"Wer nicht gut zahlt, kann die Leute nicht halten"
Mit der Auftraggeberhaftung für Mindestlöhne stellte der Gesetzgeber die Baubranche unter Generalverdacht, meint Rechtsanwalt Kai Sturmfels. Heute ist es wichtiger, überhaupt Nachunternehmer zu finden.
Bei Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gab es viele Sorgen, dass die Haftung für Subunternehmer zur Kostenfalle werden könnte. Derzeit ist das kein Thema mehr, erklärt Kai Sturmfels, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Wichtig werde aber die Frage, wie man noch gute Nachunternehmer findet.
DHB: Die Auftraggeberhaftung für die Mindestlöhne führte bei ihrer Einführung 2015 in der Baubranche zu großer Verunsicherung. Wie hat die Rechtslage sich seitdem entwickelt?
Sturmfels: So dramatisch, wie damals erwartet wurde, ist es nicht gekommen. Die Befürchtungen der Bauwirtschaft und des Handwerks haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Der Gesetzgeber hat die deutsche Bauwirtschaft da ja aus meiner Sicht unter einen Generalverdacht gestellt. Aber es scheint, dass die große Mehrheit der Subunternehmer die Mitarbeiter angemessen vergütet. Die aktuell gute Baukonjunktur ist möglicherweise einer der Gründe dafür. Der Mindestlohn ist im Moment kein Thema mehr, die meisten Baufirmen zahlen höhere Löhne. Denn wer nicht gut zahlt, der kann die Mitarbeiter nicht halten. Selbst im Ausland herrscht derzeit großer Fachkräftemangel. Die Situation ist also eine andere als zur Einführung des Mindestlohngesetzes. Auch sind bisher nicht viele Fälle vor Gericht gelandet. Allerdings kennt die Baubranche die Haftung schon länger aus dem Arbeitnehmerentsendegesetz.
DHB: Um welche Fälle drehen sich denn typischerweise diese Prozesse?
Sturmfels: Meistens sind das Mitarbeiter eines Subunternehmers, die oft gemeinsam vor dem Arbeitsgericht ihre Lohnansprüche durchsetzen wollen. Die Mitarbeiter schließen sich zusammen und benennen sich gegenseitig als Zeugen vor Gericht. Da geht es um Stunden, die der Subunternehmer vermeintlich nicht gezahlt hat. Die Differenz wird dann bei den anderen Auftraggebern in der Auftragskette eingeklagt. Die Arbeitnehmer können sie nämlich alle auf einmal verklagen, weil sie alle nebeneinander in der Haftung stehen. Wir Juristen nennen das "Gesamtschuldner". Wer dann den Lohn nachzahlt, kann anschließend den eigentlichen Arbeitgeber in Regress nehmen – allerdings ist da oft nichts zu holen. Neben dem Lohn geht es dabei übrigens auch gegebenenfalls um die Beiträge zur Soka-Bau und Sozialversicherung.
DHB: Wie kann sich ein Unternehmer vor dieser Haftung schützen?
Sturmfels: Hundertprozentigen Schutz vor der Haftung gibt es nicht. Der Gesetzgeber hat das bewusst so gestaltet, dass eine Haftung immer möglich ist. Und zwar unabhängig vom Verschulden. Da ist es egal, ob ich die Zuverlässigkeit meines Nachunternehmers geprüft habe oder ob der mich hinters Licht führt oder ich gar nichts davon mitbekomme, dass der den Mindestlohn nicht zahlt: Ich hafte immer. Und diese Haftung geht bis zum Ende der Auftragskette.
DHB: Ist es möglich, mein Haftungsrisiko als Auftraggeber einzugrenzen?
Sturmfels: Ja, man kann die Risiken ein Stück weit reduzieren, aber nie komplett ausschließen. Man kann zum Beispiel vertraglich einiges regeln oder eine Vertragsstrafe vereinbaren. Am sinnvollsten ist es, eine Vertragserfüllungsbürgschaft einer Bank oder eines Kreditversicherers zu verlangen für den Fall, dass gegen die Mindestlohnanforderungen verstoßen wird. Ein Problem dabei ist jedoch, dass viele Subunternehmer diese Bürgschaft nicht bekommen, weil sie finanziell nicht so gut aufgestellt sind. Auch auf der Dokumentationsebene kann man sich absichern: Jeder sollte dafür sorgen, dass sein Nachunternehmer die nötigen Informationen herausgibt und nachweist, dass der Mindestlohn gezahlt wird – etwa indem man sich Lohnlisten vorlegen lässt.
DHB: Wie wird bei Herausgabe der Lohnlisten der Datenschutz gewährleistet?
Sturmfels: Da besteht in der Tat ein Spannungsfeld zum Datenschutz. Bislang gibt es noch keine Rechtsprechung zu diesem Thema. Die einfachste und sicherste Lösung ist, die Einwilligung der Mitarbeiter einzuholen.
DHB: Viele Handwerker machen als Subunternehmer die Erfahrung, dass der Auftraggeber eine Haftungsfreistellung verlangt. Wie reagieren sie am besten darauf?
Sturmfels: Jeder Handwerker hat es ja selbst in der Hand, dass es hier zu keiner Haftung kommt: Wer den Auftrag selbst ausführt und seine Mitarbeiter korrekt bezahlt und die Sozialleistungen abführt, hat kein Problem. Da ist sozusagen die eigene Zuverlässigkeit die beste Absicherung gegen die Auftraggeberhaftung. Und wer Subunternehmer beauftragt, muss nach zuverlässigen Partnern schauen und genau auswählen. Dafür kann man eine Auskunft beim Gewerbezentralregister einholen. Und man sollte darauf schauen, wie lange die Firma schon auf dem Markt ist und ob die Preise dem Marktniveau entsprechen. Liegen sie weit darunter, sollte man vorsichtig sein. Mir ist klar, dass es für einen Handwerksbetrieb im Alltagsgeschäft schwierig ist, auf all das zu achten, aber ein wenig Vorsorge ist da schon sinnvoll.
DHB: Die großen Generalunternehmer haben Standardverträge, mit denen sie sich umfassend absichern. Macht es Sinn, als Handwerker über diese Vertragsbedingungen zu verhandeln?
Sturmfels: In solchen Fällen ist es für den Handwerker als Nachunternehmer schwierig, Veränderungen an den Verträgen herbeizuführen. Die Generalunternehmer versuchen, sich weitestgehend zu befreien. Aber an der gesetzlichen Haftung können sie nichts ändern. Diskussionen um solche Vertragsbedingungen sind also ziemlich sinnlos. Ich habe auch schon mal den seltenen Fall gesehen, dass der Generalunternehmer zahlen musste, weil der Nachunternehmer mit seinen Mitarbeitern unter einer Decke steckte. Der Subunternehmer sah sich um seinen Werklohn geprellt und scheute den langen Prozess, stattdessen hat er einen Deal mit seinen Leuten vereinbart: Er zahlt ihren Lohn nicht mehr, sie holen sich vor dem Arbeitsgericht den Mindestnettolohn vom Generalunternehmer und danach machen sie halbe-halbe. Das ist rechtswidrig, da wird der gesetzliche Schutz der Arbeitnehmer missbraucht.
Das Interview führte Anne Kieserling
Kulturwandel
Einen Kulturwandel beim Thema Subunternehmer sieht Jurist Michael Bier, LL.M., Abteilungsleiter bei der Handwerkskammer Düsseldorf: "Der Markt ist leergefegt. Die Betriebe finden kaum jemanden, an den sie Aufträge untervergeben können, weil alle gut zu tun haben. In den letzten ein bis zwei Jahren hat sich die Kultur gewandelt: Der wirtschaftliche Druck, für jemand anderen zu arbeiten, ist nicht mehr da. Im Gegenteil, die Betriebe kommen mit der Arbeit nicht hinterher. Das liegt unter anderem an der guten Baukonjunktur und den niedrigen Bauzinsen. Und die Situation wird weiter angeheizt durch die seit Januar geltenden Steuervorteile für die energetische Gebäudesanierung. Aber das ist immer ein Auf und Ab und kann sich auch schnell wieder ändern. Die Betriebe verlieren vermutlich demnächst viele Fachkräfte durch den demografischen Wandel." Subunternehmer
Bei der Auswahl von Nachunternehmern sollte man die folgenden Regeln beachten:
- Seriosität: Bekannte und seriöse Subunternehmer nehmen. Auskunft beim Gewerbezentralregister einholen.
- Plausibilität: Ist das Angebot des Subunternehmers so niedrig, dass er mit Mindestlohn nicht gewinnbringend arbeiten kann, sollte er nicht beauftragt werden.
- Vertragserfüllungsbürgschaft einer Bank oder eines Kreditversicherers verlangen für den Fall, dass gegen die Mindestlohnanforderungen verstoßen wird.
- Vertragsstrafe vereinbaren, für den Fall, dass der Subunternehmer den Mindestlohn unterschreitet.
- Dokumentation: Jeder sollte dafür sorgen, dass sein Nachunternehmer die nötigen Informationen herausgibt und nachweist, dass der Mindestlohn gezahlt wird
- Lohnlisten vorlegen lassen. Der Subunternehmer muss dafür die Einwilligung der Mitarbeiter einholen.
- Diskussionen mit Generalunternehmern über deren Vertragsbedingungen sind ziemlich sinnlos, denn auch sie können die Haftung nie ganz ausschließen.
- Eigene Zuverlässigkeit ist die beste Absicherung gegen die Auftraggeberhaftung.
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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