DHB: Frau Boguslawski, Herr Ehinger, wie würden Sie die Zusammenarbeit des Elektrohandwerks und der IG Metall charakterisieren?
Ehinger: Im Großen und Ganzen sind Verband und IG Metall auf einer Linie, besonders, wenn es darum geht, den Beruf und die Branche nach vorne zu bringen. Wir arbeiten in vielen Dingen sehr positiv miteinander, etwa bei der Weiterentwicklung der Berufsbilder in puncto Digitalisierungsthemen. Auch beim Thema „Arbeitsschutz“ haben wir Schnittmengen, an denen wir gemeinsam arbeiten. Beim Thema „Tariftreue“ sind wir uns dagegen nicht immer einig. Das per Gesetz durchzusetzen, halte ich für sehr kritisch. Ich finde zwar, dass Tariftreue belohnt werden muss. Aber die Art und Weise, wie die Politik das umzusetzen will, ist für das Handwerk eher schädlich. Denn das bedeutet für den durchschnittlichen, in der Regel eher kleinen Handwerksbetrieb nur eine weitere Bürokratiehürde. Und auch, wenn es um Geld geht oder auch hinsichtlich der Flexibilisierung der Arbeitszeit haben wir manchmal andere Vorstellungen. Trotzdem zeigt unsere Zusammenarbeit, wie gut Tarifautonomie funktionieren kann.
Boguslawski: Uns eint der Wille zu einer guten Sozialpartnerschaft. Wir wollen gute Arbeitsbedingungen gestalten und damit das Elektrohandwerk nach vorne bringen und attraktiv machen. Dazu gehört auch, gegenüber der Politik bestimmte Dinge zu adressieren. Beim Zukunftsdialog Handwerk sprechen wir über Fachkräfte, Klima und Handwerk. Auch bei der Weiterentwicklung von Ausbildungsberufen versuchen wir gemeinsam die Sozialpartnerschaft nach vorne zu tragen. Im Handwerk haben wir schon eine besondere Rolle, wie wir miteinander arbeiten.
DHB: Sie haben schwierige Themen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern angesprochen: Entlohnung, Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Digitalisierung. Da gibt es aktuell große Veränderungen. Bei Veränderungen sind die Gewerkschaften oft zurückhaltend. Würden Sie das auch so sagen?
Boguslawski:Wir sind nicht per se gegen Veränderungen. Uns ist wichtig, diese Veränderungen gemeinsam zu gestalten: sozial, ökologisch und demokratisch. Wir streiten mitunter mit der Arbeitgeberseite über die Ziele und die Wege. Das ist auch völlig normal und das gehört dazu. Am Ende geht es darum, sich auf einen gemeinsamen Weg zu verständigen und den dann auch umzusetzen. Ein Beispiel war die Tarifverhandlung in der Metall- und Elektroindustrie. Da befinden wir uns in einer wirtschaftlich extrem schwierigen und unsicheren Lage. Wir haben mit dem schnellen Tarifabschluss dennoch als Sozialpartner ein Zeichen gesetzt: Es geht auch gemeinsam, auch wenn die Grundpositionen zu Beginn der Verhandlung ganz weit auseinanderlagen. Wir sagen: Wir haben eine Verantwortung für dieses Land. Im Elektrohandwerk geht es uns um die Attraktivität der Branche und für die Beschäftigten. Wir streiten im besten Sinne für gute Kompromisse. Das ist unsere Stärke.
Ehinger: Wichtig ist, dass Veränderungen Sinn machen müssen. Denn nicht jede Veränderung ist per se gut. So ist momentan etwa die duale Berufsausbildung in den Klimahandwerken in der Diskussion. Weil es zu wenig Fachkräfte gibt, werden aktuell Schnelllehrgänge mit sehr begrenzter Qualifikationstiefe diskutiert. Das kann aber nicht die Lösung sein, denn die duale Berufsausbildung hat ihre Berechtigung und sie ist das Fundament, damit es auch künftig qualifizierte Fachkräfte gibt. Zudem haben Schnellausbildungen viele Nachteile. Sie entziehen dem Arbeitsmarkt Fachkräfte, die dann mangels umfassender Qualifizierung später auch nicht flexibel einsetzbar sind
DHB: Wie ist die gemeinsame Haltung bei Teilqualifizierungsmaßnahmen? Die angesprochenen Schnellgangausbildungen gibt es eher in der Industrie, weniger im Handwerk.
Ehinger: Die duale Ausbildung ist und bleibt der Königsweg. Die ganze Welt beneidet uns um unsere duale Ausbildung, besonders im Handwerk. Von einer im Schnellverfahren erworbenen Qualifikation profitiert dagegen niemand und sie ist auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt nicht nachhaltig. Wir haben schon verstanden, dass wir die duale Berufsausbildung weiterentwickeln müssen. Deswegen haben wir das Teilqualifzierungssystem entwickelt. Denn nicht alle Menschen sind für eine klassische duale Berufsausbildung geeignet. Schnellehrgänge, denen die Perspektive fehlt, unterscheiden sich jedoch deutlich von einer gut gemachten Teilqualifizierung. So basiert eine Teilqualifizierung auch weiterhin auf dem Rahmenlehrplan unserer Berufsausbildung. Auf diese Weise schaffen wir die Möglichkeit, auch mithilfe von Teilqualifizierungen über einen längeren Zeitraum berufsbegleitend modular zu einem vollwertigen Berufsabschluss zu gelangen.
Boguslawski: Eine vollwertige Berufsausbildung ist Grundlage für das Arbeitsleben. Wir teilen den Ansatz, für junge geringqualifizierte Erwachsene über 25 Jahre neben anderen Instrumenten auch Einstiegsangebote über Teilqualifikation zu machen. Aber das Ziel für Beschäftigte und Unternehmen muss eine vollwertige Berufsausbildung der Menschen sein. Damit werden sie vielfältig einsetzbar und haben eine bessere Zukunftsperspektive. Genauso haben es damit auch Betriebe leichter, mit ihren Beschäftigten ihr Geschäftsmodell anzupassen.
Ehinger: Eine vollwertige und vollumfängliche Ausbildung ist das, was einen Menschen ein Leben lang trägt. Mit einer Ausbildung als Elektroniker muss man sich, da bin ich ziemlich sicher, die nächsten zwei, drei Dekaden jobtechnisch keine großen Gedanken machen.
DHB: Können die Ausbildungsordnungen mit der Geschwindigkeit der technischen Entwicklung mithalten?
Ehinger: Bei der letzten Novellierung der Ausbildungsberufe vor 15 bis 20 Jahren wurde das Berufsbild bewusst relativ offengehalten. Das hat uns geholfen. Bei der Novellierung vor drei Jahren haben wir dann alle e-handwerklichen Berufe weiter überarbeitet, deren Zahl reduziert, gleichzeitig aber auch einen ganz neuen Beruf geschaffen: den Elektroniker für Gebäudesystemintegration. Dieser ist ganz auf die mit der Energiewende und der Sektorkopplung entstehenden Anforderungen ausgerichtet. Die Betriebe haben zudem die Chance, ihre Themen einzuarbeiten. Dadurch bleiben wir „up to date“. Wenn wir in puncto Anpassungsgeschwindigkeit ein Problem haben, haben wir es eher in der Schule und in der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung. Dort Dinge anzupassen, ist deutlich langwieriger.
Boguslawski: Die Ausstattung der überbetrieblichen Bildungsstätten und die Qualifikation und die Bezahlung des Lehrpersonals müssen besser werden, damit auch dieser Berufszweig weiterhin attraktiv bleibt. Ich denke etwa an einen guten Meister mit einer guten Bezahlung: Wie attraktiv ist es für ihn, in die Überbetriebliche zu gehen und junge Azubis auszubilden? Und wir müssen auch auf den Organisationgrad in den Innungen und Gewerkschaften schauen. Die Mitgliedschaft ist für beide Seiten wichtig, weil man so viele Dinge gestalten kann und eine direkte Einflussmöglichkeit auf den Beruf hat – etwa in den Berufsbildungsausschüssen. Das könnten wir noch besser kommunizieren.
DHB: Wie beurteilen Sie die Bereitschaft, sich freiwillig über das erforderliche Maß hinaus zu engagieren, also dass sich zum Beispiel Betriebsinhaber einer Innung anschließen oder Beschäftigte sich in der Gewerkschaft engagieren?
Boguslawski: Die IG Metall kann noch stärker als Partner und auch als Sozial- und Tarifvertragspartei wahrgenommen werden. Eine stärkere Tarifbindung ist dafür mit entscheidend. Damit können wir im Handwerk, auch gerade im Elektrohandwerk, gute Arbeitsbedingungen schaffen sowie Fachkräfte werben und halten. Ich glaube, es ist unser beider Auftrag zu zeigen, welche Vorteile man als Mitglied einer Innung und der IG Metall hat. Da ist noch Luft nach oben. Klar ist: Wir brauchen viele Innungsmitglieder, die sich einbringen, und wir brauchen auch gute Tarifverträge und aktive Mitglieder bei der IG Metall, weil wir nur so eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe hinbekommen.
Ehinger: Es war früher vollkommen normal, in der Innung und in der Gewerkschaft zu sein. Das ist es heute nicht mehr. Da hat mittlerweile ein Wandel stattgefunden. Wir müssen darüber nachdenken, woran das liegt, und unser Angebot entsprechend anpassen. Was bei uns immer sehr stark zieht, ist das Thema „Ausbildung“. Sobald ein Betrieb ausbildet, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er auch in der Innung ist, extrem hoch. Er profitiert monetär von einer Innungsmitgliedschaft, aber vor allen Dingen deshalb, weil er viel stärker Einfluss darauf nehmen kann, was passiert und weil er von der e-handwerklichen Organisation viel Unterstützung bekommt. Als Verband müssen wir künftig unser Angebot noch besser kommunizieren. Während die regionale Innungsarbeit immer noch etwas sehr Unmittelbares ist, ist das, was ein Landes- oder Bundesverband tut, eher abstrakt, zumal es häufig sehr weit in die Zukunft gerichtet ist. Außerdem besteht unsere Arbeit mitunter auch „nur“ aus Verhinderungserfolgen – dann etwa, wenn wir dafür sorgen, dass alles so bleibt, wie es ist. Grundsätzlich gilt daher: Wir müssen unsere Arbeit und unsere Leistungen beziehungsweise unser Angebot noch viel besser erklären.
DHB: Stichwort Verhinderungserfolge: Bei der Interessenvertretung auf Bundes- und Europaebene hat man das Gefühl, dass das Handwerk überwiegend und Dinge verhindern muss. Es kommt vom Reagieren gar nicht mehr in Agieren. Gilt das auch bei der Interessenvertretung des Elektrohandwerks?
Ehinger:Wir bringen uns stark in Europa ein und stehen zum Projekt eines geeinten Europas. Dafür geben wir Impulse und wir erzielen auch Erfolge. Die EU-Kommission wird zum Beispiel unserer Anregung eines „European Electrification Action Plan“ folgen. Das ist wichtig, weil die Elektrifizierung für alle Europäer ein entscheidendes Thema sein wird. Ich würde mir jedoch wünschen, dass die Politik stärker und auch ganz offen mit Interessensvertretern ins Gespräch geht. Das passiert häufig erst sehr spät. Es gab, insbesondere auf Bundesebene, Gesetzesinitiativen, bei denen wir leider nur sehr kurze Reaktionszeiten hatten. Das ließe sich auch anders organisieren, denn um sich einbringen zu können, braucht es auch Zeit. Generell würde ich mir wünschen, dass die Politik mehr Augenmerk auf das Handwerk legt. Viel zu oft ist es jedoch so, dass die Industrie die Schlagzeilen dominiert.
DHB: Vielleicht, weil die Betriebe so klein sind, dass sie in den großen Medien nicht stattfinden. Der Mittelstand stirbt leise, sagt man.
Ehinger:Ja, und das frustriert uns. Handwerk und Mittelstand finden in Politik und Medienberichterstattung noch viel zu wenig statt. Es ist zwar schon deutlich besser geworden, wir sollten aber daran arbeiten, noch viel sichtbarer zu werden.
DHB: Die Lage nicht aber doch nicht so schlecht, wie sie häufig dargestellt wird. Im Elektrohandwerk gibt es keine dramatischen Einbrüche. Vielleicht reicht der Auftragsbestand statt für sechs nur noch für vier Monate. So schlecht ist die Lage doch eigentlich nicht. Und die Bemühung zur klimaneutralen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft sind für die Klimahandwerke ein großes Konjunkturprogramm. Das ist etwas, worauf die Betriebe bei ihrer Nachwuchswerbung setzen können.
Ehinger:Absolut, das machen wir ja auch. Unsere Ausbildungszahlen steigen entgegen dem Trend im Gesamthandwerk. Wir sind das größte Klimahandwerk und das größte installierende Gewerk und entsprechend wichtig für den Gesamttrend. Die Energiewende hilft uns, und deswegen machen wir uns als Verband auch nicht so große Sorgen, dass wir ein nachhaltiges Geschäftsmodell-Problem bekommen.
DHB: Haben Sie trotz steigender Ausbildungszahlen weiterhin Lehrstellen, die unbesetzt bleiben?
Ehinger:Ja, denn die Zahl der Auszubildenden reicht bei Weitem nicht für all die Aufgaben aus, die wir zu bewältigen haben. In den letzten Jahren konnten wir zwar im Elektrohandwerk immer steigende Mitarbeiterzahlen vermelden. 2023 gab es jedoch das erste Mal einen leichten Rückgang. Wir müssen nun beobachten, wie sich das weiterentwickelt. Bisher konnten wir den demografischen Wandel, der hier mit hineinspielt, ganz gut kompensieren. Aber um die Demografie auszugleichen, müssten wir die Ausbildungszahlen noch viel deutlicher steigern. Das ist jedoch nicht zu schaffen, und deswegen brauchen wir einen Zuzug von außen.
Boguslawski:Wir brauchen eine Antwort auf die demografische Entwicklung. Dazu gehören attraktive Ausbildungen, keine Schnellgangausbildungen. Wie befähigen wir Betriebe, vielleicht auch mal überproportional auszubilden? Wir bilden im Handwerk extrem hoch qualitativ aus, beobachten aber eine hohe Abwanderung, zum Beispiel in die Industrie. Darauf brauchen die Unternehmen eine Antwort, vor allem auf die Frage nach guten Arbeitsbedingungen und guten tariflichen Regelungen. Wir müssen uns auch fragen: Wie können wir Menschen, die gerade in der Industrie arbeiten, für das Handwerk begeistern? Da gibt es relativ wenig Bewegung. Werbekampagnen alleine reichen da nicht für ein besseres Image. Wir brauchen noch mehr Idee und Lösungen, um das Handwerk noch attraktiver zu machen. Es darf nicht mehr als Abstieg empfunden werden, wenn ich aus der Industrie ins Handwerk gehe.
Ehinger: Das stimmt. Leute, die zehn Jahre in der Industrie gearbeitet haben, im Handwerk zu integrieren, besonders im Elektrohandwerk, ist übrigens deutlich schwerer als umgekehrt. Handwerker sind in der Industrie sehr gerne gesehen, denn sie gelten als Generalisten, sind sehr flexibel und können sich auf viele verschiedene Arbeitssituationen einstellen. Ein Mensch, der in der Industrie gelernt hat, ist fachlich ebenfalls extrem kompetent, manchmal sogar kompetenter als der Handwerker. Er ist aber oft weniger flexibel, weil es in der Industrie sehr starre Prozesse gibt.
DHB: Ein Wechsel von der Industrie ins Handwerk macht sich aber auf dem Lohnzettel bemerkbar, mitunter sehr deutlich.
Ehinger:Aber wir haben es geschafft, die Unterschiede zu verringern. Die Lohnsteigerungen im Elektrohandwerk über die letzten Jahre waren schon überproportional hoch. Was wir allerdings nicht ändern können, ist, dass das Handwerk in seiner Wertschöpfung viel lohnlastiger als ein produzierender Betrieb ist. Weil bei uns der Anteil des Lohns am Endpreis sehr hoch ist, bedeutet bei uns jede Lohnsteigerung sofort einen deutlicheren Durchschlag beim Endprodukt. Das unterscheidet uns von größeren industriellen Betrieben.
DHB: Sind die Zeiten jetzt nicht besonders günstig, um Preiserhöhungen durchzusetzen?
Ehinger: Für die letzten Jahre galt das mit Sicherheit. Da sind die Preise schon gestiegen. Aber das ist jetzt, in der momentanen Situation in Deutschland, vorbei.
Boguslawski:Der Preissockel ist gestiegen und bleibt hoch. Ich warne aber davor, sich bei den Herausforderungen im Unternehmen nur auf die Lohnkosten zu konzentrieren. Die werden es am Ende auch nicht retten. Es geht auch um bürokratischen Anforderungen im Handwerk. Wenn es da Entlastungen gäbe, wäre mehr Zeit, um zu arbeiten. Und flexiblere Arbeitszeiten sind ein Thema. Auch solche Fragen haben direkt oder indirekt Auswirkungen auf dem Abrechnungszettel. Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen – durch gut organisierte digitale Prozesse und Verwaltung, gute Gesetze und gute Tarifverträge.
DHB: Was können Sie tun, damit die Bürokratiebelastung nicht weiter steigt oder sogar geringer wird?
Ehinger:Bürokratie ist nicht über Nacht entstanden, sondern über Jahre gewachsen. Es ist daher illusorisch, zu glauben, Entbürokratisierung könne mit einem großen Wurf erreicht werden. Was es braucht, sind viele kleine Schritte. Dazu müssen wir der Politik aber immer wieder anhand von konkreten Beispielen aus dem Alltag verdeutlichen, wie kontraproduktiv Bürokratielast ist und welche negativen Folgen sie hat. Das Problem lediglich zu benennen, reicht jedoch bei Weitem nicht aus. Es braucht auch konkrete Verbesserungsvorschläge.
Boguslawski:Wir müssen einfach den Mut haben, uns ein paar Dinge anzuschauen. Ob man sie umsetzt oder nicht, steht auf einem anderen Blatt, aber wir müssen darüber diskutieren.
Das Interview führten Stefan Buhren und Lars Otten
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Text:
Lars Otten /
handwerksblatt.de
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