Spätstarter für die Erstausbildung gesucht
Eine Ausbildung lohnt sich – auch noch mit 25 oder 35 Jahren. In den nächsten drei Jahren sollen 100.000 ungelernte junge Erwachsene die Chance auf eine betriebliche Lehrstelle bekommen.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Einstieg in die Ausbildung
Heinrich Alt weiß, dass die Betriebe bei der Erstausbildung zunächst an Schulabgänger denken. Doch das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA) möchte die Wirtschaft dazu ermutigen, ihre Rekrutierungsstrategie zu erweitern – auch mit Blick auf den demographischen Wandel und dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel. Für einen 25-Jährigen ergebe eine Lehre aus seiner Sicht durchaus Sinn. Schließlich habe er noch viele Berufsjahre und eine Karriere vor sich. Dass der späte Start in die berufliche Zukunft mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte, ist Heinrich Alt klar. "Sicherlich ist es nicht einfach, sich mit 16-Jährigen auf die Schulbank zu setzen“, versetzt sich der BA-Vorsitzende in die Situation der Ungelernten. Das koste Überwindung, Anstrengung und Geduld. "Aber es lohnt sich – für beide Seiten.“
"AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht"
300.000 Arbeitslose im Alter zwischen 25 und 35 Jahren seien derzeit ohne Ausbildung, erklären die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesbildungsministerium (BMBF) in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Bei den Beschäftigten hätten in der Gruppe der 25 bis 35-jährigen gut eine halbe Million Menschen keinen Berufsabschluss. Hier setzt die von der BA und dem BMBF ins Leben gerufene Kampagne "AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht" an.
In den nächsten drei Jahren soll 100.000 jungen Menschen ohne Berufsausbildung "eine zweite Chance" gegeben werden. Dazu würden Jobcenter und Arbeitsagenturen in den kommenden Monaten intensive Gespräche mit den jungen Erwachsenen führen. "Wir wollen sie motivieren, ihre Fähigkeiten zu nutzen, sie auszubauen", so Heinrich Alt. Man werde jedem Jugendlichen dazu ein Angebot machen.
SPD: Flankierende Maßnahmen müssen folgen
Mit der Schwerpunktsetzung bei der Erstausbildung junger Erwachsener sieht Katja Mast die Bundesagentur auf dem richtigen Weg. Dieser Vorstoß allein reiche aber nicht aus, so die stellvertretende arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. "Auch die Bundesarbeitsministerium Ursula von der Leyen muss aktiv werden und den warmen Worten auch flankierende Maßnahmen folgen lassen."
Von der Leyen habe viel zu lange zugesehen, wie die eigenen Vorgaben, den hohen Anteil junger Menschen ohne Berufsabschluss zu reduzieren, verfehlt wurden. Gleichzeitig habe die Bundesregierung die Forderungen der SPD-Bundestagsfraktion, 200 Millionen Euro für die Ausbildung und Qualifizierung junger Erwachsener ohne Berufsabschluss bereitzustellen, abgeschmettert. Deshalb werde man in den kommenden Wochen eine Initiative für ein Sofortprogramm "Zweite Chance auf Berufsausbildung" in den Bundestag einbringen.
DGB: Zusätzliche Maßnahmen und steuerfinanziertes Bundesprogramm notwendig
"Wenn wir jetzt nicht mehr in die Bildung dieser jungen Menschen investieren, wird das zu hohen sozialen und arbeitsmarktpolitischen Folgelasten führen", warnt Wilhelm Adamy, Arbeitsmarktexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Um die Quote der Ungelernten zwischen 25 und 34 Jahren zu senken, macht sich der DGB für zusätzliche Maßnahmen zur Weiterbildungsförderung für Geringqualifizierte im Hartz-IV-System stark.
Ergänzend dazu sei auch ein steuerfinanziertes Bundesprogramm notwendig, um Erwachsene ohne Beruf und Erwachsene, deren Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragt wird, zu qualifizieren. Mit einem Fördervolumen von 400 bis 500 Millionen Euro pro Jahr könnten voraussichtlich 30.000 Qualifizierungsmaßnahmen realisiert werden.
Berufsschullehrer: Ausbildungssttruktur nicht "zerpflücken"
Der Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen (BLBS) begrüßt die Initiative "AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht". Der BLBS warnt jedoch davor, auf eine "zerpflückte", auf verschiedenen Ausbildungsbausteinen aufbauende Ausbildungsstruktur zu setzen. Verschiedenartigste Modelle außerschulischer Bildungsträger hätten in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es bei angelernten jungen Erwachsenen theoretisch hervorragend funktioniere, die in der Praxis erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten auf anerkannte Ausbildungsberufe anzurechnen. In der Umsetzung sei dies jedoch bisher nur in Ausnahmefällen realisierbar gewesen. Den Angelernten falle es in der Regel nicht schwer, sich die fehlenden Praxisinhalte "ihres ausgeübten angelernten Berufes" anzueignen. Große Schwierigkeiten gebe es jedoch, wenn es um die dazugehörenden Theorieanteile ging.
Deshalb fordert der BLBS die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesbildungsministerium auf, sich vor Beginn der Kampagne mit der zuständigen Berufsschule ins Benehmen zu setzen. Es müsse vorher geklärt werden, in welcher Weise der für einen Ausbildungsberuf unabdingbare Theorieanteil erlernt werden könne. Aus Sicht des BLBS reicht es nicht, die "jungen Leute zu motivieren, ihre Fähigkeiten zu nutzen und sie auszubauen, ihnen ein Angebot zu machen und auf die Partner in der Wirtschaft zu setzen", wie die Bundesagentur das in ihrer Pressemitteilung formuliert habe. Wichtig sei vielmehr, auch die Berufsschulen in das "Angebots-Kalkül" mit einzubeziehen. Es sei unabdingbar, dass die mit im Boot sitzen, die diese Inhalte vermitteln, denn der Anteil an theoretischen Lerninhalten wird bei allen Ausbildungsberufen immer größer.
Foto: © Anna Yakimova/123RF.com
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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