Der Koalitionsvertrag, den CDU-Chef Friedrich Merz, der CSU-Vorsitzende Markus Söder sowie die SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken am 9. April in Berlin vorgestellt haben, ist 144 Seiten stark. Überschrieben ist er mit dem Titel "Verantwortung für Deutschland". Zehn Mal taucht darin das Wort "Handwerk" auf.
Unter anderem heißt es da "Wir wollen den Mittelstand und das Handwerk mit flexibleren gesetzlichen Rahmenbedingungen, einfacheren Vergabeverfahren und schnelleren Genehmigungsprozessen unterstützen."
Die künftige Bundesregierung will Betriebsübergaben und Existenzgründungen im Handwerk fördern und den Investitionsstau in den Bildungsstätten "mit einer verlässlichen Förderung lösen". Berichts- und Dokumentationspflichten sollen abgebaut werden, die Bonpflicht wieder abgeschafft werden - wie vor allem vom Bäckerhandwerk,
Der Bürokratieabbau ist ein wichtiges Thema im Koalitionsvertrag. Ziel ist, die Bürokratiekosten in vier Jahren um 25 Prozent zu senken. Beispielsweise sollen kleinere Handwerksbetriebe von der Datenschutzgrundverordnung ausgenommen werden.
• Für die Gastronomie wird der Mehrwertsteuersatz auf Speisen dauerhaft auf sieben Prozent gesenkt. Voraussichtlich aber erst ab 2026.
• Zudem wird die wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit möglich, um Unternehmen und Beschäftigten mehr Freiraum zu geben.
• Außerdem will man die Freiwilligendienste stärken und ein freiwilliges Handwerksjahr dort integrieren.
Auch wenn nicht explizit erwähnt, werden die Pläne der neuen Koalition aus CDU/CSU und SPD das Handwerk an vielen Stellen betreffen. Zum Beispiel
• bei der geplanten Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 Euro im kommenden Jahr,
• bei Investitionsprogrammen mit hohen Abschreibungen ("Innovations-Booster") oder
• bei Maßnahmen zur Stabilisierung der Energiekosten.
• Überstundenzuschläge sollen steuerfrei sein.
• Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, soll sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei erhalten.
• Zudem soll die Pendlerpauschale erhöht werden.
• Für kleine und mittlere Einkommen soll die Einkommensteuer ab Mitte der Wahlperiode (also ungefähr in zwei Jahren) gesenkt werden. Was das genau bedeutet steht im Koalitionsvertrag nicht.
• Der Solidaritätszuschlag bleibt.
• Zudem soll es Kaufanreize für E-Autos geben, zum Beispiel steuerliche Begünstigungen und Möglichkeiten der Sonderabschreibung.
• Das Gebäudeenergiegesetz (sogenanntes "Heizungsgesetz") soll geändert und dann "technologieoffener, flexibler und einfacher" werden.
Der ganze Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD als pdf
Kommt die Wirtschaftswende?
Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) spricht von "wirksamer Medizin, aber auch einigen bitteren Pillen". Dittrich: "Der Standortpatient Deutschland muss endlich runter von der Intensivstation." Ob dies zu einer echten Wirtschaftswende führe, müsse sich erst noch zeigen. "Vieles kann sich in die richtige Richtung drehen."
Für die Betriebe und Beschäftigten seien konkrete Perspektiven für Entlastungen besonders wichtig, so Dittrich. Lob gibt es für das Thema Bürokratieabbau. Hier seien Union und SPD "erfreulich mutig und ambitioniert". Auch die geplante Stärkung der beruflichen Bildung begrüßt der Handwerkspräsident.
Aber, so Dittrich weiter: "An entscheidenden Stellen bleibt der Reformdruck leider bestehen. Hier wird sich die Koalition einem Realitätscheck unterziehen müssen. Der sozialpolitische Teil ist sanierungsbedürftig, bevor die Koalition überhaupt ihre Arbeit aufnimmt."
Auch die angekündigten Verbesserungen im Steuerbereich seien "zu verzagt und zu wenig mittelstandsorientiert". Dittrich fordert die Koalitionäre auf, "mutig und entschlossen an der Sicherheit, Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit Deutschland zu arbeiten".
Bau erwartet Infrastrukturoffensive und Transparenz
Den Wohnungsbau und die Eigentumsbildung will die künftige Regierung "durch eine Investitions-, Steuerentlastungs- und Entbürokratisierungsoffensive ankurbeln". Man plant einen Wohngungsbau-Turbo. So steht es im Koalitionsvertrag.
Das Baugewerbe begrüßt, dass die Baupolitik weiterhin in einem Bauministerium verankert wird. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB). Der Verband erwartet eine "zügige und verlässliche Ausrichtung der Förderpolitik" insbesondere im Wohnungsbau. Pakleppa: "Die Verlängerung der Mietpreisbremse halten wir in diesem Zusammenhang für kontraproduktiv, da sie nur Symptome bekämpft. Wir müssen jetzt an die Ursachen heran und mehr Wohnungen bauen." Außerdem brauche es eine Infrastrukturoffensive.
Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, findet lobende Wort dafür, dass der Koalitionsvertrag bereits 40 Tage nach Beginn der Sondierungen steht. "Ein Verhandlungsergebnis in so kurzer Zeit ist zunächst ein gutes Signal, auf das die deutsche Wirtschaft und Industrie gewartet hat."
Für die Baubranche komme es nun darauf an, dass das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaschutz auch umgesetzt wird. Müller: "Dafür gilt es, eine kluge bundesgesetzliche Lösung zur Mittelverteilung zu erarbeiten, idealerweise auf Basis transparenter Infrastrukturzustandsberichte, Planungsprioritäten und Bedarfsanforderungen." Die Bauindustrie hofft dabei auf Transparenz, damit sich die Unternehmen darauf einstellen können.
"Mutterschutz für Selbstständige" im Koalitionsvertrag
Ein großer Erfolg für alle selbstständigen Frauen und speziell für Tischlermeisterin Johanna Röh, die mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern seit mehreren Jahren dafür kämpft: Der Mutterschutz für Selbstständige steht im Koalitionsvertrag. Dort heißt es wörtlich: "Wir wollen einen Mutterschutz für Selbstständige analog zu den Mutterschutzfristen für Beschäftigte einführen. Dafür prüfen wir zeitnah umlagefinanzierte und andere geeignete Finanzierungsmodelle. Darüber hinaus entwickeln wir gemeinsam mit der Versicherungswirtschaft Konzepte für die Absicherung der betroffenen Betriebe. Wir werden eine Aufklärungskampagne zum Mutterschutz umsetzen."
Für den gemeinnützigen Verein Mutterschutz für Alle! e.V. ist das ein wichtiger Meilenstein. "Für alle Gründerinnen, Unternehmerinnen und die, die es perspektivisch werden wollen ist die Aufnahme des Mutterschutzes für Selbstständige in den Koalitionsvertrag ein wichtiges Signal. Der Handlungsbedarf wurde anerkannt. Nun kommt es auf eine verlässliche und praxisorientierte Umsetzung an", erklärt Johanna Röh, Vorsitzende des Vereins. Jetzt muss die Absicherung noch umgesetzt werden.
Dauerhaft sieben Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) begrüßt das Sondierungsergebnis von CDU/CSU und SPD, denn er konnte sich mit seiner Forderung einer Mehrwertsteuerreduzierung in der Gastronomie auf sieben Prozent durchsetzen. DEHOGA-Präsident Guido Zöllick: "Die steuerliche Gleichbehandlung von Speisen, flexible Arbeitszeiten und spürbarer Bürokratieabbau – das sind wegweisende Entscheidungen, die unsere Betriebe jetzt brauchen."
Das Friseurhandwerk fordert ebenfalls seit Jahren eine Mehrwertsteuersenkung auf sieben Prozent, ging aber leer aus.
IKK classic-Chef Frank Hippler: "Die acht Seiten lesen sich ernüchternd"
Die IKK classic als führende handwerkliche Krankenversicherung reagiert eher enttäuscht und vermisst Strukturreformen. Frank Hippler, Vorstandsvorsitzender der IKK classic, sagt: "Die acht Seiten lesen sich ernüchternd. Das Primärarztmodell soll kommen. Ich frage mich, ob es im Zeitalter von Digitalisierung und KI nicht intelligentere Lösungen geben könnte. In die richtige Richtung hingegen geht der Vorschlag, pauschalierte Honorare für die Behandlung von Chronikern einzuführen. Die kostenträchtige Entbudgetierung der Fachärzte in unterversorgten Gebieten soll "geprüft" werden. Und es ist von Zu- und Abschlägen für Land und Stadt, als "fairer Ausgleich" die Rede. Ich bin skeptisch, dass das die Versorgung verbessert. Aus der Krankenhausreform könnte eine Krankenhausreform light werden – das wird nicht reichen, um Qualität zu erhöhen und die Ausgabenentwicklung in den Griff zu bekommen. Gut: Es sollen keine Beitragsgelder in den Krankenhaustransformationsfonds fließen."
DHB jetzt auch digital!Einfach hier klicken und für das digitale Deutsche Handwerksblatt (DHB) registrieren!
Text:
Kirsten Freund /
handwerksblatt.de
Kommentar schreiben