Kein Kind ist zu klein für eine Untersuchung der Ohren und einer Behandlung von Hörschäden.

Kein Kind ist zu klein für eine Untersuchung der Ohren und einer Behandlung von Hörschäden. (Foto: © bialasiewicz/123RF.com)

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Gefährliches Quietscheentchen

Betriebsführung

Welche Auswirkungen hat Lärm auf das kindliche Gehör und wie kann man Kinder vor Gesundheitsschäden schützen? Experten aus ­Medizin, Forschung und Praxis geben Antworten.

Zwei bis drei von 1.000 Kindern erwerben eine Schwerhörigkeit bis zum zweiten Lebensjahr. Bei Schulkindern bestehen bis zu 24 Prozent den Hörscreening-Test nicht. Mehr als 500.000 Kinder sind von einer Schwerhörigkeit betroffen. Seit den 1980er Jahren hat sich die Anzahl lärmbelasteter Kinder und Jugendlicher verdreifacht. Diese Ergebnisse präsentierte Professor Dr. Martin Walger auf der Veranstaltung "Kinder im Lärm", zu der die Bundesinnung der Hörakustiker und die Deutsche Tinnitus-Liga in die Handwerkskammer zu Köln geladen hatten. Walger ist Leiter Audiologie und Pädaudiologie der Klinik für HNO-Heilkunde an der Uniklinik Köln.

International sieht es noch düsterer aus. Mehr als 32 Millionen Kinder weltweit haben behandlungsbedürftige Hörschäden. Über 60 Prozent davon hätten verhindert werden können, wobei Lärm eine große Rolle spielt, erklärte Professor Dr. Katrin Neumann, Leiterin des Hörkompetenz- und CI-Zentrums Ruhrgebiet und als Audiologie-Beraterin für die WHO tätig.

Hören beeinflusst Sprache

Da bei Kindern das Hören die gesamte Sprachentwicklung beeinflusst, ist eine Beeinträchtigung dramatisch, zumal die Schäden irreversibel sind. Diagnostiziert werden sollte eine Beeinträchtigung bis zum dritten Lebensmonat, warnte Dr. Ruth Lang-Roth, Leiterin Phoniatrie und Pädaudiologie von der HNO-Klinik der Universitätsklinik Köln. Bis zum sechsten Lebensmonat müsse es versorgt sein, wobei kein Kind zu klein für ein Hörgerät oder eine Funk-Sprech-Anlage (FM-Anlage) sei. Seit 2009 ist das Neugeborenen-Hörscreening etabliert, bei dem die äußeren Haarsinneszellen im Innenohr getestet werden. Um auch Kinder mit progressiven Hörschäden zu erfassen, ist 2016 ein zweites verbindliches Screening für Kinder im Alter bis zu acht Jahren in das Früherkennungsprogramm aufgenommen worden.

Auch mit diesen Präventionsmaßnahmen können nicht alle Fälle erfasst werden, deshalb empfahl Lang-Roth Eltern, stets wachsam zu bleiben, denn schon im Kinderzimmer lauern ungeahnte Gefahren. Eine Gefährdung des Gehörs setzt bei einem Geräuschpegel von 85 dB(A) ein, die Schmerzgrenze liegt bei 125 dB(A), darauf wies Siegrid Meier, Dozentin an der Akademie für Hörakustik in Lübeck, hin. Ab 80 dB(A) ist bei der Arbeit ein Gehörschutz vorgeschrieben. Diesen Grenzwert erreicht schon harmlos wirkendes Spielzeug. So liegt laut Meier der Geräuschpegel einer Spieluhr bei 65 bis 90 dB(A), ein Quietscheentchen kommt auf 130 dB(A), vergleichbar mit Flugzeug-Lärm, und eine Spielzeugpistole auf 150 dB(A).

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Norm zur Sicherheit von Spielzeug

Sie sehen so harmlos aus, können am Ohr eines Kleinkindes aber erheblichen Schaden anrichten: Quietscheentchen. (Foto: © Audrius Merfeldas/123RF.com) Sie sehen so harmlos aus, können am Ohr eines Kleinkindes aber erheblichen Schaden anrichten: Quietscheentchen. (Foto: © Audrius Merfeldas/123RF.com)

Mit der DIN EN 71-1 existiert eine Norm zur Sicherheit von Spielzeug, in der auch die akustischen Anforderungen aufgelistet sind. Bei Spielgeräten ab einer Lautstärke von 110 dB muss ein Warnhinweis angebracht werden. Doch Neumann bemängelte, dies gelte nur für Spielgerät, das dazu gedacht ist, Schall abzugeben, anderes erzeuge aber auch Lärm. Walger plädierte dafür, physiologisch basierte Modelle als Grundlage zu nehmen, um Grenzwerte für die Lautstärke von Spielzeug festzulegen.

Die Experten rieten, lautes Spielzeug vom Kinderohr fernzuhalten. Zum Vergleich: Eine Kindertrompete, die 2,5 Zentimeter entfernt vom Ohr ertönt, kommt auf 109 bis 125 dB(A), während sie 25 Zentimeter weit weg 92 bis 110 dB(A) erreicht. Auch die Raumakustik spielt eine Rolle. Meier betonte, dass bereits günstige Maßnahmen wie Teppiche oder Wände und Decken mit Absorbern Nachhall und Störschall in Schulen und Kitas dämpfen könnten.

Lösungen vom Hörakustiker

Technische Lösungen zu Prävention stellte Hörakustik-Meister Dirk Köttgen vor. Zur Auswahl stünden Standard-Gehörschutz wie Kapseln, Stöpsel oder Lamellen sowie individuelle Lösungen, die nach Ausmessung des Gehörgangs angefertigt würden. Für Kinder gäbe es Kapseln mit einem "sehr potenten" Dämmwert (angegeben in SNR: Signal to Noise Ratio oder Signal-Rausch-Verhältnis) von 27 dB, für Babys mit 23 dB. Die hohe Dämmung sei ein Vorteil ebenso wie die einfache Anwendbarkeit und geringe Verlustgefahr. Nachteile: Es wird warm unter den Kapseln, sie können drücken und das Richtungshören einschränken. Lamellen sind günstig und leicht einsetzbar, halten aber nicht lange, haben nur eine geringe Schalldämpfung und können ebenfalls drücken. Der individuelle Gehörschutz passt genau, erreicht einen hohen Dämmwert über alle Frequenzen gleichermaßen, er hält lange und ist leicht zu reinigen, dafür lässt er sich nicht schnell einsetzen, verliert mit der Zeit an Passgenauigkeit und ist ungeeignet, wenn der Gehörgang zu eng ist. Köttgens weitere Empfehlungen: über Gefahren aufklären, Lärm vermeiden, den Ohren Pausen gönnen, in angemessener Lautstärke Musik hören und dazu Kopfhörer mit individuellen Ohrpassstücken verwenden.

Schall: Geräusche werden durch Schwingungen erzeugt, die sich als Schallwellen ausbreiten. Die Lautstärke lässt sich messen. Das Maß für den von einer Schallquelle erzeugten physikalischen Schalldruck am Ohr nennt man Schalldruckpegel. Er wird in Dezibel (dB) angegeben. Dabei handelt es sich um ein ­logarithmisches Maß. Eine Pegeländerung um 10 dB entspricht also einer Verdoppelung oder Halbierung der empfundenen Lautstärke. Die Hörschwelle des Menschen liegt bei 0 dB, die Schmerzgrenze wird bei 125 bis 130 dB erreicht, wobei das menschliche Gehör hohe und tiefe Töne leiser wahrnimmt als solche, die im mittleren Bereich um etwa 1.000 Hertz herum liegen. Um dem Rechnung zu tragen, wird der Schalldruckpegel an eine Bewertungskurve angepasst, die leiser wahrgenommene Frequenzen entsprechend korrigiert. In der Regel handelt es sich um die sogenannte "A-Bewertung", weshalb die resultierenden Schalldruckpegel in dB(A) angegeben werden. Da sich Schall kugelförmig ausbreitet, besteht der wirksamste Schutz vor Lärm darin, sich von der Schallquelle zu entfernen. Zum Vergleich: Eine Kindertrompete, die nur 2,5 cm entfernt vom Kinderohr ertönt, kommt auf 109 bis 125 dB(A), während sie 25 cm entfernt im Pegel zwischen 92 und 110 dB(A) liegt.

Text: / handwerksblatt.de

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