Der Fachkräftebedarf im Handwerk ist riesig: es fehlen Auszubildende, aber auch Gesellen und Meister.

Der Fachkräftebedarf im Handwerk ist riesig: es fehlen Auszubildende, aber auch Gesellen und Meister. (Foto: © auremar/123RF.com)

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Der Kampf um Köpfe – und Hände

Handwerkspolitik

Kaum ein Wort umschreibt die Lage so treffend wie "Fachkräftemangel". Spezialisten fehlen überall, auch im Handwerk. Wie sich gegensteuern lässt.

Lässt sich eine dramatische Situation mit nüchternen Zahlen beschreiben? Allein für 2022 hat das Kofa, das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung, angesiedelt, am Institut der Deutschen Wirtschaft, im Handwerk 236.818 offene Stellen ermittelt – ein Rekordwert. Denen stehen aber nur 121.993 arbeitslose Handwerker gegenüber, so dass jede zweite unbesetzte Stelle frei bleibt.

Statistisch gesehen fehlen vor allem Gesellinnen und Gesellen, knapp 108.000 Fachkräfte. "Zudem fehlten im Schnitt rund 10.600 Meisterinnen und Meister sowie gut 10.300 andere Fortbildungsabsolventen", schreiben Lydia Malin und Robert ­Köppen in der im Mai 2023 veröffentlichten Studie "Kofa Kompakt – Fach­kräftemangel und Ausbildung im Handwerk". Zu den letzteren zählen beispielsweise Metallbautechniker oder Aufsichts- und Führungs­kräfte im Verkauf.

Demografischer Wandel und der Einfluss auf die Handwerksbranche

Neu ist das Problem nicht: "In den letzten zehn Jahren wurden – mit Ausnahme der Zeit corona-bedingter Einschränkungen – immer mehr Handwerkerinnen und Handwerker gesucht", so die beiden Kofa-Experten. Dramatisch sieht die Lage vor allem im Bauhandwerk aus, allen voran in der Bauelektrik und der Sanitär-, Heizung-, Klimatechnik: Allein in diesen Gewerken können acht von zehn freien Stellen mangels fehlender qualifizierter Kandidaten nicht besetzt werden.

Eine Idee ist, die Zahl der Auszubildenden signifikant zu erhöhen. Doch die demografische Entwicklung macht das schwer: Immer weniger Nachwuchskräfte kommen nach – und wenn sie vor der Berufswahl stehen, muss gerade die Ausbildung in Clinch mit dem Studium gehen. Ein Studium gilt vielen mehr als eine Ausbildung, oft trotz besseren Wissens. Hinzu kommt: Bis die angehenden Fachkräfte qualifiziert sind, gehen Jahre ins Land. Weil die geburtenstarken Jahrgänge, die Baby-Boomer, nach und nach in Rente gehen, wächst auch noch die Lücke weiter an.

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Allianz für Aus- und Weiterbildung: Gemeinsames Gegensteuern gegen den Fachkräftemangel

Gegensteuern soll eine Allianz für Aus- und Weiterbildung, die als Partner die Wirtschaftsverbände inklusive des ZDH, die Gewerkschaften, Bundesanstalt für Arbeit, aber auch Bund und Länder vereint. Die 2004 gegründete Allianz will in der neuen Phase bis 2026 die Berufsorientierung auch an Gymnasien stärken, Auszubildende gewinnen und die Übergangsphase zwischen Schule und Beruf optimieren. Zu den konkreten Maßnahmen zählt regelmäßig der "Sommer der Berufsbildung".

Zitat"Wir beziffern den Investitionsbedarf für die kommenden Jahre auf mehr als eine Milliarde Euro." Jörg Dittrich, ZDH-Präsident
Tatsächlich ist die Ausbildung der entscheidende Faktor. Die Bundesregierung hat sich für ihre Fachkräftestrategie einen Fünf-Punkte-Plan verordnet:

- Zeitgemäße Ausbildung
- Gezielte Weiterbildung
- Arbeitspotenziale wirksamer heben, ­Erwerbs­beteiligung erhöhen
- Verbesserung der Arbeitsqualität, Wandel der Arbeitskultur
- Einwanderung modernisieren, Reduzierung der Abwanderung

Neu sind diese Ziele nicht. Im Gegenteil: Sie gehören seit Jahrzehnten zum Forderungskatalog der Wirtschaft. Wie ernsthaft die Bemühungen sind, belegen die Investitionen in eine zeitgemäße Ausbildung, wozu auch die Berufsbildungsstätten zählen. "Wir beziffern den Investitionsbedarf für die kommenden Jahre auf mehr als eine Milliarde Euro", erklärt ZDH-Präsident Jörg Dittrich. Doch die Mittel im Bundeshaushalt nehmen sich deutlich bescheidener aus, die Handwerksorganisation kämpft mit allen Mitteln, um wenigstens kurzfristig den Finanzierungsbedarf für dringend benötigte Modernisierungen zu bekommen. 

Die Herausforderungen der Finanzierung in der Weiterbildung

Auch in der Weiterbildung hapert es oft an den Finanzen, worüber Stipendien oder das Meister-BaFöG nicht hinwegtäuschen. Aus- und Weiterbildung kostet Geld, aber auch Zeit, in der die Mitarbeiter dem Betrieb fehlen. In Zeiten enger Personaldecken, hohen Termin- und Kostendrucks und Kundenerwartungen ist eine Freistellung ein Luxus, der allenfalls durchgeht, wenn die Maßnahme dem Betrieb neue Perspektiven eröffnet.

Ein hehres Ziel hat auch die Formel "Arbeitspotenziale wirksamer heben, Erwerbsbeteiligung erhöhen". Sie umschreibt, dass vor allem Frauen stärker in den Beruf geholt werden sollen, weil jede zweite Frau nur in Teilzeit arbeitet. Zum Vergleich: Bei Männern sind es elf Prozent. Der Grund ist simpel: Nach wie vor bleiben familiäre Verpflichtungen gegenüber Kindern oder pflegebedürftiger Angehöriger zum größten Teil an den Frauen hängen. Die Chance, diese Aufgaben an Kinderbetreuungsstätten oder die Altenpflege zu delegieren, scheitert zum einen an den Finanzen, zum anderen am – Fachkräftemangel. Aktuell fehlen knapp 100.000 Erzieherinnen und Erzieher, 2030 sollen es 230.000 sein. Und in der Studie "Fachkräftemangel im deutschen Gesundheitswesen 2022" kam die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft pwc auf eine Fachkräftelücke von sieben Prozent, 2035 soll sie auf 35 Prozent steigen: Dann können 1,8 Millionen offene Stellen nicht besetzt werden.

Hindernis Bürokratie

In Sachen Fachkräfteeinwanderung gibt es zwar eine neue gesetzliche Regelung, die alles einfacher machen soll, wäre da nicht die Bürokratie. "Das beste Gesetz nützt nichts, wenn zu viel Bürokratie im Weg steht und es an der Umsetzung hapert", kritisierte Dittrich die langen bürokratischen Wege. In der Praxis klingt das nämlich so: "Wer heute im Ausland beim Konsulat einen Antrag auf ein Visum haben möchte, muss dafür eine Wartezeit je nach Land zwischen sechs und 18 Monaten in Kauf nehmen", so ein Berater einer großen Kammer, der nicht mit Namen zitiert werden möchte.

Immerhin hat die Bundesregierung in ihrer Fachkräftestrategie erkannt, dass die Themen "gute Arbeitsqualität, gesunde Arbeitsbedingungen und eine zukunftsfeste Arbeitskultur unter Beteiligung der Beschäftigten in erster Linie Aufgabe und Verantwortung der Unternehmen" ist, wie sie in ihrem Papier festhält. Aber mit Blick auch auf alle anderen Punkte liegt der Kampf um die Köpfe, aber auch der um die Hände, tatsächlich bei den Betrieben.

Auf sich gestellt

Sie haben schon lange gemerkt, dass sich der Wind in Sachen Ausbildung gedreht hat. Gab es früher im Herbst eine heiße Bewerbungsphase für den Ausbildungsstart im September des Folgejahres, tröpfeln selbst bei etablierten Handwerksbetrieben die Anfragen nach einer Ausbildung bis in den Mai des ersten Ausbildungsjahres hin – falls überhaupt noch welche kommen. Die Reaktion der ausbildungswilligen Betriebe: Sie agieren alleine, im Verbund oder zusammen mit der Handwerksorganisation von der kleinsten Innung bis zum Zentralverband und gehen in Schulen oder auf Ausbildungsmessen und rühren in Sozialen Medien die Werbetrommel für eine Karriere im Handwerk (siehe Strategien 1 – 5). 

Sind dann einmal neue Kolleginnen und Kollegen gewonnen, muss sich der Betriebsinhaber auch weiter um sie kümmern. Warum das wichtig ist, belegt eine Studie des Softwarespezialisten für Recruiting softgarden aus dem letzten Jahr: 17,8 Prozent aller Einsteiger verlassen ihren Neuarbeitgeber bereits in den ersten 100 Tagen. Nahezu jeder fünfte ging, weil er oder sie sich nicht richtig eingearbeitet fühlte oder der Job dann doch nicht den Erwartungen entsprach, die im Bewerbungsgespräch geweckt wurden.

Strategie 1: Digitales Recruiting

Wann haben Sie das letzte Mal eine Stellenanzeige in der Tageszeitung gesehen, falls Sie überhaupt noch eine abonniert haben? Die Zeiten, in denen nach einer Annonce zahlreiche Bewerbungen eintrudeln, sind lange vorbei. Personalsuche heißt heute neudeutsch Recruiting und die ist längst digitalisiert.

Anzeigen gibt es nach wie vor, aber das Feld gehört den Job-Plattformen wie stepstone, indeed oder monster. Dafür muss die Anzeige auch such­maschinenoptimiert (SEO, Search Engine Optimization) sein und sich auf der eigenen Homepage wiederfinden – am besten auf einer eigenen Unternehmensseite, die die Karrierechancen im Betrieb aufzeigt. Spezielle Recruiting-Software übernimmt das für den Inhaber, optimiert den Text, hilft unterstützend bei der Konzeption einer Unternehmenskarriereseite im Internet und platziert die Stellenanzeige auf unterschiedlichen Jobportalen.

Strategie 2: Analoges Recruiting

Sie wollen direkt mit potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten für den Ausbildungsplatz oder die freie Stelle sprechen? Dann gehen Sie aktiv auf die gewünschten Zielgruppen los. Jedes Jahr bieten Schulen Eltern die Gelegenheit, an Berufsorientierungstagen Ihren Beruf vorzustellen und sind dankbar, wenn sie einen Partner gefunden haben. Hilfreich kann auch der direkte Kontakt über einen selbst, die Innung oder die Kammer in die Schule sein, um Berufsorientierungstage anzuregen.

Eine Alternative sind Ausstellungen und Präsentationen auf Aus- und Weiterbildungsmessen sowie generell bei Berufsorientierungs-Veranstaltungen, aber auch lokale Veranstaltungen, z. B. Straßenfest. Der Betrieb kann dort nicht nur sich und seine Dienstleistungen vorstellen, sondern auch konkret um Nachwuchs werben. Wer seine Azubis oder junge Mitar­beiter dafür gewinnen kann, sammelt Pluspunkte bei den Bewerbern – sie sprechen auf Augenhöhe mit Kandidaten.

Strategie 3: Soziale Medien nutzen

Sie haben einen Facebook-, Instagram- oder TikTok-Account? Dann bedienen Sie Ihre Kanäle stets mit neuen Informationen – und lassen auch dazu gerne mal ihre junge Crew mit ran. Die sind mit dem Handy und den Sozialen Medien aufgewachsen, wissen daher, wie es geht. Statt sich darüber zu ärgern, dass der Nachwuchs wieder mit dem Handy spielt, räumen Sie ruhig etwas Zeit dafür ein, von sich, der Arbeit und dem Betrieb ein cooles Bild oder ein Reel zu posten. Die Jugendlichen sind auf Augenhöhe mit der Zielgruppe, der Betrieb zeigt sich modern aufgestellt – und honorieren Sie besonders gelungene Beiträge.

Strategie 4: Auf Partner setzen

Wer selber wenig Zeit für das Recruiting hat, findet vielleicht Hilfe bei seinen Zulieferern. Dahinter stehen meist etablierte Unternehmen, die ganz andere Kapazitäten haben, um die Sozialen Medien und das Internet zu bespielen. Ein Beispiel ist der Photovoltaik-Spezialist Solarwatt. "Mit unseren Erfahrungen können wir zum Beispiel für die Unternehmen, bei denen das nicht zum täglichen Geschäft gehört, über gezielte Anzeigenkampagnen in Print oder Online bei der Personalsuche helfen", so Jürgen Thurm, Leiter der ­Solarwatt Academy.

Im ersten Halbjahr 2023 schaltete Solarwatt gezielt eine zweiwöchige Online-Kampagne für einen Installationspartner. Das Ergebnis: 86 konkrete Interessenten, die in zwölf Einstellungen mündeten, darunter Gerüstbauer, DC-Monteure und Elektriker. Bezahlt würde über das Solarwatt-Bonusprogramm, so dass der Partner-Betrieb keine zusätzlichen Kosten hatte. Es lohnt sich daher generell, bei seinen Zulieferern mal anzuklopfen.

Strategie 5: Image aufbauen

Mundpropaganda ist die beste Werbung, die auch in der digitalen Welt gut funktioniert. Hat ein Unternehmen einen guten Ruf, gilt es, diese Gründe prägnant zusammenzufassen und zu kommunizieren – intern wie extern. Auf der Unternehmensseite im Internet müssen Besucher schon auf den ersten Blick erahnen können, dass sie gerade einen besonderen Betrieb gefunden haben und die Alleinstellungsmerkmale schnell erfassen.

Haben das auch die Mitarbeiter verinnerlicht, spricht man von Employer Branding, die Firma hat eine echte Marke aufgebaut, bei der man auch gerne arbeiten würde – als Azubi, wenn das Gewerk stimmt, aber auch als Fachkraft.

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Text: / handwerksblatt.de

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