Moto Guzzi 850 T: Keine Signora von der Stange
Der Erfurter Helmut Lamberty entdeckte seine Liebe für Motorräder erst spät. Mit großer Präzision veredelt er seit 30 Jahren sein Traum-Bike.
"Ich habe mich erst mit 18 für Motorräder interessiert, das war eine Rebellion gegen meine Eltern, sie waren gegen Zweiräder, und es war ein wenig Rocker-Feeling", erzählt der fingerfertige Tüftler. 1992 zog er aus Köln zwecks Studiums nach Erfurt – und blieb.
Ein hässliches Entlein wird zur Signora
1990 begann der gebürtige Kölner Lamberty mit den Arbeiten an seiner Moto Guzzi, die seinerzeit noch ein hässliches Entlein war. Foto: © Helmut LambertyMit einer Kopflupe ausgerüstet bearbeitet er gerade sein Werkstück, ein Stahlgehäuse der Uhrenschmiede "VintageVDB" ("Vintage Daily Beater"), die Nostalgie-Look mit moderner Technik vereint. Leicht vornübergebeugt gibt er dem Gehäuse mit Feile und Dremel den präzisen Schliff. Den mögen Kunden des Drei-Mann-Unternehmens aus der thüringischen Landeshauptstadt. So etwa Jan Ullrich, Hoss Power und Boss Burns (Boss Hoss), Hollywood-Export Ralph Möller und die Rocker von "Kiss".
Ebenso präzise und penibel wie mit den exklusiven Uhrengehäusen verfuhr der Kölner, gelernter Gärtner und Diplom-Ingenieur für Landschaftsarchitektur, mit seinem "hässlichen Entlein", das er liebevoll "Signora" taufte: eine Moto Guzzi 850 T für 4.500 Mark aus Mitte der Siebziger Jahre, die er im Januar 1990 bei Guzzi-Händler Sigurd Dümig im unterfränkischen Faulbach entdeckte. Dümig ist in Guzzi-Kreisen als Vorsitzender des Vereins "Moto Guzzi Club 'Kupferpaste‘ e.V" bekannt und veranstaltete im August 2019 bereits zum 28. Mal das auch international beachtete Treffen in Collenberg am Main.
Elfeinhalb Stunden am Seil
"Die Signora war weiß-rot-schwarz lackiert, eckiger Motor, seltsame Monocoque-Verkleidung, insgesamt in einem arg gebeutelten Zustand", erzählt Lamberty. Seine Liebe für die legendären Zweizylinder aus Mandello del Lario entspringt einer Begegnung auf der IFMA 1989 in Köln, als er auf der neuen 1000S Probe saß. Die war zu teuer für seinen Lehrlingslohn.
"Ich hatte vor der Signora eine Kawasaki GPZ 250 und zwei Yamahas XJ 650", sagt der Schrauber-Autodidakt, zu dessen verwegendsten Erlebnissen eine 270-Kilometer-Tour auf der schottischen Isle of Skye gehört. "Bei der XJ war das Steuergerät kaputt, sie lief nur noch auf zwei Zylindern. Wir haben sie mit einem Seil von Motorrad zu Motorrad abgeschleppt, elfeinhalb Stunden lang", schüttelt er noch heute den Kopf.
Deutlich länger dauerte die Wiederherstellung seiner Neuerwerbung, die er im Keller des einst am Kölner Hansaring ansässigen Motorrad-Bekleidungsshops "Motostore" aufbaute. "Ich dachte, sie mit 7.000 Mark Gesamtkosten Einsatz fertig zu haben", erklärt Lamberty. Bei 12.000 Mark hörte er auf nachzurechnen.
Das Gefühl des Breitgrinsens
In seiner raren Freizeit tourt Lamberty mit seiner Signora am liebsten durch Europa. Foto: © Helmut LambertySein bester Freund Michael aus Werbach bei Tauberbischofsheim war beim Neuaufbau eine große Hilfe. In dessen offener Garage wurde die Maschine noch im Januar 1990 zerlegt, Rahmen und weitere Teile zum Beschichten gegeben. "Den Rest habe ich mit meinem alten Jetta nach Köln gefahren", erzählt Lamberty, "im Mai kam Michael für eine Woche zu mir und setzte die Elektrik instand." Zu dieser Zeit jobbte der künftige Guzzi-Fahrer, der das Gärtnern nach der Ausbildung geschmissen hatte, im "Motostore" als Verkäufer.
Nach der Arbeit lernte er das Motorrad, das kein "Bike von der Stange" werden sollte, beim Säubern, Sichten und Aufarbeiten kennen und lieben. Und lernte sie zu verfluchen, wenn sie seinen finanziellen Rahmen sprengte. Im Juni 1990 verließ die fertige, komplett schwarz lackierte 850er den Keller, Lamberty lernte das Gefühl des Breitgrinsens kennen, wenn "beim Fahren einfach alles passt", und natürlich auch den Sound der Auspuffrohre von Lafranconi.
"Leider ist Michael mit seiner Yamaha auf der Autobahn in einen Bootsanhänger gefahren", trauert Lamberty auch heute noch um den tödlich verunglückten Freund. Doch er überwand den Schock, ließ sich die Freude am Bike nicht nehmen. Auf seiner Signora lernte er die Cote d’Azur und die französischen Alpen kennen, fuhr nach Norwegen, Polen, Tschechien, Österreich – und nach Italien. Aus dem einstigen Amateur-Schrauber ist längst ein Profi geworden, der nahezu alle Wartungen und Reparaturen selbst ausführt.
Wenig gefahren oder Tacho kaputt?
Als Lamberty 2011 seinen Job bei "VintageVDB"-Gründer Stephan Obst antrat, stand zunächst der berufliche Werdegang im Fokus, mit Auswirkungen auf das Biker-Leben: die Zeit wurde knapp. "2013 fragte mich der TÜV-Prüfer höchst erstaunt, ob ich in zwei Jahren tatsächlich nur 400 Kilometer gefahren bin oder der Tacho kaputt ist?", erzählt er lachend.
Lamberty war klar, dass er etwas ändern musste. Als er einen grauen Porsche 911 mit orangenen Schriftzügen des US-Autoherstellers Singer im Netz sah, stand sein Plan: ein solches Design sollte es sein! Seit 2013 erstrahlt die 1975 gebaute Signora im neuen Glanz, über 40.000 Kilometer hat Lamberty sie bereits im grauen Gewand gefahren.
Mit der Erfurter Präzisionsarbeit unterwegs
Lamberty und sein ganzer Stolz: die Moto Guzzi 850 T hat er in vielen Jahren Arbeit ganz nach seinen Wünschen gestaltet. Foto: © Helmut LambertySo etwa zum 25. "Kupferpaste"-Jubiläumstreffen im August 2016, im September 2017 zur Feier des 95. Geburtstags des ältesten italienischen Motorrad-Herstellers in Mandello del Lario an den Ufern des Comer Sees oder jüngst auf großer Sardinien-Tour.
Am Comer See werden Moto-Guzzi-Enthusiasten aus aller Welt die Signora im September 2021 bewundern können, denn dann feiert der renommierte Zweirad-Hersteller seinen 100. Geburtstag. Natürlich wird auch Lamberty mit seiner Erfurter Präzisionsarbeit dabei sein!
Text:
Jürgen Ulbrich /
handwerksblatt.de
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