"Alles bleibt beim kleinen Handwerker hängen"
Die Nienkempers sind am Anschlag. Alle wollen etwas von ihnen, aber keiner kann oder will mehr etwas entscheiden. Also müssen sie schreiben, schreiben, schreiben. Die Bürokratie nimmt kein Ende.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Bürokratiewahnsinn im Handwerk
Es ist fast wie abgesprochen: Kurz vor dem vereinbarten Gespräch über die drückenden Bürokratielasten ruft ein Bauleiter bei Heinz Nienkemper an. Es gibt Unklarheiten. Der Betriebsinhaber der Nienkemper Metallbau GmbH redet und redet. Zu einem Ergebnis kommt er nicht. "Es gibt immer mehr Gesetze, Verordnungen und Normen, aber immer weniger Menschen, die noch den Durchblick haben", stellt der Schlossermeister fest.
Das führt zu gravierenden Problemen. Eines davon: Kaum jemand kann oder will noch etwas entscheiden. Das fängt bei den Bauplänen an. "Ich habe einer Architektin 260 E-Mails geschickt, weil sie gar nicht wusste, was sie da ausgeschrieben hatte. Die Klärung hat über ein Jahr gedauert – und das für einen Auftragswert von 40.000 Euro", schimpft Wirtschaftsingenieur Daniel Nienkemper, der im väterlichen Betrieb arbeitet. Ein weiteres Problem: Nur der Preis, nicht die Qualität entscheidet. Verzögert sich dann der Ablauf wegen schlampig ausgeführter Vorarbeiten, sind die Nienkempers gefragt. "Andere halten ihre Termine nicht ein, aber wir müssen schriftlich Behinderung anmelden, weil uns sonst eine Vertragsstrafe droht", wettert Heinz Nienkemper. "Wir schreiben, schreiben, schreiben." Zwei Drittel der Aufträge würden nicht mehr nach dem vereinbarten Terminplan abgewickelt. Damit der 18-Mann-Betrieb kontinuierlich ausgelastet ist, müsste man eigentlich mehr Aufträge annehmen, als zu bewältigen sind.
Der Metallbaubetrieb aus Ennigerloh fertigt und montiert überwiegend Aluminiumfassaden, -fenster und -türelemente. Die Elemente sind schwer und sperrig. Oft werden sie in großer Höhe eingebaut. Deshalb gehört zum Fuhrpark ein 26-Tonner mit 18-Meter-Ladekran. "Das ist für uns mehr ein Werkzeug als ein Fahrzeug", betont Daniel Nienkemper. Trotzdem fällt der Betrieb unter die Tachographenpflicht. "Jeder Monteur, der den Lkw bewegt, muss für die vergangenen 28 Tage lückenlos im Fahrtenschreiber die Lenk-, Arbeits-, Bereitschafts- und Ruhezeiten dokumentieren." Zudem sind für die Fahrer regelmäßig Schulungen vorgeschrieben. All dies führt zu einem hohen organisatorischen, finanziellen und bürokratischen Aufwand. Doch wer ihn scheut, dem drohen saftige Bußgelder. "Unser Lkw steht mehr als dass er fährt. Vom Gesetzgeber werden wir aber behandelt wie ein Spediteur", ärgert sich Daniel Nienkemper. "Die Tachographenpflicht ist ein absolutes Bürokratiemonster!"
Und: Deutschland prüft sich zu Tode. Die Werkpläne und Statiken der Fassaden- und Fensterkonstruktionen müssen bauherrenseitig vor Fertigungsbeginn freigegeben werden. Bis das Einverständnis vorliegt, verstreicht im Extremfall bis zu einem halben Jahr. Hinzu kommt, dass selbst für Einfamilienhäuser bei ein- oder zweiflügeligen Elementen je Ausführungstyp Standsicherheitsnachweise und Glasstatiken gefordert werden. Die wenigen Statikbüros sind teilweise völlig überlastet. "Dafür zahlen wir inzwischen doppelt so viel wie vor fünf Jahren", merkt Heinz Nienkemper an.
Ganz zu schweigen vom "Doku- und Zertifizierungswahn". Der Betrieb ist präqualifiziert und als Schweißfachbetrieb nach DIN EN 1090 geprüft. Für die Projekte werden individuell Dokumentationen mit Bedienungs-, Wartungsanleitungen, System-, Glas-Prüfbescheinigungen, Inbetriebnahmebescheinigungen, Statiken, Zeichnungen, CE- und Herstellererklärungen erstellt, die dann meist dreifach beim Bauherren in Schränken "verschwinden", jedoch im Bedarfsfall "nicht auffindbar sind".
Auch die Berufsgenossenschaften und die staatlichen Arbeitsschutzbehörden wollen es ganz genau wissen. "Beide prüfen denselben Sachverhalt – beispielsweise ob wir die Handlungsanleitung zur Benutzung einer Leiter richtig aufgehängt haben. Das beschäftigt uns jeweils einen ganzen Tag." Gleich drei Stellen kontrollieren die Schlussrechnung bei öffentlichen Aufträgen. "Selbst wenn der Architekt und der Bauleiter nichts zu beanstanden hatten – das Rechnungsprüfungsamt hat mit Sicherheit noch Fragen", weiß Daniel Nienkemper aus leidvoller Erfahrung. Selten sei das Geld dann innerhalb des vereinbarten Zeitrahmens auf dem Firmenkonto. Statt 30 werden es eher 60 Tage. Andererseits wollen die Lieferanten pünktlich bezahlt werden. "Begleichen wir unsere Verbindlichkeiten nicht innerhalb von vier Wochen, bekommen wir von ihnen kein neues Material mehr."
Die Firma setzt genauso viel um wie vor zehn Jahren. "Aber damals reichten jeweils zwei Mitarbeiter im kaufmännischen und technischen Bereich aus. Heute sind es wegen der ständig steigenden Bürokratielasten doppelt so viele", erklärt Heinz Nienkemper. Im Schnitt verdiene man zwei bis zweieinhalb Prozent – "vor Steuern und nur, wenn alles gut läuft". Große finanzielle Sprünge sind damit ausgeschlossen. Daniel Nienkemper versteht die Welt nicht mehr. Handwerksbetriebe wie der seines Vaters leisten einen wichtigen Beitrag zur Wertschöpfung, "Geld verdienen heutzutage jedoch eher Sportler, Aktienhändler oder junge Mädels, die Schminktipps auf YouTube geben. Warum unternimmt die Politik nichts dagegen?"
Mit seiner selbst entwickelten Doppelgehrungssäge hat Heinz Nienkemper einen Preis gewonnen. Das war vor mehr als zwanzig Jahren. Spaß an technischen Tüfteleien hat er immer noch. Doch für solche Innovationen fehlt ihm nun die Zeit. "Wir kriegen von morgens bis abends die Breitseite. Alles bleibt beim kleinen Handwerker hängen, der es für alle anderen regeln soll." Um sieben Uhr ist er im Betrieb. Feierabend macht er in der Regel gegen 21 Uhr. Der Schlossermeister kann sich kaum noch daran erinnern, wann er zuletzt länger als eine Woche in den Urlaub gefahren ist. Die Nienkempers fragen sich, wer trotz der vielen, bürokratischen Hürden zukünftig die Verantwortung für die Mitarbeiter und den Fortbestand des Handwerksberufs übernehmen wird.
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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