Im Tal der Loire – Entdeckungsreisen in Anjou
Im Tal der Loire und ihrer Nebenflüsse finden sich außergewöhnliche Attraktionen: ein Meisterstück mittelalterlicher Webkunst, Werke von David d’Angers und ein Denkmal früherer Festungsarchitektur.
Nur wenige Kilometer von der naturschönen Loire liegt die frühere Grenzstadt Angers. Sie birgt eine Attraktion der besonderen Art: den berühmtesten Wandteppich des Mittelalters, der die Apokalypse in Bildern widergibt. Flandrische Weber haben dieses Werk seinerzeit für den französischen Adel hergestellt.
Kleine, aber feine Perle an der Maine
"Stupidly and vulgarly modernised" sei diese Stadt, allenfalls fünfzehn Minuten benötige der Besucher, und schon könne er die Stadt völlig unbeeindruckt hinter sich lassen. Wenig charmant urteilte um 1880 der amerikanisch-britische Schriftsteller Henry James über die Architektur im stolzen Angers. Immerhin die Hauptstadt des Anjou, die so lange den Bretonen als Grenzstadt getrotzt hatte. Wir wissen nicht, was den berühmten Schriftsteller so abgestoßen hat – heute ist Angers eine kleine, aber feine Perle an der Maine.
Wuchtig thront das Schloss mit seinen 17 Türmen und der einen Kilometer langen Burgmauer über der schwarzen Stadt, wie sie wegen ihrer Mauern und Dächer aus dem örtlichen Schiefer oft genannt wurde. Die Festung war auch deswegen so groß, weil sich im Mittelalter die Aufstellung des königlichen Heeres über Wochen und Monate zog. Platz war vonnöten, um die bereits angereisten Truppenteile unterzubringen. Angers war strategisch bedeutend und damit militärisch dominiert.
Ein Ort der Ruhe
Angers war auch im Zweiten Weltkrieg von Soldaten bevölkert, eher besetzt. Die Jahreszahl "1942" ist auf den Steinmauern eingeritzt, und viele Namen von Wachhabenden. Die Deutschen hatten sich breitgemacht. Heute ist die Festung ein Ort der Ruhe. Keine königlichen Heere sammeln sich mehr in einer der imposantesten Festungsanlagen Europas. Rosen, Weinreben und Gemüsesorten wachsen um die Wette. Die ruhig dahinplätschernde Maine lässt die Seele baumeln. Um die Seelen des Mittelalters geht es viele Stufen im Inneren des Militärkolosses.
Cineastisches Erlebnis
In diesen Tagen pilgern Tausende zu dem berühmtesten Wandteppich Europas in einer eigens dafür errichteten Galerie. Ein Großteil des 147 Meter langen und über fünf Meter hohen Kunststücks flämischer Weber ist erhalten geblieben. An dem Wandteppich der Apokalypse arbeiteten Hunderte Handwerker. In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte der Teppich noch bei Tageslicht bewundert werden. Heute ist er in einem fast dunklen Raum ausgestellt, ein wenig zweckentfremdet. Denn in früheren Jahrhunderten zeigten die Herrscher von Anjou den Teppich mit seinen Himmel- und Höllenbildern zu ganz besonderen Anlässen unter freiem Himmel.
Cineastische Impressionen überkommen Stadtführer Jürgen Bartelheimer. "Der Teppich muss im Wind leicht geweht haben, die Bilder der Apokalypse gerieten in Bewegung." Ihn fasziniert dieses Kunstwerk immer wieder aufs Neue, weil er wieder und wieder neue Feinheiten der Bildgeschichte entdeckt. Aus den USA und dem asiatischen Raum kommen die Touristen, um das Wunderwerk handwerklicher Kunst zu bestaunen.
Aufwendige Glasdachkonstruktion
Ein besonderer Handwerker und Künstler seines Fachs, genauer, die Prachtstücke seiner handwerklichen Vorarbeit, sind in der eindrucksvoll umgebauten Abtei Toussaint aus dem 13. Jahrhundert zu erleben. Unter einer großen Glasdachkonstruktion stehen die Musterformen des Bildhauers David d’Angers.
Gutenberg prangt auf einem Sockel, das Original in Bronze ist in Straßburg zu bewundern, dort, wo die Zünfte nicht genau wussten, in welche sie den Erfinder der Buchdruckerkunst aufnehmen sollten.
David jedenfalls lernte noch kurz vor der Französischen Revolution das Zeichnen bei seinem Vater, dem Holzschnitzer. Davids Skulpturen belegen, dass hier ein Handwerker arbeitete, der den charakterlichen Ausdruck beherrschte. Seine vorwiegend männlichen Vorbilder zeigen, wie er den Menschen sah. Ein faszinierender Bau, eine faszinierende Ausstellung!
Fotos: © http://www.angersloiretourisme.com, © Rüdiger Gottschalk
Weitere Infos zu den Museen von Angers, zum Chateau Angers und zur Region Angers/Loire.
Kloster mit Löwenherz
Das Centre Culturel de l’Ouest ist im Kloster Fontevraud untergebracht. Das Kloster wurde von Bauhandwerkern rundum saniert und renoviert. Höchsten Ansprüchen genügt das fein durchgestylte 4-Sterne-Hotel im Kloster. Das Anwesen genießt besondere Förderung durch die Regionalregierung. Fontevraud war im Mittelalter Aufenthaltsort für tausende Gläubige, Kranke und sogenannte gefallene Mädchen. Diese lebten nicht weit von blaublütigen Nonnen. In Fontevraud liegen Heinrich und sein Sohn Richard Löwenherz begraben.
Erlebnis-Hotels
Bescheidener und urtümlicher kommt das Hotel Rocaminori daher. Es ist in den typischen Höhlen untergebracht. Die sogenannten Troglodytes (Stollen) bilden das größte Höhlengebiet Europas, in denen meistens Wein gelagert wird oder Champignons gezüchtet werden. Im benachbarten Restaurant kann man essen wie die Bauern in der Renaissance. Die Fouaces, ein Teig, der im Holzkohleofen gebacken wird, werden mit verschiedenen Füllungen angeboten. Unmittelbar am Ufer der Loire gibt es ein liebevoll und geschmackvoll eingerichtetes Hotel, das Hotel Les 3 Lieux. Früher wurde hier Angelzubehör produziert, heute kocht hier Cédric Barré Speisen vom Feinsten. Von der Terrasse oder auch aus dem Restaurant heraus kann man die ruhig dahinplätschernde Loire betrachten.
Imposante Festung
Eines der eindrucksvollsten Schlösser steht sicherlich in Saumur, die militärhistorisch wichtigste Festung in Angers – und, da wir schon einmal in Superlativen schwelgen: das höchste Schloss der Loire ist das von Brissac. Hier kann der glückliche Besucher auch schon einmal vom beinah ewig lächelnden Grafen von Brissac durch die Gemächer geführt werden. Eine wohlhabende Japanerin kommt jedes Jahr, um das gräfliche Leben in einem speziellen Zimmer zu erleben. Und das Schloss Serrant kann mit einer Bibliothek von 12.000 Büchern aufwarten.
Savennières aus Epiré
Ein feiner Tipp sind die Weine von Chateau d’Epiré. Dieses Schloss mit dem dazugehörigem Weingut ist zweifellos eines der ältesten und berühmtesten, die zur Appellation Savennières zählen. Die 11 Hektar Weinberge sind mit Chenin-Trauben bepflanzt, 9 Hektar davon sind extra für die Herstellung des Savennières-Weins reserviert. Die harte Arbeit und das Fachwissen kann man bei einem Gang über das Weinanbaugebiet näher kennenlernen. Das ist erforderlich, um den berühmten AOC Anjou-Rotwein und den bekannten AOC Savennières-Wein zu erzeugen.
Text:
Dr. Rüdiger Gottschalk /
handwerksblatt.de
Kommentar schreiben