Große Oper, große Gefühle
Seit über 100 Jahren erklingen Arien in der Arena von Verona. 15 000 Zuschauer passen ins römische Amphitheater – und einer, Giancarlo Soave, organisiert als Claqueur den Applaus. Zur Foto-Galerie!
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, vor allem aber diesem Anfang: Zur blauen Stunde nach Sonnenuntergang, wenn sich der Vorhang der Nacht langsam über die Dächer der Stadt senkt. Die Hitze des Tages hat sich verzogen, in der milden Brise flattern die Fahnen, und im Amphitheater von Verona erlöschen, von unsichtbarer Hand gesteuert, nach und nach fast alle Scheinwerfer.
Erste Aufführung 1913
Tausende von Lichtpünktchen flackern dann im Parkett und auf den Rängen, bewegen sich wie eine Kompanie von Glühwürmchen, die Ballett tanzt. Als man hier 1913 zum ersten Mal Verdis "Aida" aufführte, gab es keinen Strom an den Sitzplätzen in der Arena: Wer sein Libretto studieren wollte, musste eben eine Kerze mitbringen. Das Ritual des Kerzenanzündens hat bis heute überlebt.
Feuchte Hände im Publikum
Auf der Bühne werden sie gleich die ganz große Oper geben und das ewige Lied von Freundschaft und Liebe spielen, von Hass und Eifersucht, von Erlösung und Tod. Unter freiem Himmel, ohne Mikrofon oder Verstärker, weil die Römer schon vor 2000 Jahren etwas von Akustik verstanden. Die Musiker im Orchestergraben sind trotz all ihrer einstudierten Professionalität ein wenig nervös. Das gilt auch für die Sänger, Solisten und Statisten. Die ersten Takte von Verdis Werk erlösen zwar die 15 000 Besucher in der Arena von der erwartungsvollen Erregung, die sich bei ihnen angestaut hat. Doch einer im Publikum bekommt feuchte Hände. Und konzentriert sich.
Der Mann ohne Eintrittskarte
Er kommt zu jeder Vorstellung, die ganze Opernsaison von Juni bis September, und braucht für keine eine Eintrittskarte. Er hat seinen festen Standort: Von der Bühne aus gesehen rechts, etwas erhöht im Rang – bei weitem nicht der beste Platz, aber einer, von dem aus er das Geschehen gut beobachten kann. Ob sie nun wie heute Abend "Aida" spielen oder wie in den nächsten Tagen "Carmen", "La Traviata" und "Turandot": Er kennt alle Opern auswendig, singt sie im Kopf mit. Giancarlo Soave ist der Claqueur der Arena di Verona. Er organisiert den Applaus der 14 999 anderen Zuschauer – ehrenamtlich, ohne Bezahlung.
Wenn der Tenor zur Arie "Celeste Aida" abhebt und die holde Sklavin als Königin seiner Gedanken rühmt, beginnt es in Signore Soave zu kribbeln. Noch ein paar Takte, der Solist hält inne – und der Claqueur setzt ein. "Bravo!" ruft er, klatscht energisch in die Hände, bricht damit den Bann der schweigenden Masse. Vom Parkett mit den gepolsterten Sesseln bis hinauf in die letzte Reihe an der Kante des Amphitheaters, wo man auf den kühlen römischen Steinquadern sitzt, frisst sich der Applaus durch die Reihen wie ein vom Wind angefachtes Buschfeuer.
Ein Leben der Oper
"Ich mache den Künstlern Mut. Und signalisiere dem Publikum, wann es applaudieren kann. Die Leute sind vorsichtig: Niemand will sich mit einem Klatschen zum falschen Zeitpunkt blamieren", sagt Giancarlo Soave. Der rüstige 77-Jährige hat früher als Krankenpfleger gearbeitet, doch sein Leben gehört der Oper. "Startenor Mario del Monaco hat mich vor Jahrzehnten einmal gefragt, ob ich für ihn den Applaus machen könne. Ich habe zugesagt, und bin seither immer hier." Täuscht er Publikum und Künstler nicht mit seinen Beifallsbekundungen? "Ach was", sagt der Claqueur, "wem eine Vorstellung nicht gefällt, dem gefällt sie nicht. Gegen 15 000 Besucher, denen eine Inszenierung nicht passt, kann ich beim besten Willen nicht anklatschen."
Doch was ist, wenn ihm eine Darbietung missfällt? Muss man den Claqueur dann fürchten, weil er sich in einen Buhmann verwandelt? "Nein. In all den 50 Jahren habe ich noch nie etwas Schlechtes gerufen", entgegnet Giancarlo Soave. Sein Klatschen, sagt er mit leuchtenden Augen, sei immer ehrlich: "Ich lasse mich jeden Abend aufs Neue verzaubern." So ist sein Applaus nie routiniert. Und wenn der Funken Magie überspringt, der in jeder Oper steckt, hält es ihn nicht mehr auf seinem Sitz. "Viva Maestro!" ruft der Claqueur und springt auf. Und weil auch dem allergrößten Meister Ehre gebührt, schallt dann noch ein "Viva Verdi! Viva! Viva!" durch die Arena.
Fotos: © Helge Bendl
Anreise
Germanwings und Lufthansa fliegen von verschiedenen deutschen Flughäfen direkt nach Verona. Günstig sind die Europa-Spezial-Tickets der Bahn (39 Euro).
Opernfestspiele 2016
Das Opernfestival 2016 läuft vom 24. Juni bis 28. August. Geplant sind 46 Opernabende. Tickets kosten von 21 Euro (nicht nummerierte Rangplätze) bis 226 Euro (Parkettplätze Kategorie Gold für den Eröffnungsabend). Infos und Karten gibt es hier!
Angebote
Verona-Kenner Robert Schweitzer organisiert exklusive Opern-Arrangements mit Unterkünften an der Arena, Karten für die besten Plätze, und Begegnungen mit den Sängern (ab 1795 Euro, Tel. 06154/3021). Studiosus bietet eine fünftägige Reise zu den Festspielen mit Opernbesuchen und Führungen in Verona, Mantua und Vicenza (ab 1160 Euro, Tel. 00800/24022402).
Text:
Helge Bendl /
handwerksblatt.de
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