Azubis in Splitterberufen: Jedes Land fördert anders
Azubis in Splitterberufen werden in manchen Bundesländern massiv benachteiligt. Die Kosten für die Anreise zur weit entfernten Berufsschule sowie für die Unterbringung und Verpflegung werden auf sie abgewälzt. Das schadet der dualen Ausbildung.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Einstieg in die Ausbildung
Eigentlich haben die Büchsenmacher mehr als genug Schüler, um damit eine Fachklasse füllen zu können. 34 Männer und Frauen haben im vergangenen Jahr eine Ausbildung in dem Handwerksberuf begonnen. Das Problem ist nur: Sie sind über ganz Deutschland verstreut. Die Hälfte von ihnen stammt aus Bayern und Baden-Württemberg. Der Rest verteilt sich auf sieben weitere Bundesländer. In Schleswig-Holstein, Hessen und Thüringen gibt es jeweils zwei Auszubildende. Niedersachsen und Rheinland-Pfalz kommen auf einen. Für sie fällt ein wohn- oder ausbildungsortnaher Unterricht flach. Die Berufsschulen können mit diesen geringen Schülerzahlen nicht kostendeckend arbeiten. Um die theoretischen Ausbildungsinhalte zu vermitteln, werden deshalb länderübergreifende Fachklassen eingerichtet.
Die Büchsenmacher fassen die Auszubildenden an zwei Standorten zusammen. Die Gewerbliche Schule in Ehingen (Baden-Württemberg) nimmt Lehrlinge aus acht Bundesländern auf. Ihr Einzugsgebiet ist der Westen der Republik. Überwiegend aus den neuen Bundesländern reisen die Azubis zum Staatlichen Berufsbildungszentrum Suhl/Zella-Mehlis nach Thüringen an. Die Ausbildungsinhalte werden in mehrwöchigen Blöcken unterrichtet. Wegen der großen Entfernung ist tägliches Pendeln zur Berufsschule für die meisten Lehrlinge unmöglich. Sie sind auf eine Unterkunft und Verpflegung vor Ort angewiesen – je nachdem, aus welchem Bundesland sie kommen, werden Auszubildende aus Splitterberufen mit einem hohen Zuschuss zu den Fahrt- und Unterbringungskosten unterstützt oder finanziell im Regen stehen gelassen.
Auszubildende tauschen sich untereinander aus
Foto: © Comaniciu Dan/123RF.com"Die jungen Leute tauschen sich doch untereinander aus. Sie empfinden es schlicht als ungerecht, wenn der eine Auszubildende nichts bekommt, der andere aber von seinem Bundesland entsprechend unterstützt wird", sagt Dr. Kirsten Kielbassa-Schnepp vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Gegen die Ungleichbehandlung hat ein Berufsschüler in Baden-Württemberg geklagt. Ihm missfiel, dass das Land die auswärtige Unterbringung nur mit sechs Euro pro Tag bezuschusst. Im Sommer 2016 gab ihm der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim Recht (Az. 9S1906/14). Für die Richter war es unvereinbar mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes, dass das Land lediglich einen Zuschuss zu den Kosten gewährt. Baden-Württemberg sei verpflichtet, die Mehrkosten einer notwendigen Unterbringung und Betreuung hinreichend auszugleichen.
Das hat die Landesregierung in Stuttgart schnell korrigiert. In weiten Teilen der Republik, in der das Grundgesetz ebenfalls gilt, ist der große finanzielle Wurf dagegen ausgeblieben. "Hamburg und Nordrhein-Westfalen beispielsweise haben nach dem Urteil schnell reagiert, doch es sind längst noch nicht alle Länder aktiv geworden", stellt Berufsbildungsexpertin Kirsten Kielbassa-Schnepp fest. Wenn Standorte von Berufsschulen zusammengelegt werden und die Länder entscheiden, dass die Jugendlichen für ein, zwei Wochen fern der Heimat unterzubringen sind, dann müssten sie auch deren Unterbringung und Verpflegung finanzieren.
Übersicht Eine Übersicht, welche Bundesländer sich an den Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Fahrtkosten beteiligen, finden Sie in dem Online-Beitrag "Zuschüsse zum Blockunterricht der Berufsschule – das zahlen die Bundesländer" auf handwerksblatt.de.
Auszubildende müssen immer mobiler werden
Zur Mobilitäts-Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und BerufsforschungJunge Menschen mobiler zu machen, wird aus Sicht des Handwerks immer wichtiger. Denn auf dem Ausbildungsmarkt kommen Anbieter und Nachfrager oft nicht mehr zusammen. "Wir sind der Wirtschaftsbereich mit der relativ größten Zahl unbesetzter Lehrstellen", erklärt Kirsten Kielbassa-Schnepp. Zuletzt blieben über 17.000 Ausbildungsplätze frei. Das entspricht einer Quote von elf Prozent.
Teilweise müssen Auszubildende weit fahren, um zur nächsten Berufsschule oder zu ihrem Arbeitgeber zu kommen. Ein kostengünstiges und landesweit gültiges Ticket wäre eine große Hilfe für sie. Foto: © saksit kuson/123RF.comEines der gravierenden Probleme: Ein Jugendlicher findet seinen Traumberuf. Doch der Ausbildungsbetrieb liegt in einem anderen Verkehrsverbund, einem anderen Landkreis oder sogar Bundesland. "Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt, dass Auszubildende bereits heute häufig größere Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsort zurücklegen müssen", verweist die Referatsleiterin beim ZDH auf die Studie von Januar dieses Jahres. Da die jungen Nachwuchskräfte mehrheitlich nicht motorisiert seien, bräuchten sie eine günstige, mindestens bundeslandweit gültige Fahrkarte, um den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nutzen zu können. "Studenten bekommen mit ihrem Semesterausweis ein Ticket, mit dem sie den ÖPNV nutzen können. Ein entsprechendes Angebot müsste es auch für Auszubildende geben", fordert Kirsten Kielbassa-Schnepp.
Azubi-Tickets: Welche Bundesländer haben es schon?
Azubi-Ticket - wer hat es und wer hat es (noch) nicht? Wir zeigen es in unserer Übersicht.Einige Bundesländer haben sich bereits auf den Weg gemacht. Vorreiter ist Hessen. Dort gibt es das Schülerticket Hessen seit dem 1. August 2017. Es kostet 365 Euro im Jahr. "Ein Euro pro Tag – das ist wirklich ein sehr gutes Angebot, das wir uns auch für alle anderen Bundesländer wünschen würden", sagt Kirsten Kielbassa-Schnepp. Thüringen erprobt sein Azubi-Ticket seit dem 1. Oktober 2018. Für die nahezu landesweit gültige Fahrkarte zahlen Auszubildende 600 Euro jährlich. Im Sommer 2019 sind mit Berlin, Brandenburg (gemeinsamer Verkehrsverbund; VBB-Abo Azubi kostet 365 pro Jahr), Nordrhein-Westfalen (landesweit gültige Fahrkarte für 984 Euro im Jahr) und Sachsen (AzubiTicket Sachsen: 816 Euro im Jahr) vier weitere Bundesländer dazugekommen. Ab dem Ausbildungsjahr 2020/2021 wird es auch in Hamburg (BonusTicket für Azubis: 360 Euro im Jahr) eine günstige Monatsfahrkarte für Azubis geben. "Da die Pendelbewegungen auch über die Grenzen eines Bundeslandes hinausgehen, muss langfristig ein bundesweit gültiges Ticket für Auszubildende kommen", so die ZDH-Bildungsexpertin.
"Bedarf an Jugendwohnen wächst"
Eine eigene Wohnung kann sich nicht jeder Azubi leisten. Angebote wie Jugendwohnen müssen deshalb ausgebaut werden, fordert der ZDH Foto: © Kurhan/123RF.comDer Unterricht an der Berufsschule ist als Teilzeit- oder Blockunterricht organisiert. Teilzeit heißt: Die Auszubildenden kommen ein- oder zweimal die Woche. Dies ist in Berufen, in denen es regional oder bundesweit nur noch wenige Lehrlinge gibt, nicht möglich. Sie müssen in Blöcken von einer oder mehreren Wochen beschult werden. Dies gilt auch für die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU), die den Auszubildenden der überwiegend kleinen und mittelgroßen Handwerksbetriebe auch die praktischen Grundlagen vermittelt. Für die Dauer der Berufsschule oder der ÜBL werden sie in Internaten oder Wohnheimen untergebracht. Auch hier muss sich nach Einschätzung von Kirsten Kielbassa-Schnepp etwas tun. "Der Bedarf von Jugendwohnen wächst", meint die Referatsleiterin für berufliche Bildung beim ZDH.
Förderprogramm der Bundesagentur für Arbeit
Mehr Infos zu den Förderkonditionen der Bundesagentur für ArbeitSeit dem 1. Januar 2019 fördert die Bundesagentur für Arbeit wieder Umbauten, Erweiterungsbauten oder Neubauten von Jugendwohnheimen für Auszubildende. Bis zum 31. Dezember 2021 zahlt sie den Trägern wie etwa den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege oder gemeinnützigen Einrichtungen dafür einen einmalige Zuschuss – pro Heimplatz maximal 25.000 Euro. "Es ist erfreulich, dass die Finanzierung verlängert worden ist, aber es muss noch deutlich mehr in die kurzfristige, aber auch in die langfristige Unterbringung von Azubis investiert werden", ist Kirsten Kielbassa-Schnepp überzeugt. Ihr Fazit lautet: "Anerkennung und Wertschätzung spiegeln sich auch in der Unterstützung bei Mobilität und Unterbringung der jungen Menschen wider. Das bringt Motivation und setzt Anreize, sich für eine berufliche Ausbildung zu entscheiden."
Jedes Jahr listet die Kultusministerkonferenz auf, in welchen anerkannten Ausbildungsberufen länderübergreifende Fachklassen für Splitterberufe eingerichtet werden. Die 31. Fortschreibung für das Jahr 2019 ist lang. Sie umfasst 252 Seiten.
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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