"Mathe ist kein Hexenwerk!"
Wer in der Berufsschule nicht mithalten kann, ist noch lange nicht verloren. Im Campus Bau in Kenn bietet die HWK lernschwachen Azubis Förderunterricht an. Vier ehrenamtliche Dozenten sind dort im Einsatz.
Ein verregneter Donnerstag im Februar. Zur Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) im Campus Bau der Handwerkskammer Trier in Kenn sind heute 15 Straßenbauerlehrlinge aus dem ersten Ausbildungsjahr gekommen. Während eine Hälfte der Azubis in der Halle das Verlegen von Segmentbögen übt, büffelt die andere zwei Stunden lang Mathe. Einmal in der Woche können Azubis dieser ÜLU-Gruppe freiwillig zur Nachhilfe kommen. Dann frischt Hermann Dellwing, Diplom-Mathematiker im Ruhestand, mit ihnen den Lernstoff aus der Berufsschule auf. Welches Thema gerade angesagt ist, richtet sich nach dem Bedarf der Gruppe. Heute steht Formelumstellung auf dem Programm. "In der Straßenbauerausbildung sind Mathematikkenntnisse sehr wichtig", sagt Vera Wagner. Sie ist in Kenn, wo die Azubis der Bauberufe ausgebildet werden, als Sozialpädagogin im Einsatz. "Hinter dem Beruf steckt viel mehr als Asphaltieren oder Pflastersteine verlegen. Die Aufgaben sind weitaus anspruchsvoller. Straßenbauer müssen in der Planung und Vermessung fit sein, Materialmengen und Neigungen berechnen, Kosten kalkulieren und Baupläne analysieren können. Als angehende Fachkräfte müssen sie daher die Grundrechenarten beherrschen, aber auch in Geometrie fit sein. Leider haben eine ganze Reihe Auszubildender in Mathe erhebliche Lücken."
Diese Schwachstellen versucht die Handwerkskammer Trier derzeit in insgesamt 15 Nachhilfegruppen in Kenn zu schließen. Festgestellt werden individuelle Defizite mithilfe eines Mathetests, den die Lehrlinge im ersten Blockunterricht ihrer Ausbildung an der Handwerkskammer absolvieren. Azubis mit auffälligen Defiziten im Testergebnis wird die Nachhilfe vor Ort empfohlen. Auch wer Probleme mit Deutsch hat, kann Förderunterricht in der Handwerkskammer in Anspruch nehmen. "Für die jungen Leute ist der Nachhilfeunterricht eine gute Gelegenheit, mangelhaftes Wissen niedrigschwellig nachzuholen oder zu ergänzen. Das Angebot wird sehr gut angenommen", sagt Vera Wagner. "Vier Ehrenamtliche unterstützen uns dabei, die Auszubildenden zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Darüber sind wir sind sehr froh und dankbar."
Gute Ausbildung ist Herzensangelegenheit
Vera Wagner (2. v. l.) und Sozialpädagoge Michael Meyer (oben r.) mit den Dozenten Ulrich Schwarz (l.), Reinhold Tellberg (3. v. l.), Ruth Gimmler und Hermann Dellwing. Foto: © Constanze Knaack-SchweigstillHermann Dellwing ist einer der vier ehrenamtlichen Lehrkräfte, die Auszubildende aus der Generation Z in Kenn unterrichten. Der Hermeskeiler macht das seit sechs Jahren. Woche für Woche geht er mit ihnen Themen durch, bei denen es gerade klemmt. Paukt mit ihnen Plus und Minus, Geteilt und Mal, Prozentrechnung, Dreisatz. Trägt vor, erklärt, wiederholt, hakt nach – so lange, bis der Stoff sitzt. All das macht der 74-Jährige, der seit Jahrzenten Erfahrung als Nachhilfelehrer hat, um eine sinnvolle Aufgabe zu haben. Aber auch aus Idealismus: "Es liegt mir am Herzen, dass junge Menschen gut ausgebildet werden. Ich fühle mich der Gesellschaft gegenüber verantwortlich, dazu beizutragen", erklärt Dellwing und ergänzt: "Eine erfolgreiche Berufsausbildung sollte nicht an den Grundlagen scheitern. Außerdem macht mir das Unterrichten Spaß.«"
Auch wenn damit immer wieder Herausforderungen verbunden seien, wie Dellwing sagt. Das Niveau innerhalb der Gruppe sei zumeist heterogen: einige eher gut, andere schwächer. Er freue sich immer, wenn die Erfolge an den Prüfungsergebnissen sichtbar seien. "Ich will den Azubis auch die Angst nehmen und ihnen zeigen, dass Mathe kein Hexenwerk ist. Daher versuche ich zu vermitteln, wie sie Stoff auch unter Prüfungsstress abrufen können. Und ich will sie motivieren: Wenn sie etwa den Satz des Pythagoras draufhaben, sage ich gerne: Nun gehört Ihr zu den zehn Prozent, die ihn kennen und beherrschen!"
Die Theorie beherrscht nicht jeder auf Anhieb
"Vielen Betrieben, die lernschwache Lehrlinge ausbilden, ist dieses Problem gar nicht bewusst", sagt Vera Wagner. "Mit dem Schulabschluss werden gewisse Kompetenzen verbunden, die in der Realität aber oft gar nicht vorliegen. So erwarten die Betriebe, dass Azubis mit einem Hauptschulabschluss die Anforderungen in der Berufsschule bewerkstelligen können, was oftmals aber nicht der Fall ist. Die Aufgabe, einen Würfel zu zeichnen, überfordert bereits so manchen Testkandidaten. Nicht selten kommt dabei ein Rechteck heraus."
Unterdessen neigt sich die Mathestunde ihrem Ende entgegen. Die Formelumstellung scheint kein Buch mit sieben Siegeln mehr zu sein. "Viele Formeln sind ja gleich aufgebaut", sagt Azubi Jonathan. "Wenn man das Prinzip verstanden hat, lässt es sich auf viele Formeln anwenden. Dann braucht man die nicht alle zu lernen. Und Formeln benutzen wir oft, zum Beispiel bei der Berechnung der Baugrubengröße oder des Sohlendrucks«, so der 25-Jährige. »Mir hilft die Nachhilfe weiter, wir gehen ja bald auf die Zwischenprüfung zu." Auch Roman ist begeistert. "Ich finde es sehr gut, dass wir die Gelegenheit zur Nachhilfe bekommen. Wenn wir in der Berufsschule etwas nicht verstanden haben, können wir das hier gemeinsam durchgehen", sagt der 19-Jährige. "Wir einigen uns dann auf ein Thema und behandeln es hier dann nochmal." Einen festen Lehrplan gibt es in der Nachhilfe nicht. Der Lehrstoff ergibt sich daher oft eher kurzfristig. "Wir fördern die Azubis nach aktuellem Bedarf", sagt Dellwing. "Der eine versteht in der Schule dies nicht, der andere das nicht, wie es halt so ist." Mit den unterschiedlichen Niveaus käme die Gruppe aber gut zurecht. "Wenn einem der Förderschüler ein Thema besonders schwerfällt, dann helfen sich die Azubis auch untereinander. Überhaupt sind alle motiviert und machen gut mit. Die heutige Jugend ist viel besser als ihr Ruf!"
Hintergrund und Kontakt Hintergrund Die ehrenamtliche Nachhilfe wird durch das Projekt "ÜLU plus" organisiert und vom Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau gefördert.
Kontakt Vera Wagner, T 0651 207-197, E-Mail: vwagner@hwk-trier.de
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Text:
Constanze Knaack-Schweigstill /
handwerksblatt.de
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