Kündigungsgrund? Marathonlauf während der Krankheit
Der Mitarbeiter soll sich schonen, damit er schnell wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann! Stimmt genau, werden jetzt wohl 99,9 Prozent aller Chefs sagen. Am besten, er hält sich zu Hause auf und kuriert die Krankheit aus.
Was aber, wenn der Mitarbeiter während seiner Arbeitsunfähigkeit einen Marathon läuft, oder sogar zwei? Konkret ging es in dem Fall, den das Arbeitsgericht in Stuttgart zu entscheiden hatte, um einen sportlichen Lageristen, der regelmäßig an Marathonläufen teilnimmt, Rad fährt, schwimmt und Fußball spielt.
Im Jahr 2006 war der Lagerist auf dem Weg zur Arbeit gestürzt und hatte sich das linke Schulterblatt gebrochen. Obwohl er daraufhin sechs Wochen lang arbeitsunfähig krank geschrieben war, wollte er in dieser Zeit bei zwei Marathonläufen starten. Kein Problem, meinte sein Hausarzt. Er bestätigte dem Lageristen, dass aus medizinischer Sicht nichts dagegen spreche und dies den Heilungsverlauf der Schulter nicht verzögern würde. Sollte er Schmerzen verspüren, müsse er aber die sportliche Betätigung einstellen.
Der Arbeitgeber schickte sofort die Kündigung
Aus einem Zeitungsbericht erfuhr sein Arbeitgeber von den Läufen und schickte dem Lageristen sofort die fristlose Kündigung (hilfsweise fristgerecht). Der Kündigungsschutzklage wurde stattgegeben und die Richter entschieden zu Gunsten des Arbeitnehmers. "Das Arbeitsgericht stellte klar, dass eine verhaltensbedingte Kündigung nur in Betracht komme, falls der Arbeitnehmer die Genesung ernsthaft gefährdet habe", berichtet der Bonner Rechtsanwalt Sebastian Witt von Meyer-Köring v. Danwitz Privat. Hierfür trage der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast. Der Betrieb hätte also nachweisen müssen, dass die Marathonläufe schädlich für die Genesung gewesen seien. Da der Hausarzt aber bescheinigt hatte, dass die Marathonläufe den Heilungsverlauf nicht beeinträchtigen werden, schied für die Richter eine Kündigung aus.
Fazit: Nicht jeder Kranke muss das Bett hüten
Eine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Mitarbeiter aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht in der Lage ist, seiner "vertraglich geschuldeten Tätigkeit" nachzugehen. Dies bedeute aber nicht automatisch, so Rechtsanwalt Sebastian Witt, dass er dann auch zu anderen Aktivitäten außerstande ist. Der Arbeitnehmer darf also auch während der Krankschreibung seinen Hobbies nachgehen und ggf. sogar Sport treiben, so lange dies die Heilung nicht beeinträchtigt. Und in einem Prozess müsste das vom Arbeitgeber bewiesen werden.
Beispiele: Ein wegen Tinitus arbeitsunfähiger Sachbearbeiter dürfte demnach weiterhin an seinem Privathaus bauen und eine Sekretärin könnte trotz Armbruch weiter joggen. Witt: "Es kommt immer auf die Erkrankung und die während dessen verrichtete Tätigkeit an, ob daraus eine Kündigung hergeleitet werden kann.
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 22. März 2007, AZ: 9 Ca 475/06
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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