Überstunden muss der Arbeitnehmer beweisen
Es ist Sache des Mitarbeiters, nachzuweisen, dass seine Überstunden notwendig, angeordnet oder zumindest vom Chef geduldet waren. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung ein EuGH-Urteil konkretisiert.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Was Sie als Chef im Handwerk wissen müssen
Verlangt ein Arbeitnehmer die Bezahlung von Überstunden, muss er genau darlegen und beweisen, wann und in welchem Umfang er Mehrarbeit geleistet hat. Die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs in seinem sogenannten "Stechuhr-Urteil" von 2019, wonach für Unternehmen eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung mit System besteht, ändern nichts an der Beweislast im Überstundenprozess, entschied jetzt das Bundesarbeitsgericht.
Der Fall
Ein Auslieferungsfahrer legte Stechuhr-Nachweise vor, die eine Mehrarbeit von 429 Stunden belegen sollten. Er verlangte dafür eine Vergütung von rund 6.400 Euro. Die Aufzeichnungen ließen jedoch ungeklärt, ob und wie viele Pausen er während der Arbeitszeit gemacht hatte. Nach der unveränderten Darlegungslast hätte der Fahrer beweisen müssen, dass er – wie von ihm behauptet – keinerlei Pausen gemacht, sondern während der Arbeit gegessen und geraucht habe.
Der Arbeitnehmer berief sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019. Damals hatte der EuGH entschieden, dass alle europäischen Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, ein effektives System zur Erfassung der Arbeitszeit einzuführen. Denn nur so könne sichergestellt werden, dass die rechtlichen Vorgaben auch tatsächlich eingehalten würden, argumentierte der Auslieferungsfahrer.
Dieser Auffassung war das erstinstanzlich entscheidende Arbeitsgericht Emden, das dem Mann recht gab und den Arbeitgeber zur Zahlung der Überstunden verurteilte. Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Az. 5 Sa 1292/20) siegte hingegen das Unternehmen.
Das Urteil
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sah jedoch keine Änderung der Beweislast. Es stellte sich auf die Seite des Arbeitgebers. Die Grundsätze zur Darlegungslast würden durch das Urteil des EuGH nicht verändert. Die Vorgaben der Europarichter dienten dem Gesundheitsschutz. Sie fänden aber grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer, denn die EU sei für Lohn-Fragen nicht zuständig. Die EU-rechtlich begründete Pflicht zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit habe deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem Recht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.
Praxistipps
"Dieses Urteil ist aus Arbeitgebersicht sehr zu begrüßen", erklärt Fachanwalt für Arbeitsrecht Maximilian Wittig. "Arbeitnehmer*innen können sich somit zukünftig nicht pauschal auf die Erbringung von Überstunden berufen, wenn die Arbeitgeber*innen eine unzureichende Zeiterfassung vornehmen. Arbeitnehmer*innen sind weiterhin in der Darlegungs- und Beweislast für die Erbringung der Überstunden. Dies gilt jedenfalls so lange, bis der deutsche Gesetzgeber aufgrund des "Stechuhr-Urteils" des Europäischen Gerichtshofs gesetzgeberisch tätig wird." Im Koalitionsvertrag wurde bereits festgelegt, sich der Arbeitszeiterfassung anzunehmen. "Expert*innen rechnen damit, dass das absehbare Gesetz zur Arbeitszeiterfassung für sämtliche Arbeitgeber*innen im vierten Quartal dieses Jahres auf den Weg gebracht wird", betont der Anwalt.
Für einzelne Branchen zeichne sich die Einführung einer digitalen Zeiterfassung per Gesetz bereits jetzt ab: So habe das Bundesarbeitsministerium vor, die Minijobs zu reformieren. Wittig: "In dem zugehörigen Gesetzesentwurf 'verstecken' sich jedoch auch Regelungen zur digitalen Zeiterfassung für elf Branchen. Es handelt sich hierbei um die Branchen des § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, also beispielsweise das Bau-, das Speditions- und das Gaststättengewerbe.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022, Az. 5 AZR 359/21
Das "Stechuhr-Urteil" des EuGH Die Arbeitszeiten der Beschäftigten müssen durch ein verlässliches System gemessen werden. Das sagt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 14. Mai 2019, Az C-55/18. Alle EU-Mitgliedstaaten der EU müssten die Unternehmen verpflichten, die tägliche Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Nur so ließe sich überprüfen, ob die zulässigen Höchstarbeitszeiten überschritten würden. Bekannt wurde der Richterspruch in den Medien als das "Urteil zur Rückkehr der Stechuhr".
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Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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