Die drittgrößte polnische Stadt verwandelt sich am 27. und 28. September in ein Meer aus Licht und Farben. Dann taucht das 14. Light.Move.Festival die Straßen in magische Lichtinstallationen.
Stolz erhebt sich der wie eine Burg anmutende rote Backstein-Gigant an der Ulica Ogrodowa gen Himmel, über der gusseisernen Pforte prangt in großen Lettern "manufaktura". Nichts deutet darauf hin, dass hier mit dem Aufschwung der Textilindustrie seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts Tausende von Arbeitern wie Sklaven schufteten, während die Fabrikanten Geld scheffelten und riesige Paläste bauten. Von über 3000 Handwerkern aufwändig restauriert, beherbergt der Komplex heute eines der größten Einkaufszentren des Landes und das Viersterne-Hotel "Vienna House Andel's Łódź".
Errichtet wurde die gigantische Baumwollfabrik von dem polnisch-jüdischen Textilbaron Izrael Kalmanowicz Poznański (1833-1900). 20 Jahre wurde an seinem benachbarten Palast nach dem Vorbild des Pariser Louvre gebaut – heute Sitz des Museums der Geschichte der Stadt Łódź. Als die drei beauftragten Architekten Poznański fragten, in welchem Stil sie planen sollten, brüllte der nur: "Ich kann mir alle Stile leisten".
Anfänglich auf maximalen Gewinn und Expansion ausgerichtet, entdeckte der Fabrikant später sogar seine soziale Ader: Er baute Schulen, Arbeitersiedlungen, Waisen- und Krankenhäuser, so etwa das Jüdische Krankenhaus, heute Universitätskrankenhaus. "Łódźermenschen" nannte man Unternehmer wie Poznański, die mit ausgefallenen Ideen, Mut zur Gründung, dem notwendigen Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen ihr eigenes Universum schufen. Denn im 19. Jahrhundert galt Łódź, das sich vom bedeutungslosen Flecken zur Industriemetropole entwickelte, als "Das gelobte Land".
So lautet auch der Titel des 1897 erschienenen Romans von Literaturnobelpreisträger Władysław Reymont, der die literarische Figur des jüdischen Protagonisten an Poznański anlehnte. Angesiedelt im Łódź des ausgehenden 19. Jahrhunderts, zeigt Reymont die Stadt als Schmelztiegel für Polen, Deutsche, Russen und Juden. Alle suchen von dem aufkommenden Industriekapitalismus zu profitieren – auch auf Kosten der Arbeiter.
1974 wurde "Das gelobte Land" von Polens im Oktober 2016 verstorbener Regie-Ikone Andrzej Wajda, verfilmt. Der hatte von 1949 bis 1953 an der Staatlichen Hochschule für Film, Fernsehen und Theater Łódź, eine der bedeutendsten der Welt, studiert.
Poznański war nur einer der vielen Fabrikanten, die Łódź (deutsch: Boot), polnisch "Wuuhdsch" ausgesprochen, im 19. Jahrhundert zum "Manchester des Ostens" machten. Zuvor hatten bereits der aus Berlin stammende Ludwik Geyer (1805-1869) und der im Eifel-Städtchen Monschau geborene Karl Wilhelm Scheibler (1820-1881) dem rasant wachsenden Łódź ihren Stempel aufgedrückt.
Schon sie bauten hochherrschaftliche Wohnhäuser und gewaltige Fabrikkomplexe, in denen Baumwollstoffe für Russland und Mitteleuropa unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen und fantastischen Gewinnaussichten produziert wurden.
Da Łódź im Gegensatz zum 130 Kilometer entfernten Warschau im Zweiten Weltkrieg nur gering beschädigt wurde, sind viele der palastartigen Stadthäuser auf der über vier Kilometer langen Prachtstraße Ulica Piotrkowska erhalten.
Schnurgerade zwischen Plac Wolności (Platz der Freiheit) mit dem Denkmal des Nationalhelden Tadeusz Kościuszko und Plac Niepodległości (Platz der Unabhängigkeit) gelegen, restaurierten Handwerker in den vergangenen Jahrzehnten die historischen Gemäuer, richteten Jugendstil-, Neo-Gotik- und Neo-Romantik-Fassaden auf einer der längsten Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen Europas her.
Rund um die Ulica Piotrkowska locken hunderte Läden, Restaurants, Cafés und Clubs die Besucher. In den verwinkelten wie beschaulichen Innenhöfen trifft sich das junge, dynamische und feierfreudige Łódź, das Essen ist deftig, das Bier schmackhaft. Beim Bummel fällt Besuchern nicht nur der ausgefallene Architektur-Mix auf, sondern auch ein Metall-Pianist, der an einem Metall-Flügel sitzt: Artur Rubinstein (1887-1982), legendärer Klavier-Virtuose und bekanntester Sohn der Stadt.
Ihm sind im Stadt-Museum mehrere Räume gewidmet, zahlreiche seiner Goldenen Schallplatten, diverse Auf- und Auszeichnungen sind zu sehen – darunter ein Oscar sowie ein Emmy-Award für den Rubinstein-Dokumentarfilm "L’amour de la vie".
Bronzen hingegen sind die Sterne auf der Ulica Piotrkowska, die wie in Hollywood im Boden eingelassen sind. Gewidmet sind sie Filmgrößen, die an der Staatlichen Hochschule für Film, Fernsehen und Theater studiert haben, neben Wajda etwa Roman Polanski, Krzysztof Zanussi oder Krzysztof Kieślowski.
Die Hochschule liegt auf dem Gelände des 1827 von dem Chemnitzer Christian Friedrich Wendisch gegründeten, ehemaligen Industriegebietes Księży Młyn (deutsch: Pfaffendorf). 1870 erwarb es Karl Wilhelm Scheibler, in dem von ihm gebauten Privat-Palast hat das Museum für Kinematographie seine Heimat gefunden.
Ein besonderer Höhepunkt erwartet Łódź-Besucher am 27. und 28. September 2024. Dann heißt es wieder Vorhang auf für das 14. "Light.Move.Festival" auf der Ulica Piotrkowska. Das diesjährige Motto der spektakulären Großveranstaltung lautet "Zivilisation". Inspiriert von Paul Gauguins berühmtem Gemälde "Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?", stellen die Veranstalter die Frage nach dem Einfluss des Menschen auf die Gestaltung der modernen Welt.
Besucher können beeindruckende Lichtinstallationen von polnischen und internationalen Künstlern erleben. Als Leinwand dienen die historischen Straßen und Gebäude der einstigen Textilmetropole. Bewegte Bilder verwandeln die Fassaden in monumentale Kunstwerke, während städtische Plätze und Parks durch Lichtinstallationen für zwei Tage ein völlig neues Erscheinungsbild erhalten. Zudem gibt es drei musikalische Erlebnispunkte mit unterschiedlichen Stilrichtungen.
"Light Move Festival"-Impressionen
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Die Holocaust Gedenkstätte Radegast erinnert seit 2005 an die Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten, die von 1939 bis 1944 das jüdische Ghetto Litzmannstadt in Łódź errichteten. Von den ursprünglich 250.000 Łódźer Juden überlebten nur rund 900 den Holocaust. Vom Bahnhof Radegast wurden zwischen dem 16. Januar 1942 und dem 29. August 1944 mehr als 150.000 Juden in die Vernichtungslager Kulmhof, Auschwitz II, Majdanek, Treblinka und Sobibor abtransportiert. Erhalten sind das hölzerne Bahnhofsgebäude, das ein Museum beherbergt, ein Zug der Reichsbahn, sowie ein Tunnel mit den Namen der Deportierten, der zu einem Denkmal führt, das dem Schornstein eines Krematoriums gleicht.
Der größte jüdische Friedhof Europas wurde auf einer von Izrael Poznański gestifteten Fläche von rund 40 Hektar mit etwa 180.000 Grabstätten und 65.000 Grabmälern angelegt. Der Stifter selbst fand seine letzte Ruhe in einem eigens für ihn errichteten, palastartigen Mausoleum. Einen Besuch wert sind auch der evangelische und katholische Friedhof an der Ulica Srebrzyńska und Ulica Karskiego. Auf dem evangelischen Friedhof überragt das Mausoleum von Karl Wilhelm Scheibler in Form einer neogotischen Kirche alle anderen Grabmäler.
manufaktura
"manufaktura" bietet eine große Auswahl von Boutiquen, Outlet-Stores und Restaurants. Zu dem Komplex gehört weiterhin das Kunstmuseum ms2 mit einer der größten polnischen Sammlungen von Kunstwerken aus dem 20. Jahrhundert, darunter Arbeiten der Klassischen Moderne mit Werken von Pablo Picasso und Joseph Beuys. Sehenswert ist das Fabrikmuseum, das einen Einblick in die Arbeitswelt der Textilindustrie im 19. Jahrhundert gibt.
In der ehemaligen Baumwollfabrik an der Ulica Piotrkowska 138/140 ist ein alternatives Zentrum für Kreative aus Kunst, Design und Architektur mit Concept Store, Musikclubs, Cafés und Boutiquen entstanden und ist besonders bei jungen Leuten angesagt.
Das Zentrale Textilmuseum in der sogenannten "Weißen Fabrik", die einst Ludwik Geyer baute, bietet einen umfassenden Überblick über die Textilproduktion im 19. Jahrhundert. Auf über 5.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche in der Ulica Piotrkowska 282 sind Wandteppiche, Industrietextilien, Mode und Technik zu bewundern. Besonders beliebt ist die Präsentation der arbeitenden Webmaschinen. Das Museum war zu Beginn Mitveranstalter der Internationalen Textil-Triennale und ist seit 1982 alleiniger Veranstalter dieses größten Schauwettbewerbs zeitgenössischer Textilkunst, der alle drei Jahre stattfindet und zuletzt 2022 in der "Weißen Fabrik" zu Gast war.
Anreise Entweder mit dem Zug oder dem Flugzeug nach Warschau, von dort mit dem Zug zum Łódźer Bahnhof Fabryczna. Mit dem Auto erreichen Sie Łódź über die polnische Autobahn A 2 (E 30), die Verlängerung der deutschen A 12.
Schlafen Vienna House Andel's Łódź Ulica Ogrodowa 17, Telefon.: 0048-422791000, E-Mail: info.andels-lodz@viennahouse.com, Doppelzimmer mit Frühstück ab 93 €, Wochenend-Tarif ab 84 Euro. Günstiger ist das Themen-Hotel "Stare Kino" (deutsch: Altes Kino) in der Piotrkowska 120, Telefon: 0048-422072727, E-Mail: booking@cinemahotel.pl. Das ganze Haus und alle Zimmer sind mit Motiven aus Hollywood-Klassikern wie "Manche mögen's heiß", "Der große Gatsby" oder "Singin’ in the Rain" ausgestattet. Doppelzimmer mit Frühstück ab 45 €.
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