Der Chef darf den Urlaub nicht verhindern
Liegt es am Arbeitgeber, dass ein Mitarbeiter keinen Urlaub nehmen kann, verliert dieser nicht seine Urlaubstage. Das sagt der Europäische Gerichtshof.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Urlaubsplanung im Betrieb
Ein Arbeitnehmer muss nicht genommenen Jahresurlaub unbegrenzt übertragen können, wenn der Arbeitgeber es ihm nicht ermöglicht, in Ferien zu gehen. Er muss auch nicht erst Urlaub beantragen, ehe er feststellen kann, ob er für diese Tage Anspruch auf Bezahlung hat.
Der Fall
Es ging um den Briten Conley King, der 13 Jahre lang als Verkäufer auf Provisionsbasis für einen britischen Händler tätig war. Nach Ansicht des Unternehmens war der Mann selbstständig, ein Jahresurlaub wurde ihm daher nicht bezahlt. Er machte auch keine Ferien in dieser Zeit.
Nachdem er in Ruhestand gegangen war, erhob King Klage, unter anderem auch auf Abgeltung des Urlaubs. Die britischen Arbeitsgerichte stellten dabei fest, dass der Verkäufer nicht selbstständig war, sondern scheinselbstständiger Arbeitnehmer und deshalb Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub hatte. Es war jedoch unklar, ob der Urlaubsanspruch verfallen war – wie es das britische (und auch das deutsche) Recht bestimmt.
Die Richter legten daher zwei Fragen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung vor: Muss ein Arbeitnehmer seinen Urlaub erst nehmen, bevor er feststellen lassen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf eine Bezahlung hat? Und verfällt der Urlaubsanspruch, wenn der Chef dem Mitarbeiter den Urlaub nicht ermöglicht hat?
Unsicherheit über Bezahlung schreckt ab
Das Urteil
Beide Fragen beantwortete der EuGH mit "Nein" und entsprach damit den Schlussanträgen des Generalanwalts. Zunächst betonten die Luxemburger Richter, dass der Anspruch auf Jahresurlaub ein besonders wichtiger europäischer Grundsatz sei. Urlaub diene der Erholung und damit der Gesundheit. Beschäftigte, die unsicher seien, ob der Urlaub auch bezahlt wird, könnten diesen nicht genießen. Diese Unsicherheit könne Arbeitnehmer sogar davon abhalten, Urlaub zu nehmen. Sie seien daher nicht gezwungen, erst mal unbezahlten Urlaub zu nehmen und anschließend die Bezahlung einzuklagen.
Der Urlaubsanspruch des Mannes war nach Ansicht der Europarichter auch nicht verfallen. Nationale Vorschriften, die die Übertragung von Urlaubstagen auf folgende Kalenderjahre verbieten, verstießen gegen europäisches Recht (in Deutschland ist das § 7 Absatz 3 Bundesurlaubsgesetz).
Im Falle einer längeren Erkrankung eines Arbeitnehmers hatte der EuGH es zwar für zulässig gehalten, die Übertragung des Urlaubs auf 15 Monate zu begrenzen (EuGH, Urteil vom 22. November 2011, Az. C-214/10). Bei der Ansammlung von zu langen Krankheitszeiten müsse der Unternehmer nämlich vor Problemen bei der Arbeitsorganisation geschützt werden.
Unrechtmäßige Bereicherung des Arbeitgebers
Diese Umstände lägen im Fall King aber gerade nicht vor, erklärte das Gericht, hier brauchte der Arbeitgeber keinen Schutz. Eine Begrenzung auf 15 Monate sei hier nicht angebracht, weil es in der Verantwortung des Arbeitgebers lag, dass der Mitarbeiter seinen Urlaub nicht rechtzeitig nehmen konnte. Versetze der Chef seine Beschäftigten nicht in die Lage, den ihnen zustehenden Urlaub zu nehmen, müsse er auch die Konsequenzen seines Verhaltens tragen und nicht noch davon profitieren, so die EU-Richter. Andernfalls wäre das Ergebnis eine unrechtmäßige Bereicherung des Arbeitgebers. Dies steht nach Auffassung des EuGH mit dem Zweck der europäischen Arbeitszeitrichtlinie in Widerspruch, die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen.
Dass der Arbeitgeber irrtümlich davon ausging, Herr King habe keinen Urlaubsanspruch, sei unerheblich, denn er müsse sich über seine Pflichten umfassend informieren.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 29. November 2017, Az. C-214/16
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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