DHB: Herr Ermer, Sie haben den Posten des Präsidenten von Michael Wippler übernommen. Damit folgt Sachse auf Sachse beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Welche Schwerpunkte werden Sie während Ihrer Amtszeit setzen?
Ermer: Wir wollen die politische Vertretung in Berlin noch stärker aufstellen als unter meinen Vorgängern. Dies hatten auch unsere Mitglieder in einer Umfrage von uns gefordert.
DHB: Welche Themen beschäftigen das Bäckerhandwerk in erster Linie?
Ermer: Ganz extrem die Bürokratie. Das Bundesarbeitszeitgesetz ist ein Riesenproblem. Wir dürfen an Sonn- und Feiertagen nur sehr eingeschränkt arbeiten. Wenn ich beispielsweise am Karfreitag drei Stunden backen kann, dann ist das Angebot am Ostersamstag äußerst überschaubar. Diese Vorgaben sind völlig unzureichend. Kaum ein Betrieb kann sie einhalten. Wir stehen vor einem großen Dilemma. Also müssen wir an den gesunden Menschenverstand der politischen Akteure appellieren, um das Ungleichgewicht im Wettbewerb zugunsten der Industrie zu beenden.
Ein weiteres Beispiel: Es ist nicht zielführend, dass kleine Bäckereien zweimal am Tag die Temperatur in ihren Kühlschränken protokollieren müssen. Solche Vorschriften müssen dringend entschärft werden. Sonst schreiben wir mehr als wir arbeiten.
DHB: Wie sieht es denn beim Thema "Energie" aus?
Ermer: Wenn ich auf unsere Stromrechnung schaue, dann ist der reine Arbeitspreis nicht mehr das existenzbedrohende Problem. Leider kommen aber noch die staatlich auferlegten "Nebenkosten" wie Netzentgelt, Abgaben und Umlagen obendrauf.
Es ist wie bei allem, was in den vergangenen Jahren auf uns eingeprasselt ist – es sind nicht die einzelnen Faktoren, die uns zu schaffen machen, sondern deren Summe.
DHB: Was lässt sich dagegen unternehmen?
Ermer: Wir brauchen mehr Freiräume. Als Unternehmer wissen wir am allerbesten, dass man nur das verteilen kann, was man vorher erwirtschaftet hat. Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber uns immer neue Bedingungen stellt, die kaum zu erfüllen sind, aber dann darauf verweist, dass wir in einer Marktwirtschaft leben. So funktioniert das nicht!
Dazu gehört aber auch ein positiveres Unternehmerbild in diesem Land. Schauen Sie sich doch nur die Krimis an: Früher war der Gärtner der Täter, heutzutage sind es meist die Unternehmer. Es wäre schön, wenn die Menschen unsere Arbeit wieder mehr zu schätzen wissen, schließlich erwirtschaften wir auch einen guten Teil des Wohlstands.
Lobbyarbeit für das Handwerk
Bäcker-Präsident Roland Ermer im Gespräch mit DHB-Redakteur Bernd Lorenz. Foto: © Georg Johannes LopataDHB: Inwiefern nutzen Ihnen Ihre eigenen politischen Erfahrungen für die Lobbyarbeit des Bäckerhandwerks?
Ermer: Ich habe gelernt, dass man frühzeitig angreifen muss, um wahrgenommen zu werden. Dabei kann man Politiker auch deutlich und scharf kritisieren. Allerdings nur für ihre Politik. Als Mensch verdienen sie Respekt wie jeder andere auch.
DHB: Macht sich die Intensivierung der politischen Interessenvertretung auch personell bemerkbar?
Ermer: Wir haben im Februar eine neue Stelle dafür geschaffen. Als politische Referentin bringt Katrin Gielow ihre Erfahrungen aus der Leitung eines Bundestagsbüros sowie einer Geschäftsstelle und Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt ein. Das wird uns sehr helfen.
DHB: Lobbyarbeit endet nicht an den deutschen Grenzen. Welche Akzente wollen Sie im europäischen Ausland setzen?
Ermer: Die Hälfte aller Vorschriften, die das deutsche Bäckerhandwerk betreffen, werden in Brüssel geboren. Deshalb wollen wir versuchen, dass der deutschsprachige Raum in unserem europäischen Dachverband CEBP wieder stärker vertreten ist, um damit mehr Einfluss auf die politischen Entscheidungen in der Europäischen Union nehmen zu können.
Wir haben zwei Baustellen: Zum einen müssen wir aufpassen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen in Brüssel nicht vergessen werden. Die EU plant weitere Verschärfungen in Richtung Verpackungen und CO2-Fußabdruck, die zu erheblichen Mehrbelastungen bei der Dokumentation führen werden. Das ist für kleine Handwerksbetriebe nicht mehr machbar. Wenn die Bürokratie weiter zunimmt, werden wir kaum jemanden mehr finden, der sich im Bäckerhandwerk selbstständig macht. Es sollte zwar inzwischen einen KMU-Beauftragten der EU-Kommission geben, allerdings ist fraglich, wie es mit diesem Posten nach der Europawahl im Juni weitergeht. Zum zweiten müssen wir darauf achten, dass die europäischen Vorgaben aus Brüssel in unserem Land nicht noch strenger ausgelegt werden als sie es eh schon sind.
Zur Person Roland Ermer wurde am 7. November 2023 zum neuen Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks gewählt. Zuvor stand er von 2011 bis Mitte 2021 an der Spitze des Sächsischen Handwerkstages. Der 60-jährige Bäckermeister hat den elterlichen Betrieb 1988 übernommen. Der Hauptstandort der Bäckerei Ermer sitzt in Bernsdorf (Sachsen). Darüber hinaus gibt es drei weitere Filialen in Bernsdorf, Hoyerswerda und Lieske (nur Fr. und Sa.). Roland Ermer und seine Ehefrau Birgit haben drei Kinder. Ihre Tochter Claudia steht als Nachfolgerin fest und wird den Betrieb damit in vierter Generation weiterführen. Der Bäckermeister aus der Lausitz ist politisch aktiv. 1990 ist er der CDU beigetreten. Neben seinem Engagement im Kreistag Bautzen hat er sich zweimal als Spitzenkandidat zur Bundestagswahl 2017 und 2021 für den Wahlkreis Bautzen I aufstellen lassen. Beide Male erzielte er nur das zweitbeste Ergebnis.
DHB: Im September wählen die Sachsen einen neuen Landtag. Welchen Ausgang erwarten Sie?
Ermer: Es wäre äußerst wichtig, dass die bürgerliche Mitte gestärkt aus der Wahl hervorgeht. Allerdings habe ich ärgste Bedenken, dass es am 1. September in die falsche Richtung laufen wird. Als langjähriges Mitglied der CDU wünsche ich mir natürlich, dass wir an einer Regierung beteiligt sind, die ohne die politischen Ränder auskommt – egal ob sie hellblau oder dunkelrot sind.
Dazu müssen wir den Menschen in Sachsen aber Anstöße geben, was ihnen wirklich hilft, und ihnen deutlich machen, dass es keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen gibt. Der Ruf nach dem weisen und geliebten Führer, der alles besser macht, ist mir zu platt. Alle extremen Positionen führen letzten Endes in eine Sackgasse.
Strategien der Handwerksbäcker
DHB: Viele kleine Bäckereien mussten in den vergangenen Jahren schließen. Manche sprechen von einem Bäckersterben. Gibt es noch Platz für Einzelkämpfer?
Ermer: Es wird Platz für alle geben – für den Filialisten mit über 40 Standorten, für den kleinen Dorfbäcker wie uns mit zweieinhalb Filialen und für junge, moderne Konzepte à la "Zeit für Brot", die ich liebevoll "die Teigbeschwörer" nenne.
Es wird für alle wichtig sein, dass sie gut und authentisch sind, und dass sie ihr Handwerk mit extremer Liebe ausführen. Mit den Bäckern ist es wie mit den Pfarrern – entweder du bist berufen oder du bist es nicht.
DHB: Wie kann der kleine, regional aufgestellte Bäcker gegen die Industrie bestehen?
Ermer: Wir haben den sehr großen Vorteil, dass wir nicht nur mit Individualität und Vielfalt punkten, sondern dass auch unser ökologischer Fußabdruck deutlich kleiner ist. Es gibt kaum ein anderes Lebensmittel, das weniger Kohlendioxid pro Kilogramm verursacht als Brot aus einer regionalen Bäckerei: circa 750 Gramm CO2, das ist nahezu unschlagbar! Den Kunden muss aber auch bewusst sein, dass die Regionalität und die Vielfältigkeit des Bäckerhandwerks eine unglaubliche Bereicherung ist, die entsprechende Wertschätzung verdient.
DHB: Vielen Kunden dürfte dies bereits bewusst sein, aber vielleicht schreckt sie der Preis ab.
Ermer: Der Preis unserer Waren hängt maßgeblich von den Kosten ab. Da fallen die Löhne, vor allem aber die Sozialabgaben am stärksten ins Gewicht. Sie machen rund die Hälfte unserer Ausgaben aus. Je höher dieser Anteil wird, desto schwerer wird es für uns. Ich hoffe nicht, dass wir eines Tages an den Punkt kommen, an dem sich die Menschen unsere Produkte nur noch am Wochenende leisten können. Wenn es so weit ist, wird es wohl überall nur noch die Drei-Tage-Bäckerei geben.
DHB: Ist das nur Schwarzmalerei?
Ermer: Ich kenne Kollegen, die ausschließlich donnerstags, freitags und samstags, vielleicht auch noch sonntags ihre Bäckerei aufschließen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Es fehlt Personal; sie haben ein sehr gutes Produkt, mit dem sie an drei oder vier Tagen genug erwirtschaften; ihr Laden ist bezahlt und sie brauchen nur noch die halbe Woche zu arbeiten. Jeder Bäcker muss seinen Weg finden und gucken, wie er den Betrieb gewuppt kriegt. Allerdings sind wir nicht die einzigen, die über reduzierte Öffnungszeiten nachdenken. In der Gastronomie sind sie schon Realität. Viele Gaststätten öffnen nur noch an wenigen Tagen. Es liegt aber nicht nur an der Preisentwicklung, sondern auch an der mangelnden Bereitschaft einiger Menschen zur Arbeit.
DHB: Viele Menschen ernähren sich sehr bewusst. Das müsste dem Bäckerhandwerk doch auch bei der Kundenakquise in die Karten spielen.
Ermer: In meiner Bäckerei biete ich – wie viele andere Kollegen auch – Backkurse an. Da zeige ich den Leuten zum Beispiel, wie sie ihren eigenen Sauerteig herstellen können. Dabei merkt man, dass sie sehr interessiert und motiviert sind. Letzten Endes kommen aber 99 Prozent der Teilnehmer doch wieder zu uns ins Geschäft und kaufen sich ihr Brot, denn die Anschaffung der Geräte ist teuer und für gutes Brot bedarf es eben viel Zeit und Mühe.
Es hilft uns aber, dass die Verbraucher aufmerksamer und kritischer geworden sind, wie Lebensmittel hergestellt werden. Wir bieten keine hochverarbeiteten Produkte an. Unsere Backwaren bestehen aus wenigen Zutaten, die in der Regel aus der jeweiligen Region stammen. Mit Rinderfilet werden wir die Menschen in Zukunft nicht sattmachen können. Mit Brot schon. Dieses Umdenken in den Köpfen kann in unseren Bäckereien beginnen.
Übergabe von Bäckereien
Roland Ermer hat die Nachfolge des Familienbetriebs bereits geregelt. Seine Tochter Claudia wird die Bäckereien in vierter Generation weiterführen. Foto: © Georg Johannes LopataDHB: Viele Handwerksbetriebe stehen vor der Übergabe. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Ermer: Meine Tochter ist seit acht Jahren im Betrieb. Als angestellte Bäckermeisterin und Verkaufsleiterin führt sie schon das operative Geschäft. Der Betrieb gehört jedoch noch mir. Ich könnte sonst auch gar nicht Präsident des Zentralverbands sein. Laut Satzung muss man eine Bäckerei selbstständig führen.
DHB: Wie ist es um die Übernahme anderer Bäckereien bestellt?
Ermer: Rund ein Drittel der Betriebsinhaber ist älter als 55 Jahre. Deren Betriebe stehen in den kommenden zehn Jahren zur Übernahme an. Manche werden keinen Nachfolger finden, weil sie nicht mehr übernahmefähig sind oder weil es einfach nicht genug Meister gibt, die den Betrieb übernehmen können.
DHB: Also geht das Bäckersterben weiter?
Ermer: Dieser Begriff ist zu drastisch und verdreht die Tatsachen, da wir uns auch demografiebedingt in einem Strukturwandel befinden: Seit den 1950er Jahren sinkt die Anzahl der Betriebe, aber nicht die Anzahl der Verkaufsstellen. Schauen Sie sich diejenigen an, die am Markt bestehen bleiben. Für diese Handwerksbäckereien ist es auch eine große Chance zu wachsen, denn ihr Einzugsbereich vergrößert sich. Wir müssen auch darauf achten, dass die Bäckereien in der Fläche vertreten bleiben. "Unser tägliches Brot gib uns heute" ist halt nicht nur ein Satz aus dem "Vaterunser", sondern der Appell an uns Bäcker, dass wir einen Versorgungsauftrag zu erfüllen haben.
DHB: Mittelständische Handwerksbäckereien, die einen Nachfolger suchen, können sich beispielsweise an das "Haus der Bäcker" wenden. Zurzeit sind darunter acht Betriebe mit 280 Filialen und 3.000 Mitarbeitern versammelt. Was halten Sie von solchen Konstrukten?
Ermer: Wenn ein Bäckermeister aus welchen Gründen auch immer seinen Betrieb nicht mehr fortführen kann und von einem Konsortium die Summe X für sein Lebenswerk erhält, ist das eine absolut legitime Geschichte. Der Betrieb geht in einer Art Konzernstruktur auf, profitiert von verschiedenen Einkaufsvorteilen, bleibt aber selbstständig. Als handwerkliche Interessenvertretung müssen wir natürlich dafür sorgen, dass uns diese Betriebe als Mitglied einer Innung erhalten bleiben, um weiterhin für alle Unternehmensstrukturen sprechen zu können.
Positiv ist für mich: Wenn Investoren ihre Millionen in solch ein Projekt stecken, dann scheint das Bäckerhandwerk doch ganz interessant zu sein. Das widerspricht ein bisschen dem düsteren Bild vom Bäckersterben, das die Medien gerne propagieren. Ich glaube aber nicht, dass es die Lösung für das gesamte Bäckerhandwerk sein wird. Denn mit wachsender Zahl der Betriebe könnte auch ein Gebilde wie das "Haus der Bäcker" zu unübersichtlich werden. Lassen Sie uns in zehn Jahren noch mal darüber sprechen.
DHB: Die sinkende Zahl an Bäckereien wirkt sich auch auf die Handwerksorganisation aus. Weniger Betriebe gleich weniger Innungsmitglieder. Der Bäckerinnungsverband Westfalen-Lippe und der Verband des Rheinischen Bäckerhandwerks haben sich dieses Jahr zum Bäckerinnungsverband West zusammengeschlossen. Wird es weitere Zusammenschlüsse geben?
Ermer: Ja selbstverständlich. Unsere Organisationen brauchen hervorragende Mitarbeiter. Die lassen sich mit den Innungsbeiträgen von hundert Betrieben aber nicht mehr bezahlen. Weitere Zusammenschlüsse sind also vernünftig. Im Osten haben wir schon längst pro Bundesland nur noch eine Landesinnung. In Zukunft könnte es sogar zu bundeslandübergreifenden Zusammenschlüssen kommen. Für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen böte sich dies zum Beispiel an. Das müssen aber die Organisationen vor Ort entscheiden. Als Zentralverband halten wir uns da raus.
KI in der Backstube
DHB: Künstliche Intelligenz (KI) kommt seit einigen Jahren auch im Bäckerhandwerk zum Einsatz. Gibt es schon viele Betriebe, die zum Beispiel eine KI-gestützte Absatzprognose verwenden?
Ermer: Na klar! Bei allen größeren Bäckereien, die mit einem elektronischen Bestellsystem arbeiten, schlägt die KI vor, welche Produkte in den nächsten Tagen wohl am meisten nachgefragt werden. In diese Prognose fließen Faktoren wie das Wetter, Ferien oder große Volksfeste mit ein. Selbst bei der Rezeptentwicklung ist die KI im Kommen. Es ist erstaunlich, was dabei herauskommt!
Auf der "iba" habe ich mir auch die neuen halbautomatischen oder vollautomatischen Läden angeschaut. Der Kunde nimmt sich ein Wasser aus dem Kühlschrank, die Verkäuferin packt ihm fünf Brötchen und ein Stück Torte ein und wenn er durch die Tür geht, macht es "Bing" – die Bäckerei hat ihr Geld, denn den Kassiervorgang übernimmt die KI, und der Kunde hat den Kassenzettel auf seinem Handy oder im E-Mail-Postfach. Genial!
Handwerksbäcker sind keine Maschinenstürmer, aber wir sollten uns zumindest überlegen, ob wir diese grenzenlosen Möglichkeiten nicht auch zu unserem Vorteil einsetzen können und diese für Entlastung im Arbeitsalltag sorgen können.
KI im Bäckerhandwerk In den Online-Artikeln "Künstliche Intelligenz hilft Retouren in Bäckereien zu reduzieren" und "Backdigital will Bäcker und Konditoren bei der Digitalisierung unterstützen" auf handwerksblatt.de erfahren Sie, wie Künstliche Intelligenz im Bäckerhandwerk eingesetzt werden kann.
Neue Auszubildende gewinnen
DHB: Kommen wir nun zur natürlichen Intelligenz – den Mitarbeitern. Das Bäckerhandwerk bemüht sich sehr darum, junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen. Haben die Nachwuchskampagne "Back dir deine Zukunft" oder die Arbeit der "Backfluencer" die Wahrnehmung bei den Jugendlichen und ihren Eltern verbessert?
Ermer: Absolut. Die jungen Damen und Herren, die uns in den Sozialen Medien unterstützen, machen richtig gute Arbeit. Hier wären aber auch die Backkurse der "Wildbakers" Jörg Schmid und Johannes Hirth oder eine Aktion wie "Backen in Wacken" von Axel Schmitt zu nennen. All dies trägt dazu bei, dass die Leute sehen: "Bäcker, cooler Job, gucke ich mir an".
Uns ist es wichtig, dass wir bildungspolitisch ein Umdenken hinbekommen. In diesem Land gibt es leider sehr viele Menschen unter 30 Jahren, die weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung haben. Ihnen können wir im Bäckerhandwerk eine sinnstiftende und sichere Arbeit bieten.
Wir blicken aber auch auf die Gymnasien, die sich in der Berufsorientierung stärker für das Handwerk öffnen müssten. Ich habe schon drei Abiturienten zum Bäcker ausgebildet. Die haben alle gemerkt, dass es Quatsch ist, mit einem Abi-Schnitt von 3,5 zu studieren. Das sind Top-Leute, die nach der Ausbildung den Meister machen und später einen Betrieb übernehmen können. Aber Schülerpraktika alleine reichen nicht aus. Es müsste auch Lehrerpraktika geben, damit diese die vielfältigen Möglichkeiten der Berufsausbildung kennenlernen.
Wir wollen aber auch Studienabbrechern ein Angebot machen. Sie könnten beispielsweise eine zweijährige Ausbildung zur Verkaufskraft durchlaufen. Leider lehnt unser Tarifpartner, die Gewerkschaft NGG, diese Idee komplett ab.
Backfluencer In der Folge 12 unserer Reihe "Influencer im Handwerk" auf handwerksblatt.de berichten Miriam Schmid und Wiebke Langhanke, wie man zur Backfluencerin wird und was man als Backfluencerin macht.
DHB: Die Ausbildungsordnungen sollen modernisiert werden. Welche Gründe gibt es dafür?
Ermer: Das Berufsbild ist veraltet. Die letzte Anpassung liegt über 20 Jahre zurück. Seitdem hat sich sehr viel getan. Der Beruf ist viel komplexer geworden. Wir haben Mittagsversorgung in den Bäckereien, wir bieten Kaffee-Spezialitäten an, die Bandbreite der Produkte ist viel größer geworden und damit auch die Art der Herstellung. Wer hätte gedacht, dass wir mal mit computergestützten Maschinen und Technologien wie Rezeptcomputern oder Rezepturwaagen arbeiten werden oder dass unsere Auszubildenden ihr Berichtsheft über eine App führen? All dies muss sich auch in einer Ausbildungsordnung wiederfinden.
DHB: Die Ausbildungsvergütungen wurden kräftig erhöht. Ist das bei allen gut angekommen?
Ermer: Natürlich ist es einigen Betrieben schwergefallen. Andererseits gab es schon immer ganz viele Betriebe, die 100 oder 150 Euro draufgelegt haben, damit sie vernünftige Auszubildende in die Bäckerei bekommen.
Mit der höheren Vergütung wollen wir den Jugendlichen signalisieren, dass sie bei uns von Anfang an gutes Geld verdienen. Wobei die Ausbildungsvergütung ja nur ein Punkt ist. Für Nachtarbeit gibt es Zuschläge. Da verdient ein Lehrling im dritten Jahr schon richtig Kohle. Wir sollten aber nicht nur auf die Ausbildungsvergütung gucken. Die Betriebe beteiligen sich an den Kosten für die Fahrkarte und zahlen monatlich einen Inflationsausgleich. Dann gibt es Bäckereien, die ihren Lehrlingen den Führerschein finanzieren und ein kleines Auto vor den Laden stellen. Sie sehen: Wir tun sehr viel für unsere jungen Leute. Nun ist die Politik an der Reihe.
DHB: Was meinen Sie damit?
Ermer: All die Jahre wurde von uns gefordert, dass wir die Azubis besser bezahlen. Das ist passiert. Jetzt drehen wir den Spieß um: Liebe Politik, verbessere das Bildungssystem, so dass wir auch ausbildungsfähige Leute bekommen! Es kann doch nicht sein, dass Zehntausende junger Menschen die Schule ohne einen Abschluss verlassen oder dass viele Jugendliche nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen können! Wenn diese Fähigkeiten fehlen, dann reicht es auch für die Ausbildung im Bäckerhandwerk nicht.
Aber es geht ja noch weiter: Das Netz der Berufsschulen wird ausgedünnt, weil die Zahl der Auszubildenden sinkt. Das ist nachvollziehbar. Wenn es aber immer weniger Standorte gibt, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wo unsere Auszubildenden eine Unterkunft finden. Studentenwohnheime gibt’s, aber da dürfen unsere Lehrlinge nicht rein. Dagegen fehlen Lehrlingswohnheime mit pädagogischer Betreuung. Den Studenten bezahlt der Staat, für den Facharbeiter kommt das Handwerk auf? Das ist doch Mist!
DHB: Um an geeignete Bewerber zu kommen, hat das Bäckerhandwerk seine Fühler auch ins Ausland ausgestreckt. Im Rahmen des Pilotprojekts THAMM sollten junge Nordafrikaner nach Deutschland geholt werden. Wie läuft es?
Ermer: Die Erfahrungen, die mit den Teilnehmern aus dem THAMM-Projekt gemacht wurden, sind zum großen Teil positiv und wir möchten das Projekt gerne fortsetzen.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass es ohne Zuwanderung nicht geht. Deshalb schieben wir auch andere Projekte an. Die Zusammenarbeit mit Vietnam sieht beispielsweise sehr vielversprechend aus. Da profitieren wir noch von den alten Verbindungen aus DDR-Zeiten. Die Bewerber passen gut in unseren Kulturkreis und kommen sprachlich gut vorbereitet mit einem B1-Niveau nach Deutschland.
Pilotprojekt THAMM In unserem Online-Artikel "Pilotprojekt der Bäcker zur Ausbildung junger Ägypter und Tunesier" auf handwerksblatt.de erfahren Sie, wie das Bäckerhandwerk erprobt, junge Nordafrikaner für eine Ausbildung in Deutschland zu gewinnen.
Kräftemessen mit den Besten
Bei den EuroSkills 2023 in Danzig (Polen) holte Alexander Weinhold die Goldmedaille. Foto: © WorldSkills Germany/Frank ErpinarDHB: 2023 haben die Bäcker zum ersten Mal an den EuroSkills in Danzig teilgenommen und gleich Gold geholt. Warum ist man den Euro- und WorldSkills so lange ferngeblieben?
Ermer: Es liegt nicht daran, dass wir den Wettbewerb scheuen, sondern dass uns lange Zeit die personellen Kapazitäten fehlten und wir in erster Linie unsere eigenen berufsständischen Wettbewerbe wie die Meisterschaften im Rahmen der "iba" bespielt haben. Seitdem Bernd Kütscher die Bundesakademie in Weinheim leitet und wir die Nationalmannschaft der Bäcker so gut aufgestellt haben, können wir es uns leisten, auch an den Euro- und WorldSkills teilzunehmen, die sehr öffentlichkeitswirksam sind.
DHB: In diesem Jahr stehen die WorldSkills in Lyon an. Kann das Ergebnis der EuroSkills, also die Goldmedaille, wiederholt werden?
Ermer: Es wäre schön, zu gewinnen, aber keiner sinkt in meiner Achtung, wenn er Zweiter, Vierter oder Letzter wird. Die jungen Leute wachsen doch schon daran, dass sie sich qualifiziert haben, dass sie an den Lehrgängen der Nationalmannschaft teilnehmen und dass sie in ein anderes Land fahren. Bei solchen Wettbewerben entscheidet oft die Tagesform und ob man Glück hat. Egal, wie der Wettbewerb in Lyon ausgeht – das Leben geht weiter und die Teilnahme an sich ist eine große Sache, die für positive Aufmerksamkeit sorgt!
DHB: Wie geht es denn nach Ihrer persönlichen Einschätzung mit dem Bäckerhandwerk weiter?
Ermer: Der Bäcker ist ein unglaublich alter, kreativer Beruf, der mir wahnsinnig viel Spaß macht. Die Arbeit in der Backstube hat schon fast etwas Philosophisches. Wir erleben jeden Tag eine Metamorphose wie bei einem Schmetterling: Erst wird ein klebriger Teigklumpen in den Ofen geschoben und eine Stunde später entpuppt sich daraus ein herrlich duftender Laib. Brot ist eines der geilsten Produkte, die es gibt. Insofern bin ich fest davon überzeugt, dass dieser schöne Beruf ein fester Bestandteil unserer Kultur bleibt.
Das Interview führte Bernd Lorenz.
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Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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