Berlin Intern: Mehr Wertschätzung für das Handwerk
Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), beschäftigt sich in seiner Kolumne "Berlin Intern" mit den Wechselwirkungen von Handwerk, Politik und Gesellschaft. Sein Standpunkt: Dem Handwerk gebührt mehr Wertschätzung!
Eine schwächelnde Konjunktur, besorgniserregende Wahlergebnisse, heftige Debatten um Klimaschutz, soziale Sicherungssysteme und die künftige Rentenpolitik: Deutschland treibt derzeit ein Mix an Themen um, die allesamt große Herausforderungen beinhalten: wirtschaftlich, politisch wie gesellschaftlich. Gemeinsam ist all diesen Themen, dass sie für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes entscheidend sind und teils schon länger darauf warten, endlich angegangen zu werden.
Fehlende analoge wie digitale Infrastrukturen
Mittelständische Betriebe klagen über zu hohe bürokratische Belastungen wie auch eine zu große Steuer- und Sozialabgabenlast. In ländlichen Regionen fehlen analoge wie digitale Infrastrukturen, die dringend nötig sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Bei der Digitalisierung müssen wir in Deutschland dringend aufholen. Das sind nur einige der Bereiche, in denen Lösungen hermüssen, damit es auch künftig gelingen kann, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und den Wohlstand zu erhalten.
Handwerk als wirtschaftliche und gesellschaftliche Konstante
Das Handwerk leistet auf all diesen Feldern einen stabilisierenden Beitrag. Denn wer wird all die Häuser und Fahrradwege bauen, die Deutschland braucht? Wer wird Gebäude energetisch sanieren und Glasfaserkabel verlegen? Wer wird die benötigten Fachkräfte ausbilden und Geflüchtete in Arbeitsmarkt und Gesellschaft integrieren? Die Antwort ist klar: Wir, das Handwerk. Wir sind die wirtschaftliche und gesellschaftliche Konstante.Wir installieren, bessern aus, reparieren, erhalten kulturelles Erbe, bauen auf und aus. Mit immer effizienteren Prozessen, neuesten Technologien oder auch neuen Geschäftsmodellen im Zuge der Digitalisierung. Wir machen das mit Selbstbewusstsein und Stolz auf das, was wir können. Das Motto der Internationalen Handwerksmesse 2020 lautet nicht umsonst: Wir wissen, was wir tun.
Größter Ausbilder in der Wirtschaft
Mit diesem Selbstverständnis sorgen wir als größter Ausbilder in der Wirtschaft auch für die Fachkräfte der Zukunft. Wir integrieren junge Menschen mit beruflichen Startschwierigkeiten oder mit Flüchtlingshistorie. Handwerksbetriebe tragen in vielerlei Hinsicht zur Stabilisierung ländlicher Regionen bei. Ganz zu schweigen von dem herausragenden ehrenamtlichen Engagement, das viele Frauen und Männer im Handwerk neben ihrem herausfordernden Beruf in ihrer Freizeit leisten.
Ich finde: All diese Leistungen verdienen Anerkennung und Wertschätzung, und zwar noch stärker als bisher. Mehr Wertschätzung für das Handwerk und für die Leistungen unserer Betriebe ist für mich ein ganz wichtiger Schlüssel zur Lösung künftiger Probleme.
Azubis und Ausbildungsbetriebe entlasten
Handwerksarbeit muss wieder die Anerkennung finden, die ihr gebührt. Das sehe ich als eine wesentliche Voraussetzung, damit Berufe im Handwerk für junge Menschen wieder an Attraktivität gewinnen. Wertschätzung muss sich auch darin ausdrücken, akademische und berufliche Bildung finanziell endlich gleichwertig zu fördern. Vor dem Hintergrund der hohen Ausbildungsleistung unserer Betriebe bedeutet das: Für Azubis muss bei der Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung dasselbe wie für Studenten gelten. Wenn Studenten bis zum 25. Lebensjahr auf dem Ticket ihrer Eltern kranken- und pflegeversichert sein dürfen, ist kaum nachzuvollziehen, warum das bei Azubis nicht geht. Unsere Azubis und Ausbildungsbetriebe an dieser Stelle zu entlasten, wäre ein starkes Zeichen der Wertschätzung des Handwerks und seiner Leistungen. Und es wäre im ureigensten Interesse der Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft.
Foto: © Hans Peter Wollseifer Text:
Hans Peter Wollseifer /
handwerksblatt.de
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