Bei Auszahlung der Direktversicherung müssen viele Rentner die vollen Kranken- und Pflegebeiträge nachzahlen. Davon wurden viele Betroffene überrascht und reagieren entsprechend empört. "Das Thema wird systematisch totgeschwiegen", beschwert sich handwerksblatt-Leser Hans Koch in einem Kommentar. "Auch Sendungen wie zum Beispiel 'Akte' greifen das Thema nicht auf, Leserzuschriften an Zeitungen versickern im leeren Raum. Die Direktversicherungsbeträge reduzieren das zu versteuernde Einkommen. Eine Lebensversicherung liegt grob geschätzt bei fünf Prozent Rendite. Dann schlägt die Kranken- und die Pflegeversicherung zu. Ergebnis: Ein Minus von rund 12 Prozent. Das Geld hätte man besser unter die Matratze gelegt. Ob es wohl mal eine Regierung geben wird, die die §§ 229 und 248 SGB V ersatzlos streichen wird? Immerhin sind diese Gesetze so geschickt formuliert, dass ein Schutz von Altverträgen nicht gegeben ist."
Nachfrage bei den Betroffenen
Die Redaktion fragte nach. Hans Koch ist seit 2010 in Rente und seitdem von den Beitragszahlungen für seine Direktversicherung betroffen. Den Vertrag hatte er bereits 1998 abgeschlossen. Die nachträgliche Änderung der Konditionen "ärgern ihn einfach". Er sieht keine Chance darin, juristisch dagegen vorzugehen. In verschiedenen Blogs zum Thema habe er verfolgt, dass viele Betroffene etwas versucht haben, aber damit keinen Erfolg hatten. Selbst das Bundesverfassungsgericht habe die Klage abgelehnt.
Koch hat sich an die Politik gewandt, doch die Dame aus der Abteilung Direktkommunikation der SPD hat seine Anfrage bewusst oder unbewusst falsch verstanden. Eine befriedigende Antwort auf den Vorschlag das Direktversicherungsdebakel zum Wahlkampfthema zu machen und nach gewonnener Wahl die entsprechenden Paragrafen aus dem Sozialgesetzbuch zu streichen, hat er nie erhalten. Auch Anfragen an die Presse blieben unbeachtet. Mit Einträgen in Blogs wolle er seinen "Frust ablassen", denn er sieht keine große Chance, "dass sich noch etwas ändern wird."
Die Betroffenen verlangen eine Gesetzesänderung
"Es ist traurig, dass es keinen 'Vertrauensschutz' mehr gibt für diese und in Zukunft wohl auch für andere Verträge", schrieb zum Beispiel Kurt Braun. "Nachdem die gesetzlichen Krankenversicherungen inzwischen fast 20 Milliarden Überschuss erwirtschaftet haben, wird es dringend notwendig, dieses irrsinnige Gesetz zu ändern und die Verbeitragung von Direktversicherungen wieder abzuschaffen", meint H. Pusch.
Und Rudolf Spengler kommentierte: "Ich bin ebenfalls Betroffener und habe soeben eine zwei Jahre dauernde Klage beim Sozialgericht hinter mir. (...) Ich habe mich gewehrt und verloren (...)." Und Lars fügt hinzu: "Ich habe mich damals bei der SPD-Fraktion beschwert und eine seitenlange Antwort bekommen, das sei systembedingt gerecht – was ein Hohn ist (...)." Auch Wolfgang macht seinem Unmut auf handwerksblatt.de Luft: "Wer immer Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze gezahlt hat, und das habe ich mein Leben lang, der wird jetzt noch mal bestraft, und das, obwohl die Krankenkassen keinen Verlust haben."
Viele erleben bei der Auszahlung der Rente eine böse Überraschung
Die Wut der Betroffenen ist offensichtlich groß, ebenso die Ratlosigkeit. Keiner wurde nach der Gesetzesänderung von der Krankenkasse oder dem Versicherungsträger darüber informiert. Viele erleben bei der Auszahlung der Rente eine böse Überraschung. Einige Kommentatoren wollten darum auch ganz praktische Fragen klären. Klaus Reinhardt wollte zum Beispiel wissen, wie es mit der Beitragspflicht sei, wenn die Direktversicherung von einer selbst bezahlten Lebensversicherung zu einem späteren Zeitpunkt vom Arbeitgeber übernommen worden sei.
Experte Albert Eberhardt, Geschäftsführer und Bereichsleiter der Unternehmensberatung der Handwerkskammer des Saarlandes dazu: "Die Zeit, in der man selbst eingezahlt hat, wird herausgerechnet. Man müsste die Krankenkasse fragen, wie viel man anteilsmäßig genau zu tragen hat." Ein Herr oder eine Frau Berger fragte, wie die Krankenkassenbeiträge und Pflegesätze bei vorzeitigem Rückkauf berechnet würden. "Am besten stellt man in einem solchen Fall eine Anfrage bei der Direktversicherung, wie hoch die Beiträge bei einer vorzeitigen Auflösung sind", rät Eberhardt.
Betroffene sollten Parteien anschreiben
Die Chancen, vor dem Europäischen Gerichtshof eine andere Entscheidung zu erwirken als vor deutschen Gerichten, könnte durchaus erfolgversprechend sein, so Eberhardt. Dort würden internationale Grundsätze der Ungleichbehandlung, die nicht verfassungskonform seien, verhandelt.
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Direktversicherung: Die Krankenkasse kassiert jetzt doppelt "Wie die Aussicht auf Erfolg ist, müsste ein Fachanwalt für EU-Recht prüfen", so Eberhardt. Er rät Betroffenen dazu, eine Anfrage nach Brüssel oder Straßburg zu schicken, um herauszufinden, welche Kommission für das Thema zuständig ist, und dann einen Europaabgeordneten darauf anzusetzen. Ein weiterer Tipp von dem Wirtschaftsexperten: Die sozialpolitischen Sprecher einer Fraktion anschreiben, mit einer Kopie an den jeweiligen Fraktionsvorsitzenden der Landtagsfraktion und auf das Thema aufmerksam machen. "So kann etwas in die Gänge kommen", meint Eberhardt. "Es ist schließlich Wahljahr."
Rendite schmilzt empfindlich zusammen
Gerhard Kieseheuer fühlt sich betrogen. Und er ist einer von vielen. Der gelernte Fleischermeister hat als Verkaufsberater für eine Gewürzfirma gearbeitet. Als der Arbeitgeber ihm eine betriebliche Altersvorsorge über eine Direktversicherung anbietet, hält er das für eine gute Idee: Das Geld zwackt der Arbeitgeber vom Bruttolohn ab und steckt es direkt in die Versicherung. Die Einzahlungen sind somit steuer- und sozialabgabenfrei. Davon profitieren Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Doch als es an die Auszahlung geht, erlebt Kieseheuer eine böse Überraschung: Er soll auf die ausgezahlte Summe nicht nur Steuern, sondern auch die vollen Kranken- und Pflegeversicherungbeiträge zahlen, sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil. Seine Rendite schmilzt damit empfindlich zusammen.
Schuld daran ist das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenkassen, das zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist. Es hat die Krankenkassenpflicht aus einer betrieblichen Altersversorgung heraus neu geregelt. Seitdem sind Kapitalauszahlungen aus einer betrieblichen Altersversorgung in der Kranken- und Pflegeversicherung voll beitragspflichtig. Das betrifft alle, die freiwillig oder pflichtversichert sind, Privatversicherte nicht. Auch wer den Arbeitgeber gewechselt und den Vertrag unter eigenem Namen weitergeführt hat, wird laut höchstrichterlichem Beschluss nicht zur Kasse gebeten.
"Wir halten das für Betrug", sagt Kieseheuer
Dass Gerhard Kieseheuers Vertrag lange vor dem 1. Januar 2004 abgeschlossen worden war, spielt für den Gesetzgeber keine Rolle. "Es wurde beschlossen, dass alle Verträge gleich gestellt werden, ohne Berücksichtigung, wie lange sie bereits laufen", sagt Kieseheuer. Seit April 2012 engagiert er sich in einem Forum für Betroffene (gmg-geschädigte.de). Damals gab es neun Mitglieder, heute sind es etwas über 50. Er will unbedingt mehr Betroffene mobilisieren, schließlich hätten über sechs Millionen Deutsche eine solche Versicherung abgeschlossen. Die Zahlen hat er aus dem Internet. Das Forum ist ein lockerer Zusammenschluss von Betroffenen, die sich über ihre jeweiligen Aktionen auf dem Laufenden halten.
Ihr Ziel ist es, das Gesetz rückgängig zu machen. "Wir halten das für Betrug", sagt Kieseheuer. Sie schreiben Institutionen an, versuchen Politiker zu treffen und wenden sich an die Presse. Auch an die Bundeskanzlerin oder Außenminister Westerwelle habe man schon offene Briefe geschrieben, bisher ohne Erfolg. Auf dem Rechtsweg glaubt Kieseheuer nicht mehr, etwas erreichen zu können, nachdem sämtliche Klagen von den Sozialgerichten und dem Bundesverfassungsgericht abgeschmettert worden seien.
Der Experte ist immer noch von der Direktversicherung überzeugt
Der ursprüngliche Artikel zum Thema:
Direktversicherung: Die Krankenkasse kassiert jetzt doppelt
"Im Prinzip müsste eine Bundesrats- oder Bundestagsinitiative gestartet werden, um die Politik zu überzeugen, das Gesetz zu ändern", meint auch Albert Eberhardt, Geschäftsführer und Bereichsleiter der Unternehmensberatung der Handwerkskammer des Saarlandes. Auch er hält die Gesetzesänderung für äußerst bedenklich, dennoch ist Eberhardt von dieser Form der betrieblichen Altersvorsorge überzeugt und rät nach wie vor: "Der Arbeitnehmer bekommt weiterhin 200 Euro brutto für netto, wenn das Geld vom Bruttolohn eingezahlt wird. Der Arbeitgeber zahlt verringerte Beiträge für Steuer und Versicherung."
Angesichts des Crashs im Finanzdienstleistungsbereich und der negativen Zinsentwicklung im Lebensversicherungsbereich kommt er zu dem Schluss: "Mit der Altersversorgung spekuliert man nicht. Die Altersvorsorge soll sicher sein, und das ist sie." Zudem könne ein Chef oft zu viel günstigeren Tarifen eine Versicherung für den Mitarbeiter abschließen, als dieser das privat könne.
Gehaltsverzicht für die Altersvorsorge
Seit 2002 haben Arbeitnehmer das Recht, für die Altersvorsorge auf einen Teil ihres Gehalts zu verzichten. In dem Fall muss jeder noch so kleine Betrieb eine Versicherung anbieten. Es gibt drei Möglichkeiten der Finanzierung: Entweder der Arbeitgeber "spendiert" dem Mitarbeiter die Versicherung zusätzlich zum Gehalt oder der Arbeitnehmer verzichtet auf einen Teil des Bruttolohns, der dann angespart wird, oder der Mitarbeiter spart einen Teil seines Lohns an und der Arbeitgeber schießt noch einen Obolus dazu. Ein kostengünstiger Kollektivtarif und ein entsprechender Zuschuss vom Arbeitgeber können somit für den Arbeitnehmer die späteren Nachteile durchaus aufwiegen.
Sozialabgaben
Wer eine betriebliche Rente erhält und beitragspflichtig oder freiwillig in der Krankenversicherung der Rentner versichert ist, muss den vollen Beitragssatz für Kranken- und Pflegversicherung zahlen. Für die Krankenversicherung sind das derzeit 15,5 Prozent, für die Pflegeversicherung bis zu 2,05 Prozent, insgesamt also 17,55 Prozent. Kinderlose zahlen sogar 17,7 Prozent. Die Sozialabgabenpflicht besteht für alle Formen der betrieblichen Altersvorsorge ob Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds, Direktzusagen oder Unterstützungskasse. Es spielt auch keine Rolle, ob die Beiträge vom Arbeitgeber oder durch Entgeltumwandlung geleistet wurden. Erfolgt die Auszahlung nicht in Form einer monatlichen Rente, sondern als Kapitalabfindung, wird die Summe auf zehn Jahre verteilt und ein monatlicher fiktiver Beitrag festgelegt. Ausgenommen sind Renten, die die Freigrenze unterschreiten, also unter 134,75 Euro liegen. Auch Privatversicherte brauchen keine Sozialabgaben zu bezahlen, weil sich ihre Beiträge grundsätzlich nicht am Einkommen orientieren.
Beispielrechnung für das Jahr 2013
Bei einer Kapitalabfindung von 60.000 Euro wird für zehn Jahre ein fiktives monatliches Einkommen von 500 Euro der Beitragsbemessung zugrunde gelegt (1/120 der Auszahlung). Bei einem Beitragssatz von 14,6 Prozent sind zehn Jahre lang monatlich 73,00 Euro für die Krankenversicherung fällig, sofern die Beitragsbemessungsgrenze (47.250 Euro für 2013) nicht überschritten ist. Hinzu kommen noch 10,25 Euro Pflegeversicherungsbeitrag (2,05 Prozent Beitragssatz von monatlich 500 Euro) und 4,50 Euro Zusatzbeitrag (0,9 Prozent zusätzlicher Beitrag für Zahnersatz und Krankengeld); macht also insgesamt 87,75 Euro pro Monat. Bei zehn Jahren Laufzeit sind das 10.530 Euro an Beitragszahlungen.
Keine Beiträge fallen an, wenn der umgelegte Anteil 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach Paragraf 18 Abs. 1 SGB IV nicht übersteigt – 2013 sind das 134,75 Euro. Dies bedeutet für 2013, dass Kapitalleistungen bis 16.170 Euro beitragsfrei bleiben, wenn der Versicherte keine weiteren Versorgungsbezüge erhält.
Text:
Melanie Dorda /
handwerksblatt.de
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