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Welches Wissen hebt Ihren Betrieb ab?

Betriebsführung

So sichern Sie das Know-how älterer Kollegen für Ihren Betrieb und machen Ihr Team fit für neue Aufgaben.

Hermann Kasper ist auf der Zielgeraden. Seit fünf Jahren bereitet der Tischlermeister aus dem rheinland-pfälzischen Rhens sein Unternehmen auf einen Generationswechsel vor. In diesem Jahr ist es soweit: Kasper übergibt den 8-Mann-Betrieb an seinen Sohn. Und im Herbst geht der Altgeselle in den Ruhestand. Um diese Expertise für den Betrieb zu erhalten, haben Kasper und sein Team in den vergangenen Jahren viele Videos gedreht und Diagramme zu allen wichtigen Prozessen erstellt. "Diese Arbeit ist abgeschlossen", berichtet der Chef. "Unsere Nachfolger arbeiten schon selbstständig, wir machen jetzt nur noch das Feintuning im laufenden Prozess."

Hermann Kasper, Tischlermeister"Unsere Nachfolger arbeiten schon selbstständig, wir machen jetzt nur noch das Feintuning im laufenden Prozess."


In den Videos und Diagrammen gehe es um die Kenntnisse und Kniffe der erfahrenen Tischler. Es geht um Handgriffe, Einstellungen und Abläufe, "die unheimlich viel Zeit in der Fertigung sparen, wenn man sie richtig vorbereitet", sagt Kasper. Was die Videos zeigen, finde sich so in keinem Lehrbuch und dafür gebe es auch keine Fortbildungen. "Dieses Wissen kann man nur von Generation zu Generation weitergeben." Sein Team habe die Videos in einer Datenbank abgelegt, auf die jeder Mitarbeiter mit seinem Handy Zugriff hat. "Diese Videos sind selbsterklärend und werden immer zu Rate gezogen, wenn es um konkrete Aufgaben oder Probleme geht."

Lernen von Erfahrung 

Auch die Diagramme im A2-Format an den Werkstattwänden kommen regelmäßig zum Einsatz. "In den Diagrammen haben wir vor allem die Prozesswege dargestellt, von denen wir wissen, dass man davon gerne mal abweicht", sagt Kasper. Er habe Verständnis dafür, dass jemand mit Anfang 20 denkt, manches ginge auch anders. "Aber wenn es dann hakt, kann man mit dem Finger auf das Diagramm zeigen und fragen: Wo genau bist du gerade in diesem Prozess?", berichtet der Tischlermeister. "Daran kann man sehr gut erkennen, welche Punkte ein Kollege im Prozess übersprungen hat und wie einen das später wieder einholt." Der Lern­effekt sei enorm.

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Was Hermann Kasper besonders freut: Die jüngeren Mitarbeiter schätzen die Erfahrungen der älteren Kollegen. "Wenn der Altgeselle und der Chef knifflige Punkte an einer Treppenanlage besprechen, hören sie zu, um etwas zu lernen." Umgekehrt ist es aber genauso: Kasper schätzt die digitalen Kompetenzen der jüngeren Kollegen. Dass im Betrieb heute überwiegend mit Tablets und kaum noch mit Papier gearbeitet wird, sei ihr Verdienst. "Da sind uns die Jungs meilenweit voraus."

Strategische Aufgabe Wissenstransfer


Kollegen, die voneinander lernen, Wissen und Erfahrung weitergeben – das wird immer wichtiger im Handwerk, weiß Rolf Müller. "Dieser Wissenstransfer ist eine strategische Aufgabe für jeden Handwerksbetrieb", betont der Berater für Innovation und Technologien der Handwerkskammer Koblenz. Dabei gehe es gar nicht darum, alle möglichen Informationen vollständig zu erfassen und zu dokumentieren. Es gehe nur um jenes "entscheidende Wissen, das mein Unternehmen von anderen abhebt".

Was es dafür braucht? Zeit und Methodik, ein gutes Betriebsklima, digitale Tools und kompetente Unterstützung. Die gute Nachricht: die Berater für Innovation und Technologien der Handwerkskammern helfen den Betrieben dabei.

Welche Methode passt zu Ihnen?


Für den Wissenstransfer stehen verschiedene Methoden zur Verfügung:

  • Beim Tandemlernen geben ältere Mitarbeiter Wissen an jüngere Kollegen direkt weiter. Der Fokus liegt dabei auf jenem Erfahrungswissen, das nur schwer dokumentiert werden kann. Der Lerneffekt entsteht durch Erklärungen, Vormachen und Nachmachen.
  • Das sogenannte Mentoring zielt mehr auf soziales Lernen ab: Ein erfahrener Mentor unterstützt jüngere Kollegen bei der sozialen Eingliederung ins Unternehmen und vermittelt ihnen die ungeschriebenen sozialen Regeln des Betriebs.
  • Bei der Methode "Wissensstafette" geht es darum, Wissen möglichst effizient, strukturiert und vollständig weiterzugeben. Zu diesem Zweck wird das Wissen dokumentiert, zum Beispiel in Form von Wissenslandkarten, FAQs, Aufgabenbeschreibungen, Videos, Fotos, Podcasts oder Wikis.

Lerntandem und Mentoring gehören im Handwerk zum Alltag. "Jede Ausbildung ist nichts anderes als ein Wissenstandem und Mentoring ist beim Onboarding neuer Mitarbeiter in vielen Betrieben auch schon gelebte Praxis", sagt Müller. Einen Nachteil hätten beiden Methoden jedoch: "Man braucht zwingend Leute, die kontinuierlich beieinander sind. Die Werkzeuge der Wissensstafette eignen sich auch zeitversetzt. Ein Video zum Beispiel kann ich mir auch noch nach drei Monaten anschauen."

Mit Wissensstafetten hat Müller in Handwerksbetrieben schon gute Erfahrungen gemacht. Hat sich ein Betrieb erst einmal dafür entschieden, wie das Erfahrungswissen der älteren Kollegen strukturiert dokumentiert werden soll, kann man diese Aufgabe nach und nach erledigen. "Ich brauche ein Gerüst und dann geht es Schritt für Schritt voran", sagt Müller.

Voraussetzungen für Wissenstransfer

Wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Wissenstransfer sei ein gutes Betriebsklima, betont der Berater. "Hat ein Mitarbeiter die Sorge, dass er aufs Abstellgleis kommt und austauschbar wird, wenn er sein Wissen teilt, wird er nicht freimütig alle Informationen zur Verfügung stellen." Nur wer im Unternehmen geschätzt wird und davon überzeugt ist, dort eine Zukunft zu haben, werde sein Wissen teilen.

Das allein genüge allerdings nicht. Ebenso wichtig sind nach Müllers Erfahrung folgende Voraussetzungen für einen erfolgreichen Wissenstransfer:

  • Die Teilnahme ist freiwillig.
  • Der Chef verantwortet den Prozess, lässt den Mitarbeitern aber Freiräume für die Gestaltung.
  • Transparenz über Ziele und Inhalte des Wissenstransfers nehmen Ängste und verhindern Blockaden.
  • Der Prozess sollte professionell moderiert und strukturiert werden.

Digitalisierung und KI nutzen


Bei der Wahl der passenden Werkzeuge für den eigenen Betrieb können Berater für Innovation und Technologien wie Rolf Müller helfen. Sie haben zahlreiche Tools in ihrem Werkzeugkasten und können auch den Austausch zwischen den älteren und den jüngeren Mitarbeitern strukturieren und moderieren. Welche Werkzeuge ein Betrieb wählt, hänge immer von der Branche und den innerbetrieblichen Anforderungen ab. Klar ist für Müller jedoch, dass möglichst viele der verwendeten Werkzeuge digital sein sollten, damit das Wissen jederzeit dort zur Verfügung steht, wo es benötigt wird.

Müller ist zuversichtlich, dass Digitalisierung und Künstliche Intelligenz den Wissenstransfer im Handwerk zunehmend erleichtern. So könne Künstliche Intelligenz zum Beispiel beim Aufbau einer Wissensdatenbank die Verschlagwortung übernehmen und die Suche nach Informationen erheblich beschleunigen.

Und falls die Informationen direkt in den Prozessen genutzt werden können, sollten entsprechende Schnittstellen gleich mitgeplant werden. "Wenn es zum Beispiel in einer Metzgerei um Rezepte geht, um Mengen und Temperaturen, dann wäre es doch ideal, wenn mit diesen Informationen auch gleich die entsprechenden Maschinen gesteuert würden", sagt der Berater.

Führungskompetenz und Betriebsklima


Bestehendes Wissen zu sichern, ist eine Aufgabe. Eine andere ist es, mit den technischen und gesellschaftlichen Veränderungen Schritt zu halten und dafür neue Kompetenzen im Unternehmen aufzubauen. Das weiß auch Michael Huwald: "Natürlich ist es wichtig, bei den sich ständig ändernden Normen am Ball zu bleiben und dazu Fachvorträge und Seminare zu besuchen. Aber für uns ist auch wichtig, Kollegen eine persönliche und fachliche Weiterentwicklung zu ermöglichen, um sie auf neue Aufgaben und Positionen vorzubereiten", berichtet der Geschäftsführer der Elektro Rieger GmbH im niedersächsischen Langenhagen.

Dem 54-Jährigen geht es dabei um einen Strategiewechsel in dem 50-Mann-Unternehmen: "Früher war immer klar, dass wir auf Baustellen nur eigene Mitarbeiter einsetzen. Das ist heute nicht mehr möglich." Jetzt setze er auf Unterstützung aus dem Ausland, vor allem aus Polen. "Mein Ziel ist es, Baustellen von unseren Führungskräften leiten und von ausländischen Fachkräften umsetzen zu lassen." Daher sei es für sein Unternehmen wichtig, Mitarbeiter als Führungskräfte für diese Aufgaben zu qualifizieren. Zum Beispiel habe gerade ein Mitarbeiter eine zweiwöchige Fortbildung zum Oberbauleiter absolviert. "Der Kollege hat eine klassische Ausbildung als Elektriker, dann viel Industriemontage gemacht, sich zum Bauleiter entwickelt und jetzt zum Oberbauleiter."

Ebenso wichtig sei der "Umgang miteinander, die Führungskultur", betont Huwald. "Die Zeiten von Management nach Gutsherrenart und cholerischen Chefs sind vorbei.". Auch dafür gebe es Fortbildungen in seinem Unternehmen. Die würden sich doppelt auszahlen, weil sie das Arbeitsklima im täglichen Miteinander verbessern und gleichzeitig das Bedürfnis der Mitarbeiter nach Entwicklung erfüllen. "Die jungen Kollegen haben große Erwartungen, was Geld und Entwicklung angeht", sagt Huwald. Beim Geld könne ein Handwerksbetrieb mit der Industrie kaum mithalten. Umso wichtiger sei es, die Entwicklungsbedürfnisse der Mitarbeiter und des Betriebs in Einklang zu bringen und für ein gutes Arbeitsklima zu sorgen.

Bedürfnisse der Mitarbeiter


Bei der Auswahl passender Weiterbildungsangebote kommt es auf die Balance an – zwischen Anforderungen des Marktes, den Zielen des Unternehmens und den Wünschen der Mitarbeiter. So wichtig eine bestimmte Weiterbildung für einen Betrieb vielleicht ist: "Es bringt nichts, jemand zu einer Schulung zu verdonnern, wenn er das nicht will", warnt Stephanie Binge, Leiterin der Betriebsberatung der Handwerkskammer Koblenz. "Wenn der Mitarbeiter damit nicht zufrieden ist und darin keinen Sinn erkennt, dann hat der Betrieb am Ende nichts davon, außer Kosten."

Dabei hätten viele Mitarbeiter Interesse an Weiterbildungen. Entsprechende Angebote würden dazu beitragen, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, betont Binge. Sie empfiehlt Chefs im Handwerk, den Weiterbildungsbedarf und die konkrete Umsetzung gemeinsam mit dem Team zu planen. "Die Mitarbeiter wollen gefragt werden: ob sie das wollen, ob sie das können und ob das der richtige Zeitpunkt für sie ist" sagt Binge. In einer offenen Gesprächskultur im Unternehmen ließen sich Hindernisse leicht erkennen und Alternativen finden. "Hat ein Mitarbeiter gerade keine Zeit für eine Weiterbildung, weil er sich in einer schwierigen Familienphase befindet oder ein Haus baut, dann geht es vielleicht nur darum, einen späteren Schulungstermin zu finden." 

Engpässe einplanen


Bleibt noch das Problem mit den Engpässen im Betrieb: Bei der anhaltend hohen Auslastung fällt es nicht leicht, Mitarbeiter für Tage oder gar Wochen in Seminare zu schicken. "Es ist natürlich schwierig, wenn die Bücher voll sind und man dadurch einen Auftrag verliert", sagt Stephanie Binge. Auf der anderen Seite sei Fortbildung eine unternehmensstrategisch wichtige Aufgabe. "Wenn man einen klaren Bedarf hat, zum Beispiel technische Herausforderungen, bei denen man immer auf dem Stand der Technik sein muss, dann muss das einfach passend gemacht werden."

Andere Weiterbildungsthemen ließen sich leichter langfristig planen. In den Bau und Ausbaugewerken zum Beispiel für die Jahreszeit, in der die Auslastung witterungsbedingt nicht ganz so hoch ist. Auch in anderen Gewerken gebe es solche Phasen. "In einer Konditorei würde ich zum Beispiel keine Seminare vor Weihnachten planen, aber vielleicht im Sommer." Auch dazu gehöre Planung: "Wenn ich weiß, wann ich meine Mitarbeiter zur Weiterbildung schicke, muss ich das bei der Annahme neuer Aufträge berücksichtigen", sagt Binge.

Für Handwerksunternehmer Michael Huwald sind solche Ausfallzeiten eine geplante Investition. "Die Zeit müssen wir uns nehmen. Wenn ich mein Unternehmen weiterentwickeln will, muss ich dafür die Kapazitäten schaffen. Auch wenn ich weiß, dass mich das einen vierstelligen Betrag an nicht gemachtem Umsatz kostet – zusätzlich zu den Schulungs- und Übernachtungskosten."

Stephanie Binge, Leiterin in der Betriebsberatung der Handwerkskammer Koblenz"Die Mitarbeiter wollen gefragt werden: ob sie das wollen, ob sie das können und ob das der richtige Zeitpunkt für sie ist."


Fragen Sie 
Ihre Handwerkskammer

Das Angebot an Kursen und Seminaren ist riesig. Zu den wichtigsten Anbietern für Handwerksbetriebe zählen die Handwerkskammern und Fachverbände.

Wie zum Beispiel die Handwerkskammer Potsdam: "Wir entwickeln an unserem Bildungs- und Innovationscampus Handwerk (BIH) passgenaue Weiterbildungsangebote", erklärt Weiterbildungsberaterin Juliane Krüger von der Handwerkskammer Potsdam. "Dazu gehört auch, gesellschaftlich relevante Themen wie die Klimawende aufzugreifen, etwa in unserem Wärmepumpenlabor oder im bundesweit einmaligen Kompetenzzentrum für Energiespeicherung und Energiesystemmanagement." Auch zukunftsweisende Initiativen seien "am Puls der Zeit", etwa die Glasfaser-Fortbildungen im Rahmen der "Zukunftsoffensive Breitbandausbau in Deutschland", die in Kooperation mit der Deutschen 
Telekom Technik GmbH angeboten werde.

240 Lehrgänge in elf Fachbereichen

Das Weiterbildungsprogramm des BIH steche durch ­eine Vielzahl von Angeboten hervor: Es umfasse über 240 Lehrgänge in elf Fachbereichen und 30 hoch­moderne Werkstätten, darunter eine schweiß­technische Lehranstalt und eine zertifizierte KNX-Schulungs­stätte. "Ein Blick in die Weiterbildungs­angebote lohnt sich immer, aber der direkte Austausch mit unserer Beratung eröffnet oft zusätzliche Möglichkeiten. So bleibt unser Angebot immer am Puls der Zeit", sagt Krüger. Möchte ein Handwerksbetrieb beispielsweise ein ganzes Team schulen, könne die Handwerkskammer ein individuell zu­geschnittenes Inhouse-Seminar ­organisieren. Und falls es Hindernisse gibt, die einer Weiterbildung im Weg stehen? "Wir finden gemeinsam Lösungen, um jede Fortbildung möglich zu ­machen", sagt die ­Beraterin.DHB jetzt auch digital!Einfach hier klicken und für das digitale Deutsche Handwerksblatt (DHB) registrieren!

Text: / handwerksblatt.de

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