Arbeitsunfall: Wann der Chef haftet
Arbeitsunfälle gehören an sich schon zu den Dingen, die ein Arbeitgeber am allerwenigsten in seinem Betrieb haben möchte. Wann und wie haftet eigentlich ein Arbeitgeber?
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Arbeitsunfälle und die Folgen
Die gesetzlichen Regelungen sind eindeutig: Im Falle eines Personenschadens übernimmt – so sagt es das Sozialgesetzbuch – grundsätzlich die gesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft) den entstandenen Schaden des Arbeitnehmers und stellt den Arbeitgeber von einer Haftung frei. Grund ist, dass der Arbeitgeber, der durch seine Beiträge die Unfallversicherung überhaupt erst finanziert, von einer Haftung im Falle eines Personenschadens vollständig entlastet werden muss und soll. Der Ausschluss gilt auch für den Anspruch auf Schmerzensgeld.
Für Sach- und Vermögensschäden der Geschädigten ist die Haftung des Arbeitgebers übrigens nicht ausgeschlossen. Da die gesetzliche Unfallversicherung in solchen Fällen nicht ersatzpflichtig ist, bleibt es bei der Haftung des Arbeitgebers.
Und jetzt der Haken: Laut Sozialgesetzbuch greift die gesetzliche Unfallversicherung im Falle eines Personenschadens dann nicht ein, wenn der Arbeitgeber den Unfall des Arbeitnehmers vorsätzlich herbeigeführt hat. Nur dann muss der Arbeitgeber den Schaden – plus Schmerzensgeld – erstatten, und zwar aus der eigenen Tasche. Handelt der Chef hingegen nur fahrlässig, bleibt er freigestellt.
Maschine ohne TÜV
Dass die Frage, wann ein Vorsatz des Arbeitgebers vorliegt, schwierig zu beantworten ist, dokumentiert ein Fall, den das Landesarbeitsgericht (LAG) in Rheinland-Pfalz kürzlich zu entscheiden hatte: Ein Produktionsmitarbeiter erlitt bei seiner Arbeit an einer Punktschweißanlage schwere Verletzungen an beiden Händen, nachdem sich ein Blech verkantet hatte.
Der Mann forderte anschließend vom Arbeitgeber Schadensersatz und Schmerzensgeld. Er argumentierte – der Wahrheit entsprechend –, die Produktionsanlage sei nicht entsprechend den Herstellerangaben aufgestellt worden. Sicherheitsvorkehrungen seien nicht eingebaut worden. Auch eine TÜV-Abnahme der Produktionsanlage sei nicht erfolgt. Darüber hinaus habe ihm sein Kollege auf seinen Telefonanruf hin keine Hilfestellung geleistet. Angesichts dieses Fehlverhaltens habe der Arbeitgeber den Unfall billigend in Kauf genommen und folglich vorsätzlich gehandelt mit der Konsequenz, dass er auch persönlich einzustehen habe für den Unfall.
Das Gericht sah dies anders und erklärte: "Der Arbeitgeber hat im vorliegenden Fall nicht vorsätzlich gehandelt. Er hat den Mitarbeiter in die Maschinenbedienung eingearbeitet und erklärt, wie er sich bei einer Störung zu verhalten habe. Dass er möglicherweise die Unfallverhütungsvorschriften missachtet hat, war zwar eine bewusste Fahrlässigkeit, aber kein Vorsatz. Das gilt auch, wenn eine schriftliche Anleitung zur Handhabung von Maschinenstörungen gefehlt und unter Umständen der Kollege seine Hilfe verweigert hat."
Und dann wurde es sogar grundsätzlich: "Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entfällt die Haftungsbeschränkung nur dann wegen Vorsatzes, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsunfall gewollt oder für den Fall seines Eintritts gebilligt hat. Hierfür genügt es aber nicht, dass ein bestimmtes Handeln, das für den Unfall ursächlich war, vom Arbeitgeber gewollt und gebilligt wurde. Der Vorsatz des Arbeitgebers muss nämlich nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den konkreten Verletzungserfolg umfassen." (LAG Rheinland-Pfalz, Az.: 5 Sa 72/14)
Fazit
Arbeitgeber stehen nur dann persönlich für die Personenschäden ihrer Mitarbeiter ein, wenn sie sogar die konkret eingetretene Verletzung im Vorfeld erkannt und gebilligt haben. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn – wie im Jahre 2011 vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden – der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zu Sanierungsarbeiten an einem Haus herangezogen wird, obwohl dem Chef bekannt war, dass bei der Tätigkeit asbesthaltiger Staub freigesetzt wird (BAG, Az.: 8 AZR 769/09). Hier lag nach Meinung des Bundesarbeitsgerichts tatsächlich ein Vorsatz des Arbeitgebers im Hinblick auf die Verletzung des Arbeitnehmers vor. Das Missachten von Unfallverhütungsvorschriften oder der fehlerhafte Aufbau einer Produktionsanlage reichen allerdings – wie im obigen Fall gesehen – erst einmal nicht. Dies mag zwar bewusst fahrlässig im Rechtssinne sein, genügt aber nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz nicht für eine persönliche Haftung des Arbeitgebers.
Winfried Schwabe
Der Autor ist Rechtsanwalt in Köln
Fotos: © privat
Text:
Winfried Schwabe /
handwerksblatt.de
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