Vielen Bäckereien fällt es schwer, neue Lehrlinge zu finden. Nun schweift der Blick ins Ausland. Im Rahmen des Pilotprojekts THAMM wird erprobt, junge Nordafrikaner für eine Ausbildung in Deutschland zu gewinnen.
Es ist bereits Ende September. Nils Vogt hatte gehofft, die kleine Gruppe aus Kairo pünktlich zum Start des neuen Ausbildungsjahres begrüßen zu können. Doch die Ankunft der sechs jungen Männer und einer jungen Frau aus Ägypten zieht sich noch hin. "Dabei zählt jeder Tag, den sie nicht im Betrieb und in der Berufsschule sind", erklärt der für Berufsbildung und Fachkräftesicherung zuständige Referent beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks.
Um ihre Ausbildung antreten zu dürfen, müssen die jungen Nordafrikaner nachweisen, dass sie die deutsche Sprache ausreichend beherrschen. Vorausgesetzt werden Kenntnisse der Niveaustufe B1. "Obwohl sie sich sechs Monate lang intensiv am Goethe-Institut in Kairo vorbereitet haben, sind alle beim ersten Mal durch die Prüfung gefallen", bedauert Nils Vogt. Es bleibe zu hoffen, dass die Lehrstellenbewerber im Alter von 20 bis 30 Jahren den Sprachtest im zweiten Anlauf meistern. "Wir hätten uns einen etwas reibungsloseren Start gewünscht, aber noch sind alle Beteiligten hoch motiviert und zuversichtlich."
Pilotprojekt THAMM
Seit dem 1. März 2020 wird es Ausbildungsinteressierten und Fachkräften mit einer nicht-akademischen Ausbildung aus Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union erleichtert, sich in Deutschland ausbilden zu lassen oder zu arbeiten. Grundlage ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
"Bislang gibt es noch wenig Erfahrungen, wie sich eine reguläre und faire Arbeitsmigration etwa mit Ländern wie Marokko, Tunesien oder Ägypten organisieren lässt", erklärt Andrea Milkowski von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH. Diese Lücke soll das Pilotprojekt THAMM (siehe Info-Kasten) schließen. Kooperationspartner der GIZ ist die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit, die für die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland und für die Vermittlung besonderer Berufsgruppen verantwortlich ist.
Ich bin damit einverstanden, dass mir alle externen Inhalte angezeigt werden und meine Cookie-Einstellung auf 'Alle Cookies zulassen' geändert wird. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Pilotprojekt THAMMTHAMM steht für den englischen Projekttitel "Towards a Holistic Approach to Labour Migration Governance and Labour Mobility in North Africa". Der deutsche Titel lautet "Unterstützung regulärer Arbeitsmigration und -mobilität zwischen Nordafrika und Europa". Ziel des Pilotprojektes ist es, die faire und nachhaltige Gewinnung von Auszubildenden und Fachkräften aus den drei nordafrikanischen Ländern Ägypten, Marokko und Tunesien zu erproben. THAMM vermittelt Auszubildende und Fachkräfte in Berufe aus Industrie, Handwerk, Hotel, Gastronomie und IT. Zu den Ausbildungsberufen des Handwerks gehören: Bäcker/-in, Maurer/-in, Zimmerer/Zimmerin und Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik. Qualifizierte Fachkräfte werden in den Berufen Elektroniker/-in für Energie- und Gebäudetechnik und Anlagenmechaniker/-in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik vermittelt. Das Pilotprojekt THAMM wird im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durchgeführt und durch die Europäische Union kofinanziert.
Partnerschaft auf Augenhöhe
"Bei unserer Arbeit streben wir eine Partnerschaft auf Augenhöhe an, von der die Herkunftsländer, die ausländischen Fachkräfte und der deutsche Arbeitsmarkt gleichermaßen profitieren", erklärt Andrea Milkowski.
Im Rahmen des Pilotprojekts soll die GIZ etwa die an der Arbeitsvermittlung beteiligten Behörden in den drei nordafrikanischen Staaten fit für eine gleichwertige Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen in Deutschland machen, Standards für eine faire und sichere Arbeitsmigration entwickeln und vor Ort prüfen, ob sich die Fähigkeiten und Qualifikationen der ausländischen Bewerber mit den Anforderungen der Arbeitgeber in Deutschland decken.
"Je nach Land muss man unterschiedliche Modelle austesten und diese sukzessive verfeinern", sagt die Projektverantwortliche bei der GIZ, die THAMM als lernendes Vorhaben versteht.
Beteiligung von Handwerksorganisationen
Einen Beitrag zu diesem Lernprozess leisten aus ihrer Sicht auch die am Pilotprojekt beteiligten Organisationen aus der Wirtschaft. "Wir arbeiten gerne mit Akteuren wie dem Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks oder dem Westdeutschen Handwerkskammertag zusammen, weil sie in engem Kontakt zu den Betrieben stehen und deren Bedürfnisse kennen."
In Ländern wie Ägypten, Marokko oder Tunesien sind viele Jugendliche arbeitslos. Deutsche Bäckereiensuchen dagegen verzweifelt nach Auszubildenden. Im Rahmen des Pilotprojekts THAMM wird nun getestet, wie beide Seiten am besten zusammenkommen.
"Mehr als 200 Ägypter haben sich für eine Ausbildung in der Gastronomie und im Bäckerhandwerk beworben", erklärt Nils Vogt, der seinerseits in Zusammenarbeit mit dem Landesinnungsverband Baden Betriebe für einen ersten, regional begrenzten Testdurchlauf akquiriert hat. Die sieben Nordafrikaner werden ihre Ausbildung bei Mitgliedsbetrieben des badischen Bäckerinnungsverbands absolvieren.
Unterstützung für Azubis und Betriebe
THAMM unterstützt die teilnehmenden Betriebe, Azubis und Fachkräfte. In den Herkunftsländern wählen die nationalen Partner gemeinsam mit der ZAV und der GIZ geeignete Bewerberinnen und Bewerber für eine Ausbildung oder Beschäftigung in Deutschland aus und organisieren webbasierte Vorstellungsgespräche mit den künftigen Arbeitgebern. Zudem organisiert die GIZ die Sprachkurse und interkulturellen Trainings in Marokko, Tunesien und Ägypten.
Mit wem sie es zu tun bekommen werden, wissen die Ausbilder der badischen Bäckereien etwa aus einem umfangreichen Lebenslauf, den die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und das Goethe-Institut mit den künftigen Bäcker-Azubis erstellt haben. Ein persönliches Kennenlernen gab es nur virtuell. "Im Mai und im Juni konnten wir per Videokonferenz mit Hilfe einer Dolmetscherin die Vorstellungsgespräche führen", sagt Nils Vogt. Ein Praktikum habe aufgrund der Entfernung vorab nicht stattfinden können.
Nach dem Vertragsabschluss kümmert sich die GIZ um die Einreiseformalitäten, indem sie etwa den Visumsprozess unterstützt. Die Auszubildenden werden in den ersten sechs Monaten über THAMM betreut, die Fachkräfte in den ersten drei Monaten nach Beschäftigungsbeginn.
Kosten und finanzielle Unterstützung
Die Ausbildung junger Menschen aus Drittstaaten außerhalb der EU ist mit höheren Kosten verbunden. So hängt etwa die Erteilung des Visums davon ab, ob der Lebensunterhalt der Auszubildenden gesichert ist. Die Ausbildungsbetriebe, die am THAMM-Projekt teilnehmen, müssen ihren Azubis aus Nordafrika pro Monat mindestens 939 Euro brutto zahlen. Das Flugticket und die Kosten der weiteren Anreise zum Arbeitsort gehen ebenfalls vom Konto der Arbeitgeber ab. Übersteigt die Warmmiete inklusive Strom und GEZ die Grenze von 300 Euro, ist weiteres finanzielles Engagement nötig.
"Alleine der monatliche Unterhalt ist höher als die tariflich festgelegte Ausbildungsvergütung, aber unsere sechs Betriebe aus Baden nehmen dies in Kauf", sagt Nils Vogt, der für das Pilotprojekt der Bäcker jedoch einen Förderer finden konnte. "Die Stiftung ,Brot gegen Not‘ unterstützt uns großzügig mit 50.000 Euro."
Sprachkenntnisse weiter verbessern
Nach dem Beginn der Ausbildung müssen die Auszubildenden in Deutschland weiterhin an ihren Sprachkenntnissen feilen. Die Betriebe haben dafür zu sorgen, dass sie an einem Kurs teilnehmen, der sie auf das Niveau B2 hebt. "Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit hilft den Bäckereien dabei, passende, kostenlose Angebote zu finden. Die GIZ steht den Betrieben, den Auszubildenden und uns aber auch bei vielen anderen Fragen als Ansprechpartnerin zur Verfügung", lobt Nils Vogt die Unterstützungsstrukturen innerhalb des Pilotprojekts.
Ich bin damit einverstanden, dass mir alle externen Inhalte angezeigt werden und meine Cookie-Einstellung auf 'Alle Cookies zulassen' geändert wird. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Fachkräfte für das NRW-ElektrohandwerkDer Westdeutsche Handwerkskammertag (WHKT) hat ein Pilotprojekt zur Fachkräfteeinwanderung gestartet. Dabei können interessierte Betriebe aus dem nordrhein-westfälischen Elektrohandwerk neue Mitarbeiter aus Jordanien oder Ägypten vermittelt bekommen. Für die Gewinnung von Fachkräften aus Ägypten besteht eine Kooperation mit dem Projekt THAMM. Eine Beschäftigung der ausländischen Fachkraft findet zunächst als "Elektroniker/-in in Anerkennung" mit angemessener Vergütung statt. Elektrobetriebe, die einen ersten Eindruck der Bewerber erhalten möchten, können die individuellen Bewerberprofile in anonymisierter Form auf den Internetseiten des WHKT einsehen. Bei Interesse organisiert das Projektteam einen digitalen Termin für ein persönliches Kennenlernen.
Neue Quellen erschließen
Mit der Teilnahme an THAMM verfolgt der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks das Ziel, den Betrieben langfristig neue Quellen für die Akquise von Fachkräften zu erschließen. Sollten die sieben Ägypter nach drei Jahren die Gesellenprüfung bestehen, würde sich Nils Vogt wünschen, dass sie von ihren Ausbildungsbetrieben übernommen werden. "Wenn sie einen Arbeitsvertrag erhalten, gehen wir davon aus, dass ihre Aufenthaltsberechtigung in Deutschland verlängert wird und sie sich eine berufliche Zukunft aufbauen können."
Blaupause für die Anwerbung
Das Pilotprojekt THAMMendet im Dezember 2023. "Das THAMM-Projekt vermittelt Fachkräfte und Auszubildende in ganz unterschiedliche Sektoren. So können vielfältige Erfahrungen gewonnen werden, beispielsweise, bei welchen Abschlüssen der Anerkennungsprozess und in welchen Berufen die Vermittlung an Arbeitgeber besonders gut klappt", erklärt Andrea Milkowski. Sie hofft, dass mit dem Pilotprojekt eine Blaupause geschaffen wird, die es auch Betrieben aus dem Handwerk künftig erleichtert, Nachwuchs- und Fachkräfte aus Drittstaaten außerhalb der EU anzuwerben.
Nächster Durchlauf geplant
Mittlerweile ist der erste Azubi in seinem Ausbildungsbetrieb angekommen. Vier weitere werden bis Ende Oktober einreisen und ihre Ausbildung beginnen. "Die dann noch in Kairo verbleibenden Teilnehmer werden sich weiter auf den Spracherwerb konzentrieren und streben im nächsten Jahr eine Ausbildung zum Bäcker an", sagt Nils Vogt, der bereits eine Fortsetzung des Projekts anpeilt.
Bis zu 30 Bäcker-Azubis aus Tunesien
Im Sommer 2023 sollen bis zu 30 junge Tunesier eine Ausbildung im Bäckerhandwerk beginnen. Darüber sei er mit der GIZ und ZAV bereits im Gespräch. "Wir werden mit den Erfahrungen aus dem ersten Durchlauf in die Planung der zweiten Projektrunde gehen und das Projekt im kommenden Jahr nicht auf eine Region begrenzen. Es steht dann Betrieben aus dem gesamten Bundesgebiet offen."
Der Bildungsexperte des Zentralverbands ist davon überzeugt, dass die gezielte Anwerbung von zukünftigen Fachkräften für das Bäckerhandwerk zur Chance werden kann. "Wenn unsere Betriebe hierzulande keine Auszubildenden mehr finden, müssen wir auch neue Wege gehen und uns zur Deckung des Fachkräftebedarfs gezielt Alternativen aufbauen."
Kommentar schreiben