Zünfte arbeiteten nicht als Kartelle
Rückwärtsgewandte Zünfte? Das Handwerk war auch im Mittelalter flexibel, sehr dynamisch und innovativ! Sabine von Heusinger, Professorin für mittelalterliche Geschichte, berichtet von Zunftmeisterinnen und Managern im Handwerk – und räumt so mit gängigen Vorurteilen auf.
DHB: Frau Professor von Heusinger, den Zünften im Mittelalter wird nachgesagt, sie seien rückwärtsgewandt und abgeschottet gewesen. Wird das in der modernen Forschung bestätigt?
von Heusinger: Dieses Bild kommt aus dem 19. Jahrhundert. Heinrich Schmoller, Max Weber und vor allem die Max-Weber-Rezipienten sind Verfechter solcher Ansichten gewesen. Die Zünfte hätten Monopole geschaffen und Kartelle gebildet. Das Spannende an meinen Studien war die Erkenntnis, dass die Zünfte in ihren Statuten tatsächlich festgelegt hatten, wie der Preis reguliert wird, wie die Ausbildung auszusehen hat und wer auf Wanderschaft gehen muss. Aber: Das ist die ideale Welt, wie die Zünfte sie gerne gesehen hätten.
DHB: Wie war denn nun die reale Welt der Zünfte?
von Heusinger: Ich habe andere Quellen hinzugezogen, städtische Quellen, Rats- und Gerichtsprotokolle oder auch Listen, wie reich oder arm Handwerker waren. Und ich habe herausgefunden, dass die Zünfte sehr flexibel, sehr dynamisch und innovativ waren. Die Zunftstatuten haben Urkundencharakter. Ich erkläre das meinen Studenten immer mit einem modernen Vergleich. Es gibt eine Straßenverkehrsordnung. Aber im realen Straßenverkehr wird diese zuweilen sehr großzügig interpretiert. Sie hat nichts damit zu tun, wie tatsächlich der Verkehr funktioniert. Für einen Umzug wird heutzutage schon mal gerne ein eigenes Schild aufgestellt und gar nicht bei der Stadt beantragt.
DHB: Können Sie Beispiele aus dem Mittelalter nennen?
von Heusinger: Ein gutes Beispiel ist Johannes Gutenberg: Er erfand ein ganz neues Handwerk, und die Zeitgenossen wussten nicht, ob das ein Metallhandwerk oder doch ein Holzhandwerk war? Deshalb trat er in eine Zunft ein und dann wieder aus – das war möglich, denn erst viel später entstand eine eigene Buchdruckerzunft. Ähnliche Beispiele kennen wir auch aus der Seefahrt, wo es am Ende des Mittelalters ebenfalls zu bedeutenden Erfindungen kam. Auch hier musste für die "Erfinder" erst eine passende Zunft gefunden werden. Oder ein Goldschmied, der nicht Mitglied der Zunft in Straßburg ist, aber doch deren Siegel verwenden darf. Auf Anfrage der Stadt antwortet die Zunft: Wenn er gute Arbeit leistet, darf er das. Das widerspricht völlig der Monopolthese. Das untermaure ich auch mit meiner Datenbank von über 6.000 Leuten aus der Zeit zwischen 1200 und 1600: Ich habe eine große Gruppe von Leuten gefunden, die in Straßburg ein Handwerk ausübten und nicht in der Zunft waren.
DHB: Das widerspricht auch den gängigen Formulierungen, die noch heute von Gegnern der Handwerksorganisation gerne gebracht werden. Zunft gilt ja fast als Schimpfwort.
Zur Person: Sabine von Heusinger: studierte Deutsch, Politik und Geschichte an der Uni Konstanz und Università degli Studi dell'Aquila. Ihre Habilitation erfolgte 2006 an der Uni Mannheim mit der Arbeit "Soziale Gruppen in der Stadt – das Beispiel der Zünfte in Straßburg". Sie lehrte in Konstanz, Luzern, Stuttgart, Mannheim und jetzt in Köln. Die Zunft im Mittelalter 2. Auflage, Franz Steiner Verlag 2013, 79 Euro. von Heusinger: Wenn es diese starre Form der Zünfte gegeben hätte, hätten diese vielleicht nur 200 Jahre existiert. Nur durch die Flexibilität hatte das Zunftwesen die Chance, über Jahrhunderte zu bestehen: Mit seiner politischen, militärischen, rechtssetzenden und wirtschaftlichen Präsenz und natürlich als Bruderschaft. Die Zünfte hatten ab dem 14. Jahrhundert in vielen Städten im Reich das Sagen, etwa in Straßburg, Zürich oder Köln. In Nürnberg hatte Karl IV. das Zunftwesen verboten. Denn die Zünfte waren auch in Nürnberg sehr wohl als gewerbliche Einheiten präsent – und ihre Mitglieder nahmen auch hohe Funktionen in der Politik ein. Die Meister im Mittelalter waren modern gesprochen die Manager des Handwerks. Sie organisierten, repräsentierten, die tägliche Arbeit machten in erster Linie die Gesellen. Der Colmarer Bäckerstreit ist dafür ein wunderbares Beispiel.
DHB: Auch das Bild der untergeordneten und bedeutungslosen Frau im mittelalterlichen Wirtschaftsleben passt nicht?
von Heusinger: Nein, wir haben Nachweise, dass es Zunftmeisterinnen gab, die ein völlig anderes Gewerk hatten als ihr Mann. Sie hatten ihren eigenen Verdienst! Das Bild der Familie kommt aus der Romantik. Das hat in der Vormoderne nichts zu suchen. Die vormoderne Familie war eine Wirtschaftseinheit. Die Kinder und gegebenenfalls die Alten mussten mitarbeiten.
DHB: Und mussten die weiblichen Mitglieder einer Zunft auch den für Zünfte vorgeschriebenen Kriegsdienst leisten?
von Heusinger: Nein, aber sie mussten die Ausrüstung stellen und Ersatz benennen.
Colmarer Bäckerstreit: 1495 kam es wegen der Rangfolge in der alljährlichen Prozession zum Streit zwischen den Bäckergesellen und ihren Meistern. Die Gesellen schafften es nicht nur, den Streit zehn Jahre lang durchzuziehen, sie waren auch so gut organisiert, dass kein Wandergeselle in den Backstuben aushalf. Zeitzeugen berichten, das Brot, das die Meister nun selber gebacken hätten, sei von minderer Qualität und angeblich ungenießbar gewesen. Zu welchem Lager die Zeitzeugen gehörten, ist unbekannt.Handwerk hat viele Geschichten
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Das Interview führten Dr. Rüdiger Gottschalk
Text:
Dr. Rüdiger Gottschalk /
handwerksblatt.de
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