sachverständigen-Posten Weichen gestellt. "Der Praktiker aus dem Handwerk ist heute bei den Richtern sehr geschätzt. Er ist ein anerkannter Experte auf seinem Gebiet mit beruflicher Erfahrung", betont Wölke. "Das wissen die Richter, und das überprüfen wir auch."
Sachverständiger muss einen sehr guten Ruf haben
Einfach ist der Weg deshalb nicht, bis man vereidigt wird und sich den Titel "Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger" auf die Visitenkarte drucken darf. Der Bewerber muss sich bei seiner Handwerkskammer vorstellen, und er muss dann vor einer Expertenkommission des jeweiligen Fachverbandes seine besonderen fachlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Er muss außerdem mindestens 30 Jahre alt sein, beim Finanzamt und der Polizei ein unbeschriebenes Blatt sein, in "wirtschaftlich geordneten Verhältnissen" leben und sollte sich mündlich und schriftlich gut ausdrücken können – schließlich geht es auch darum, Gutachten für Richter , private Auftraggeber oder Versicherungen zu formulieren.
Davon leben können nur die wenigsten
Abgeklopft wird auch die Persönlichkeit des künftigen Sachverständigen, denn schließlich hat er es fast immer mit zwei streitenden Parteien zu tun. "Und da kann es auch mal sein, dass er auf einer Baustelle in ein emotionales Spannungsfeld gerät, in dem er trotzdem ruhig und objektiv agieren muss", sagt Wölke. "Und er sollte einen sehr guten Ruf haben." Wenn man diese Hürden geschafft hat – schätzungsweise jeder zweite Bewerber kommt durch –, hat man eine interessante Nebenbeschäftigung. Ernst Wölke: "Davon leben können nur die wenigsten."
Zehn bis zwölf Gutachten im Jahr sind der Durchschnitt. Beim Fleischer oder Bäcker sind es eher nur ein bis drei, beim Kfz- oder Bausachverständigen auch mal 50 oder mehr. Ein Raumausstatter, inzwischen im Ruhestand, schrieb für Versicherungen Gutachten über Haftpflichtschäden und kam in Spitzenzeiten auf 600 Aufträge im Jahr – eine absolute Ausnahme. "Wie viel man zu tun hat, hängt von seinem Ansehen ab und wie man sich gegen die Konkurrenz behauptet." Und die gibt es im Markt der Sachverständigen reichlich. "Freie Sachverständige, der TÜV, die Dekra und andere drängen in den Markt und würden ihn gerne besetzen."
In einigen Regionen und Branchen gibt es schon ein Nachwuchsproblem
Damit die Richter weiterhin auf überprüfte Sachverständige aus der handwerklichen Praxis zurückgreifen können, muss das Handwerk Flagge zeigen, betont der Dortmunder Experte. Von den etwa 17.000 öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen in Deutschland komme aktuell knapp die Hälfte aus dem Handwerk – allerdings mit leicht abnehmender Tendenz. "Es gibt auch hier einen Generationenumbruch. In unserem Kammerbezirk können wir schon nicht mehr alle Gewerke abdecken, in denen Bedarf besteht", warnt Wölke. Zurzeit gibt es im Verzeichnis der Dortmunder Kammer 137 Sachverständige in 45 Gewerken. Andere Handwerkskammern betonen hingegen, dass sie mehr als ausreichend mit Sachverständigen versorgt sind.
Handwerk darf den Markt nicht TÜV, Dekra und Co. überlassen
Wölke appelliert an die Handwerkskammern, auf die Sachverständigenbestellung das erforderliche Augenmerk zu legen. "Die öffentliche Bestellung von Sachverständigen ist eine der wesentlichen hoheitlichen Aufgaben der Handwerkskammern." Das Besondere am handwerklichen Sachverständigen sei das Thema Selbstregulierung eines Wirtschaftszweiges: Die Mängel eines Handwerkers werden durch einen handwerklichen Sachverständigen objektiv beurteilt. Wölke:
"Es wäre verhängnisvoll, wenn andere diesen Markt besetzen würden. Das kann nicht im Interesse des Handwerks sein!" Handwerker, die selbst einmal einen Streitfall haben, sollten beim Richter deshalb darauf drängen, dass ein handwerklicher Sachverständiger eingeschaltet wird. Wölke hofft auch auf mehr Engagement der Handwerkskammern in wichtigen Dachorganisationen wie dem Institut für Sachverständigenwesen (IfS), in denen manche Weiche zur Entwicklung des Sachverständigenwesens in Deutschland gestellt werde. "Insgesamt ist das Handwerk im IfS noch lange nicht stark genug vertreten."
Wie und wo die Sachverständigen ausgebildet werden
Der Bedarf an Sachverständigen steigt – nicht zuletzt durch den Wegfall der Meisterpflicht in vielen Handwerksberufen. Es drängen viele Selbstständige an den Markt, deren Leistungen keinen hohen Qualitätsanforderungen entsprechen.
Streitigkeiten zwischen Kunden und Handwerkern enden oft vor Gericht, weil sich beide Seiten nicht einigen können. Sachverständige erstellen dann auf Anforderungen von Richtern gerichtliche Gutachten oder Privatgutachten im Auftrag von Kunden, Rechtsanwälten oder Versicherungen.
Dazu müssen Sachverständige selbst entsprechend qualifiziert sein. Deshalb bietet die Akademie des Handwerks Schloss Raesfeld Seminare an, in denen Dozenten von den Gerichten und aus den Handwerkskammern mit den Teilnehmern rechtliche Grundlagen der Sachverständigentätigkeit, Regeln für die Zusammenarbeit mit den Gerichten und Techniken der Erstellung von Gutachten erarbeiten.
Checkliste: Drei Schritte zur Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen
1. Die zuständige Handwerkskammer prüft, ob die allgemeinen Bestellungsvoraussetzungen vorliegen.
2. Dann folgt die Teilnahme an zwei Seminaren, die in Raesfeld (NRW), in Caputh bei Potsdam (Brandenburg) und in Verden an der Aller (Niedersachsen) angeboten werden. Auch das Institut für Sachverständigenwesen (IfS) bietet anerkannte Seminare an. Die Seminare schließen mit einer Prüfung zu den Grundlagen der Sachverständigentätigkeit ab.
3. Die fachlichen Kenntnisse werden im Auftrag der Bestellkörperschaften von speziellen Ausschüssen, die in der Regel bei Landes- oder Bundesinnungsverbänden angesiedelt sind, überprüft. Informationen über die fachliche Prüfung gibt es bei den Handwerkskammern.
Infos zu den Seminaren in Raesfeld unter www.akademie-des-handwerks.de
Text:
Rainer Fröhlich /
handwerksblatt.de
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